Einen Monat ohne Drinks. Kein Feierabendbier, kein Gin Tonic im Club, kein Sekt an Geburtstagen, kein Glühwein und auch kein Glas Rotwein gegen die Kälte. Und um klar zu sein: natürlich auch keine Shots oder Rumkugeln. Das klingt nach viel Disziplin und sehr wenig Spaß.

Und doch scheinen selbst eingeschworene Freizeit-Alkoholiker*innen dem Rausch nach einem intensiven Sommer, einer Festivalsaison oder einer saufreichen Wiesn nun abzuschwören. Zu beobachten ist das auf Instagram, wo Menschen nach zahlreich dokumentierten Partyexzessen nun ganz offiziell auf Alkohol verzichten. Sie berichten, wie sich ihr Alltag und ihre Körper verändern und ermutigen sich gegenseitig unter den Hashtags #soberoctober und #octsober, den ganzen Monat abstinent zu bleiben. Dabei schreiben sie Sachen wie Sober baby! unter ihre Bilder, auf denen sie mit Kaffeebecher stolz vor der Linse posen.

Ursprünglich eine australische Kampagne gegen Alkohol- und Drogenmissbrauch

Ursprünglich war der Sober October eine australische Kampagne, die Kinder vor Alkohol- und Drogenmissbrauch schützen sollte, also grundsätzlich ein lobenswerter Zugang. Das Thema rund um den alltäglichen und missbräuchlichen Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft wird immer wieder diskutiert. Es ist omnipräsent, und es lassen sich damit sogar Bücher verkaufen wie Quit Alcohol (For A Month) von Helen Foster.

Das urban dictionary definiert den Begriff octsober sogar so: "Der Akt, auf Alkohol zu verzichten, um sich auf die Zwischenprüfungen der Uni vorbereiten zu können." Doch dabei geht es nicht nur um Alkohol, nein es gibt mehrere Stufen des Sober October: Anfänger*innen verzichten auf Alkohol, Fortgeschrittene verzichten generell auf Drogen und die Pros auch auf Zigaretten.

Es gibt unzählige Studien, die zeigen, dass die Menschen in Deutschland und in der westlichen Gesellschaft generell ungemein viel trinken. Als Forscher*innen Menschen fragten, ob sie in den 30 Tagen vor der Umfrage einen Alkoholrausch hatten, sagten 26,9 Prozent ja. Auch unter Jugendlichen hat exzessives Trinken zugenommen: Sechs von zehn betrinken sich regelmäßig.

Ein ernsthaftes Alkoholproblem ist schrecklich

Als ich den Artikel Ich heiße Megan und ich bin Alkoholikerin auf VICE las, war ich wahnsinnig schockiert. Die Autorin Megan Kosester schreibt beispielsweise:

"Ich plante meine Tage ums Trinken herum. Zum Beispiel ging ich immer zu Fuß, wenn ich wusste, dass ich mich abschießen würde. Tja, nur war es so, dass ich mich überall abschoss. Wenn es dunkel draußen war, war ich unterwegs zum Abschießen. Wenn es dabei war, dunkel zu werden, dann war ich dabei, mich auf den Weg zum Abschießen zu machen. Ich hielt mich allerdings für keinen so schlimmen Fall, immerhin trank ich nicht morgens. Rückblickend weiß ich gar nicht, wieso nicht. Es war ja nicht so, als wäre ich tagsüber damit beschäftigt gewesen, etwas zu erreichen. Ich lag einfach da und wartete auf den Einbruch der Dunkelheit, damit ich wieder trinken konnte."

Derartige Gedanken kommen in dieser Intensität manchen vielleicht fremd vor, aber Alkoholkonsum bestimmt den Alltag von uns allen. Gedanken wie: Nehme ich das Fahrrad oder werde ich zu betrunken sein, um nach Hause zu fahren, oder wie viel Bargeld sollte ich mitnehmen, ohne verleitet zu werden, Runden für die ganze Bar zu schmeißen? Bei derartigen Fragen planen wir bereits unseren Alltag rund um Alkohol und das sollte uns bewusst sein.

Diese Selbstoptimierungs-Challenges nerven hart

Es mag auch Menschen geben, die bei #octsober mitmachen, um auf übermäßigen Alkoholkonsums generell aufmerksam machen. Und versteht mich nicht falsch: Grundsätzlich finde ich es gut, den eigenen Alkoholkonsum zu reflektieren und sich zu überlegen, warum man eigentlich trinkt. Aber eine Vielzahl der Postings ist nichts anderes als Selbstinszenierung.

Ein Hashtag, der es erlaubt, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken, über seinen Körper zu sprechen und sich Ziele zu setzen, diesen weiter zu optimieren. Einige betreiben eine regelrechte Missionierung auf Instagram. Ihre Bilder und Text schreien: Schaut mich an, was ich hier schaffe und wie sehr ich mich dafür quäle.

Das Ganze passiert mit erhobenem Zeigefinger und dem Blick nach unten – auf die anderen, die undisziplinierten Schnapsdrosseln. So hat sich der Hashtag zu einer Hipster- und Fitness-Missionierungsrunde verwandelt.

Ich habe derartige Missionierungen auch schon in meinem Freundeskreis beobachtet. Oft sind das auch die Menschen, die zwar jetzt auf Zigaretten verzichten, dafür aber die ganze Zeit kiffen oder keinen Alkohol mehr trinken, dafür aber jedes Wochenende MDMA einwerfen. Ihnen geht es nur um die Aufmerksamkeit von anderen und nicht um die Thematik selbst.

Macht es für euch – und nicht für den Hashtag

Es definiert unsere Generation doch sehr, dass wir für wirklich alles einen Hashtag brauchen. Obwohl wir alle mega individuell sind, oder zumindest gerne wären, brauchen wir für jeden Schrott einen Social-Media-Aufruf. Derartige Challenges gibt es mittlerweile unzählige: #movember, #yogachallangeeverydamnday oder #90daybodychallenge. Manche haben zumindest einen sinnvollen Ursprung oder sind für einen guten Zweck, andere drehen sich nur mehr um die Selbstoptimierung.

Einen Monat nicht zu trinken, sollte vermutlich jede*r mal ausprobieren, der*die bei dem Gedanken schon erschaudert. Aber für wen 31 Tage ohne Alkohol ein ernsthaftes Problem darstellen, sollte sich Hilfe anstatt eines Hashtags suchen.

Ansonsten sehe ich es so: Wir sollten vermutlich alle etwas weniger trinken, aber bitte aus eigenem Willen und nicht wegen einem Hashtag oder weil alle anderen es machen. Und behaltet es dann verdammt noch mal für euch.