Knalliges, buntes Make-up, knappe, ausgefallene Kleider und Kostüme, pompöse, beachtliche Perücken: Dragqueens fallen auf, polarisieren, faszinieren. Durch Fernsehshows wie RuPaul's Drag Race erreichte Drag den Mainstream und wird von immer mehr Menschen begeistert aufgenommen. Vielen Queens bietet Drag die Möglichkeit, sich auszudrücken, sich auszuleben, sich frei zu fühlen und andere Menschen mit ihrer Kunst zu begeistern.

In Berlin gibt es so gut wie keine queere Party, auf der nicht mindestens eine Dragqueen auf Stöckelschuhen durch den Club schreitet oder eine Lip-sync-Performance zu eingängigen Popsongs zum Besten gibt. Doch wie sieht es außerhalb von Deutschland aus? Wie sieht Drag als Kunstform in anderen Ländern aus? Wie wird Drag von der Gesellschaft aufgenommen, wie wird es rezipiert? Das fragte sich der Leipziger Fotograf und Filmemacher Sebastian Franke, der mit seiner beeindruckenden Fotoreihe Queens Of Eastern Europe, also Königinnen von Osteuropa, Dragqueens aus osteuropäischen Ländern begleitet und porträtiert hat.

Der Mensch unter den vielen Schichten Make-up

Das Ergebnis sind Momentaufnahmen, Einblicke in eine andere kunstvolle Welt: Mal spontan, mal in Pose, mal in Drag und mal in Alltagskleidung zeigen sich die verschiedenen Protagonist*innen der Fotoreihe vor Sebastians Kamera. Es gelingt ihm, den Dragqueens ganz nah zu kommen, sodass die Betrachter*innen den Hauch einer Ahnung davon bekommen, wer unter den vielen Schichten Make-up steckt, welche Geschichten, welche Schicksale unter den beeindruckenden Frisuren schlummern. Es wirkt, als hätte der Fotograf wirklich ein aufrichtiges, ehrliches Interesse an den Menschen gehabt, nicht nur an den Kunstfiguren, die sie auf der Bühne darstellen.

Außerdem bei ze.tt: Diese Fotos zeigen Dragqueens abseits von Bühnen und Bars

Sebastians Interesse an der Dragkultur enstand eher zufällig, aus einer Affäre heraus: Vor knapp drei Jahren hatte er eine Affäre mit einem jungen Mann, der ihm eines Abends erzählte, dass er Drag macht. Er zeigte ihm Bilder von seinen Outfits. Sebastian erinnert sich: "Das hat mich für einen Moment erstmal sprachlos gemacht, aber irgendwie fand ich es doch ziemlich abgefahren." Doch bald schon beendete der junge Mann, dessen Dragname Amy Devil ist, die Affäre. Sebastian hingegen hatte noch Gefühle für ihn, wollte nicht, dass er aus seinem Leben verschwindet und fing an, Amy Devil mit der Kamera zu begleiten. "Was also aus einer Zuneigung zu einem anderen Menschen begann, brachte mich als Fotografen und Filmemacher einem wahnsinnig interessanten Thema näher und ich fing an, die ganze Sache ernsthafter in Angriff zu nehmen", erklärt Sebastian gegenüber ze.tt.

Wo soll die Reise hingehen?

Nachdem Sebastian Amy Devil eine Weile begleitet hatte und feststellte, dass viele Menschen sehr positiv und neugierig auf Drag reagierten, fragte er sich, wie es mit seiner künstlerischen Arbeit weitergehen sollte: "Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich zwar eine Menge interessanter und sehr ästhetischer Bilder von Amy Devil hatte, aber gleichsam kam die Frage auf, auf welche Reise ich die Menschen mit diesen Bildern eigentlich mitnehmen will." Irgendwann begann er sich zu fragen, wie die Dragszene in anderen Ländern aussieht – insbesondere im europäischen Osten: "Als ich das ausgesprochen hatte, war es, als ob du ein brennendes Streichholz in einen Reisighaufen wirfst. Ich bin vom Sofa aufgesprungen und wusste, dass ich dieses Abenteuer starten würde", erinnert er sich.

Und dann begann auch schon die Arbeit: Sebastian recherchierte, sprach mit queeren Organisationen, klickte sich durch YouTube, kontaktierte Dragqueens, bekam einige Antworten und begann, seine Reise durch Osteuropa zu planen. "Unterwegs hab ich dann aber einige wichtige Menschen für das Projekt eher durch Zufall getroffen. In Warschau hatte ich zum Beispiel ein Treffen mit der Dragqueen Kim Lee und einer weiteren Queen vereinbart. Das Treffen mit Kim lief perfekt. Die andere war jedoch plötzlich nicht mehr erreichbar. Da saß ich nun bei Kim im Dressing Room und erzählte ihr davon, dass mein zweiter Termin wahrscheinlich geplatzt ist und sie meinte: 'Ach weißt du, morgen kommt Lulla zu mir. Die hat einen Auftritt auf einer Party und ich werde sie schminken. Sie ist 80'", beschreibt der Fotograf eine Situation.

Dragqueens erleben Diskriminierung

Für die Fotoreihe besuchte Sebastian viele Shows, Auftritte und Clubs, verbrachte Zeit in Umkleideräumen. Dabei  lernte er nicht nur viele ganz unterschiedliche Menschen kennen, sondern auch die Dragqueenszene in Osteuropa. Er betont: "Ja, es gibt in Osteuropa eine Dragszene. Eigentlich in fast allen Ländern. Mal größer, mal kleiner. In Lettland sind es zum Beispiel nur eine Handvoll ganz junger Dragqueens, in Polen gibt es eine sehr lebendige Dragszene in Warschau und Poznan mit eigenen kleinen Dragshows, Wettbewerben oder jede Woche Drag-Bingo in alternativen Clubs. Selbst in kleinen Clubs in Sibirien gibt es Dragqueens."

Außerdem bei ze.tt: Von Mann zu Frau zu Mann: Dragqueens vor und nach ihrer Verwandlung

Und nicht immer haben die Künstler*innen es einfach. Oft erleben sie Diskriminierung, teilweise sogar Gewalt: "In Riga bin ich mit drei der jungen Queens morgens nach einer Party durch die Stadt zu McDonalds gegangen und das war absolut kein Problem. In Russland wäre das gar nicht möglich gewesen. Dort hätte man uns wahrscheinlich verhaftet. Für Angehörige der LGBT-Community ist es in diesem Land gegenwärtig aufgrund eines Gesetzes von 2013, welches die sogenannte 'Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen' unter Strafe stellt, so gut wie gar nicht möglich, ihre Homosexualität offen zu zeigen", erklärt Sebastian. Auch seitens der Behörden oder sogar der Polizei gebe es Diskriminierung, fährt er fort.

Mehr als nur RuPaul's Drag Race

Sebastian möchte mit Queens Of Eastern Europe zeigen, dass Drag viel mehr ist als RuPaul's Drag Race: "Es gibt eine große Vielfalt von Menschen verschiedener Altersgruppen, verflochten mit den Kulturen, Traditionen sowie den Gesellschaften und der Politik ihrer Länder, die als Dragqueens zwischen Diskriminierung und Entfaltung wie du und ich ihre Hoffnungen und Träume haben, ihre Leben meistern, ihrer Leidenschaft nachgehen", betont er.

Die Dragszene in Osteuropa, ihre Entwicklung, der Umgang mit dieser Subkultur ist gleichsam ein Spiegel der Gesellschaft
Sebastian Franke

Diese Szene sei ein gelebtes Beispiel, dass sich Menschen weder von politischen noch gesellschaftlichen Zwängen verbiegen lassen. "Die Dragszene in Osteuropa, ihre Entwicklung, der Umgang mit dieser Subkultur ist gleichsam ein Spiegel der Gesellschaft. Und wenn wir zum diesjährigen CSD in Berlin wieder mal eine einzige große Party feiern, sollten uns all die Queens in Osteuropa daran erinnern, warum wir auf die Straße gehen", so Sebastian.