"Ich könnte mir gerade niemals meine Ausbildung und meinen Unterhalt finanzieren", sagt Pia. Ihre Stimme klingt dabei ruhig und ernst. Sie jammert nicht, obwohl sie Grund dazu hätte. Veränderung – das fordert Pia. Den Großteil ihrer Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin hat sie bereits hinter sich. Zwischen 350 und 400 Euro Aufwandsentschädigung pro Monat hat sie dabei in den ersten Jahren für ihre Arbeit in Kliniken verdient. Eine Summe, von der die Berlinerin nicht nur Essen und Miete bezahlen sollte, sondern auch die monatlichen Ausbildungskosten von über 300 Euro.

Psychologische*r Psychotherapeut*in: Fünf Jahre Ausbildung für sechs Jahre Ausbeutung

Mehr als 80.000 Studierende waren im Wintersemester 2017 für das Studienfach Psychologie in Deutschland eingeschrieben. Der Studiengang ist beliebt und die Plätze knapp. Wer kein Einser-Abitur vorweisen kann, hat kaum Chancen. Laut einer

Meinungsbefragung des Berufsverbandes deutscher Psychologinnen und Psychologen startet dabei fast die Hälfte der Psychologie-Erstis mit einem konkreten Berufswunsch ins Studium: psychologische*r Psychotherapeut*in. Ein Beruf,

der wichtig ist, denn psychische Erkrankungen gehören zu den vier Hauptgründen für den Verlust gesunder Lebensjahre. Die Therapieplätze für Betroffene sind knapp: 

Im Schnitt müssen Erkrankte deutlich mehr als zehn Wochen auf eine Behandlung warten.

Seit 1998 regelt ein Gesetz die Ausbildung. Psychologische*r Psychotherapeut*in darf sich seitdem nur noch nennen, wer nach dem mindestens fünfjährigen Psychologiestudium eine mindestens dreijährige Ausbildung absolviert und diese mit einer sogenannten Approbationsprüfung abgeschlossen hat. Wie Mediziner*innen dürfen auch Psychotherapeut*innen Behandlungen über die Krankenkasse abrechnen. Mit dem Gesetz entstand ein staatlich anerkannter Heilberuf neben den Ärzt*innen.

Das hatte jedoch seinen Preis, denn das Gesetz kam mit großen Lücken. Es schuf den Psychotherapeut*innen in Ausbildung (sogenannte PiAs) keinen wirklichen Stand in den Kliniken, ihr Berufsstand ist also in den Kliniken oft nicht vorgesehen. Auch wurden innerhalb des Gesetzes keine Rahmenbedingungen für ein angemessenes Gehalt formuliert. Aufgrund dieser Lücken verdienen PiAs für 1.800 Stunden praktische Tätigkeit an den Kliniken teilweise keinen Cent. Die Arbeit ist Pflichtteil der Ausbildung. Genauso wie 600 Stunden Theorie am Ausbildungsinstitut. Dazu kommen viele andere kostspielige Ausbildungsbestandteile, wie die sogenannte Selbsterfahrung – ein Teil der Ausbildung, bei dem sich die PiAs selbst in die Lage des*der Patient*in versetzen. Insgesamt zahlt man für die Ausbildung zwischen 15.000 und 60.000 Euro. "Das ist die einzige Möglichkeit, wenn man diesen Beruf machen möchte", erzählt Pia. Nur die allerwenigsten schaffen das Arbeits- und Lernpensum dabei in drei Jahren.

Ich war immer dann Praktikantin, wenn es den Kliniken gerade gepasst hat.
Pia

Während ihrer praktischen Tätigkeit an der Klinik war Pia zum großen Teil als Praktikantin angestellt. Statt Kaffee kochen und Akten sortieren übernahm Pia aber keine Praktikant*innentätigkeiten, sondern die Aufgaben einer angestellten Psychologin. Sie hätte die Qualifikation, so eingestellt und bezahlt zu werden. "Zeitweise war ich die einzige Psychologin auf Station", erzählt Pia. "Ich war immer dann Praktikantin, wenn es den Kliniken gepasst hat."

In einer Klinik bekam sie sogar zwei verschiedene Arbeitsverträge. Fünf Stunden als angestellte Psychologin, die restliche Zeit als Praktikantin. Für die Klinik war das bequem: Arbeitspensum und Aufgaben wie eine Vollzeitkraft, Gehalt einer Praktikantin. Durch die Vertragsteilung wollte man ihr auch weniger Urlaub zugestehen, offiziell sei sie ja nur einen Tag die Woche angestellt, sagte man ihr. Zeitweise litt Pia stark unter den Bedingungen in den Kliniken. "Wenn ich meine Arbeit nicht richtig mache, dann bekommt das nicht der Chefarzt oder die Personalabteilung ab, sondern meine Patienten und mein Team." Deshalb arbeitet sie weiter. Gibt alles, jeden Tag.

Wo fließt das Geld für die Ausbildungsinstitute hin?

Diese Gefühle kennt auch Elli. Eigentlich müsste die PiA aus Nordrhein-Westfalen bald mit der letzten Phase ihrer Ausbildung beginnen, also schon ihre eigenen Patient*innen behandeln. Das schiebt sie jetzt auf. "Weil ich mich politisch gerade viel für die Ausbildung einsetze", erklärt sie. Elli engagiert sich im Berufsverband für Vertragspsychotherapeut*innen, bei der Gewerkschaft ver.di und bei der PiA-Vertretung ihres Bundeslandes – um eine Ansprechpartnerin für andere PiAs zu sein, sagt sie.

Das aktuelle Ausbildungssystem habe viele Fehler, so die 28-Jährige. Neben der geringen Bezahlung und fehlendem sozialrechtlichem Status, sei undurchschaubar, wo das Geld für die Ausbildungsinstitute wirklich hinfließe. Viele Institute, so Elli, versprächen, dass sich Einnahmen und Ausgaben am Ende der Ausbildung ausgleichen, weil die PiAs im letzten Abschnitt bereits gut verdienen würden. "Das entspricht nicht der Realität", sagt Elli. Für die meisten bedeute die Ausbildung nicht nur kein Einkommen, sondern auch einen Berg Schulden.

Die Versprechungen der Institute kennt auch Pia. Und darüber lacht sie nur. "Ich kann meinem Vermieter ja schlecht sagen, dass er in drei Jahren seine Miete bekommt." Ihren Lebensunterhalt finanziert sich Pia zusätzlich mit einem Nebenjob. Für die Ausbildungskosten bekommt sie Geld von ihren Eltern.

Damit ist Pia nicht alleine. Laut einer PiA-Umfrage durch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Maria Klein-Schmeink trägt die Ausbildungsvergütung nur bei einem Drittel der PiAs überhaupt zur Finanzierung des Lebensunterhalts bei. Über zwei Drittel der Befragten sind auf finanzielle Hilfe durch Familie oder Partner*in angewiesen. Jede*r zweite PiA muss außerdem auf Ersparnisse zurückgreifen und einen weiteren Nebenjob ausüben. Jede*r sechste PiA nimmt für die Ausbildung sogar einen Kredit auf.

Ein neues Gesetz soll's richten: Was aus den aktuellen PiAs und Studierenden wird, bleibt unklar

Das Problem ist lange bekannt. 2020 soll nun die langersehnte Veränderung kommen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will dann den Bachelor- und Masterstudiengang Psychotherapie einführen. Zum Beruf des*der Psychotherapeut*in soll dann das Direktstudium und anschließend eine von den Krankenkassen bezahlte Weiterbildung führen, ähnlich zu der Fachärzt*innenausbildung in der Medizin. Für ihre Arbeit an den Kliniken sollen PiAs, die ihre Ausbildung im neuen System absolvieren, ab 2026 das verdienen, was angestellte Psycholog*innen für die entsprechende Stundenzahl verdienen würden.

"Es freut mich, dass Herr Spahn was für die Betroffenen in fünf Jahren tut", sagt Elli zum Gesetzentwurf, "aber als Gesundheitsminister hat er die Verantwortung für alle Menschen." Denn von Übergangsbedingungen für die aktuellen PiAs und Psychologiestudierenden ist im Entwurf keine Rede. Die hätten doch gewusst, worauf sie sich eingelassen haben, sagte Spahn den PiAs.

Die fordern Übergangsregelungen. Einige der größten Anliegen dabei sind eine angemessene Bezahlung und einen arbeits- und sozialrechtlichen Status an den Kliniken. Die Sozialversicherung stünde den PiAs heute bereits zu, erzählen sie. Viele Kliniken weigerten sich jedoch, ihre PiAs angemessen zu versichern, und kämen damit durch. Die PiAs fordern auch die Möglichkeit, ins neue Ausbildungssystem wechseln zu können. Ihre Forderungen haben sie erst kürzlich in einer Petition festgehalten. 50.000 Unterschriften wollten sie dafür sammeln. Über 80.000 Unterschriften waren es am Ende. Der Bundestag wird sich am 24. Juni, also bevor das neue Psychotherapeut*innengesetz in Kraft tritt, mit dem Anliegen der Petition beschäftigen.

Weder Pia noch Elli bereuen ihre Entscheidung, die Ausbildung gemacht zu haben. Das sagen sie, ohne zu zögern. Aus Liebe zu ihrem Beruf, aus Leidenschaft. Elli und Pia kämpfen jetzt nicht mehr für sich selbst, denn eine Verbesserung der Situation beträfe sie sehr wahrscheinlich nicht mehr. Sie kämpfen stattdessen für die kommende Generation. Eine weitere Generation von Psychotherapeut*innen aus Leidenschaft.