Die Homepage von WG-Gesucht.de begrüßt mich Anfang August noch in einem freundlichen Orange. Dass diese ach so fröhliche Farbe trügerisch sein kann, das weiß ich inzwischen: Ich suche bereits zum achten Mal nach einer neuen Wohngemeinschaft. Damit könnte man sagen, ich habe schon siebenmal geschafft, von mir zu überzeugen.

Dieses Mal suche ich, wie immer und wie vermutlich jede*r, ein nicht übertrieben teures und trotzdem großes Zimmer, am liebsten im Altbau mit Balkon und Badewanne. Außerdem wünsche ich mir, mit Menschen zusammenzuwohnen, die zu Freund*innen werden, die keine Putzteufel sind und nicht jeden Tag feiern, aber auch nicht lethargisch in ihren Zimmern ihrer Computerspielsucht nachgehen oder ihrem Drogenkonsum frönen. Ganz normale Vorstellungen könnte man meinen, aber gefühlt immer wieder utopisch zu verwirklichen – wie ich nach der Einstellung der Filter feststelle.

Eine*r von vielen

4,91 Millionen Menschen leben im Jahr 2017 in Wohngemeinschaften. Deswegen heißt es zunächst für mich, genauso wie für alle anderen, die Hürde der Einladung zum Mitbewohner*innen-Casting zu überwinden. Beim ersten Treffen will jede*r punkten, aber wie kann man von sich überzeugen, ohne sich zu verraten? Und wie wird herausgefunden, ob es sich bei der Wohngemeinschaft wirklich um die Gemeinschaft von Menschen handelt, die zu einem passt?

Fröhliche Weinabende statt Stress um den Putzplan – wie vermeide ich die falsche Wahl?

Emotions- und Teamcoach Walter Friedrich kennt aus seiner Arbeit mit Mehrgenerationshäusern und Student*innen-WGs die Sorgen, die rund um das Zusammenwohnen entstehen. Ehrlichkeit mit sich und den anderen sowie Entwicklungsbereitschaft seien die grundlegendsten Tipps, die er WG-Suchenden geben kann. Ich selbst versuche das zwar auch zu berücksichtigen, aber nicht immer klappt es. Wer gibt schon gerne zu, dass man vielleicht doch etwas chaotisch ist, lieber am nächsten Tag das Geschirr wegräumt und desöfteren Freund*innen zu Besuch hat.

Ehrlichkeit mit sich selbst fängt laut Friedrich beim Durchsuchen der Anzeigen und bei dem Anschreiben an eine Wohngemeinschaft, die infrage kommt, an. "Was man vermeiden sollte", sagt Friedrich, "sind falsche Versprechungen wie ,Ich koche jeden Freitag für euch' oder ,Wenn ihr mich nehmt, dann ist der Bierkasten immer gefüllt'. Daran muss sich der neue Bewohner später halten. Das gilt auch für Staubsauger, Kaffeemaschine und Co., die man beim Einzug in Aussicht stellt."

Kopieren oder Fleißarbeit?

Das Anschreiben über eine Plattform ist immer anstrengend und zeitraubend. Daher schreibe ich meine E-Mails zum Teil an alle gleich und zum Teil individualisiert. So ist es mir persönlich möglich, sowohl mehreren Wohngemeinschaften zu schreiben, ohne viel Zeit zu investieren und trotzdem die Wohngemeinschaft und ihre Eigenschaften direkt mit meinen zu verbinden und zu zeigen, dass ich sowohl eine super lässige neue Mitbewohnerin wäre, als auch genau zu ihnen passe. Das Wichtigste in dieser Mail ist:

  1. Auf die Wohngemeinschaft und einen bestimmten Aspekt, der einem an der Anzeige gefallen hat, einzugehen.
  2. Persönlichkeit zu zeigen und direkt auch mal das eigene Putzlevel zu beschreiben, denn damit gibt es meiner Erfahrung nach die meisten Probleme in Wohngemeinschaften. Manchmal füge ich auch mein Social-Media-Profil hinzu.
  3. Entspannt bleiben

Die Sache mit der Ehrlichkeit

Wohngemeinschaftscastings sind ein wenig wie Tinder-Dates – man kennt sich kaum, aber am Ende schläft man eventuell doch in einer Wohnung. Und ebenso wie beim Blinddate ist es meist zumindest Sympathie auf den ersten Blick – oder eben nicht. Dabei besonders im Fokus ist der Moment des Türöffnens. Wie oft hätte ich mir schon gewünscht, einfach gleich wieder zu gehen oder als Suchende direkt die Tür wieder zuzuschlagen. Der Türmoment ist immer kritisch.

Ich selbst war bei meiner letzten Besichtigung das erste Mal ehrlich. Ich ging kurz in das angebotene Zimmer, sagte aber schnell, dass ich kein Interesse hätte. Keine unnötigen Smalltaks, keine peinlichen Nachfragen. Die ganze Sache hatte nur wenige Minuten gedauert und danach fühlte ich mich tatsächlich erleichtert. Denn ich habe allen ein wenig Zeit gespart und eine Entscheidung weniger zu treffen. Friedrich rät: "Höre auf dein Bauchgefühl! Der innere Professor, wie ich ihn nenne, weiß oft die richtige Antwort."

Nach dem Wohnungsflop nicht aufgeben

Nach fünf Besichtigungen und einer vorzeitigen Absage, steht mein Wohngemeinschaftsfavorit in Köln eindeutig fest. Es handelt sich dabei um eine Zweier-WG: sehr günstig für Köln, sogar im Altbau, aber ohne Balkon und ohne Badewanne und man muss immer aus dem zweiten Stock runter laufen, wenn jemand zu Besuch kommt. Aber das alles scheint nebensächlich, denn mit meiner potenziellen Mitbewohnerin stimmt der Gesprächsflow, es ist eben Sympathie auf den ersten Blick. Insgesamt zeigen meine persönliche Mitbewohnerangewohnheiten-Präferenzliste und mein Bauchgefühl eindrücklich, dass es auf eine ausgewogene Mischung aller Faktoren ankommt.

"You can’t always get what you want"

Das sangen schon die Rolling Stones. Um eine geeignete Wohngemeinschaft zu finden, ist aber nicht nur Ehrlichkeit angesagt, wenn einem die Wohnung nicht gefällt. Sondern auch Ehrlichkeit darüber, wer man ist. Es gilt, die Balance zu finden: zwischen einem flüssigen Gespräch, dem Finden von Gemeinsamkeiten, der Frage nach den harten Fakten und Nachteilen an der Wohnung, und der klaren Vorstellung davon, wie man zusammen wohnen möchte oder wie man bisher gemeinsam gewohnt hat.

Walter Friedrich kategorisiert dazu in fünf Typen:

  1. Der*die Sauberkeitsbewusste: oft der*die Korrekte. Er*sie mag Ordnung, Disziplin und Struktur
  2. Der*die Ruhige: braucht Zeit nach einem langen Tag. Er ist bedürftig nach Verarbeiten und Stille
  3. Der Eule-Party-Typ: ist immer bereit zu quatschen, auch um Mitternacht. Er*sie ist gerne und viel unterwegs und hat häufig Besuch, ein unregelmäßiger Tagesrhythmus und Party bestimmen sein Leben
  4. Der Machertyp: ist immer am Schaffen. Er*sie lernt viel, mag Distanz-Rückzug, ist sehr fleißig und hat eine Abneigung gegen Krach und Ablenkung
  5. Der Harmoniemensch: mag keine Spannung oder Streit. Er*sie braucht und mag viel Nähe und ist gerne in Gesellschaft

Warten, warten, warten

Die Zusage oder die Absage finden und fanden bei mir immer auf dem gleichen Weg statt: die Absagen gar nicht oder per Mail und die Zusagen als Anruf. Also hoffe ich, bei jeder Mailaktualisierung darauf, keine E-Mail im Postfach zu haben und stelle mein Handy von Vibrationsalarm auf so laut, dass es mich darauf hinweist, dass diese Lautstärke für das Ohr gefährlich ist.

Es fühlt sich wie bei Bewerbungen um einen Job an. Eine E-Mail zeigt mir, dass mich die Wohngemeinschaft, in die ich am wenigsten wollte, auch nicht für geeignet hielt. Dafür bin ich fast schon dankbar. Dann ein Anruf, die zweitbeste Wohngemeinschaft will mich. Ich freue mich, aber bleibe noch ein wenig zurückhaltend. Zum Glück meldet sich auch meine jetzige Mitbewohnerin und freut sich, mich in ihrer Wohnung einziehen zu lassen. Und ich habe es mal wieder geschafft, eine neue Bleibe zu finden.

Wie ihr zusammen wohnen bleibt

Die Tipps des Experten Friedrich zum Zusammenwohnen noch einmal zusammengefasst, die BIG Five des WG-Lebens:

Du solltest offen sein, zu kommunizieren, was dir wichtig ist.

Du solltest, anderer Menschen Bedürfnisse respektieren.

Du solltest lernen, dich mit kritischen Themen auseinandersetzen zu wollen.

Du solltest offen sein, dich zu verändern, wenn es für deine Gemeinschaft erforderlich ist.

Du solltest auch für andere einstehen und anderen beistehen, um Lösungen zu finden.