Freund*innen treffen, neue Menschen kennenlernen, unterwegs sein – vieles, was für junge Menschen wichtig ist, ist in der Corona-Pandemie nicht möglich. Dazu kommen wegweisende Entscheidungen, die anstehen. Was für eine Ausbildung möchte ich machen oder welches Studium beginnen? Möchte ich von Zuhause ausziehen, und wenn ja, wohin? Corona hat viele dieser Zukunftspläne durchkreuzt, die nächsten Schritt sind häufig nur schwer absehbar. Der Soziologe Michael Corsten leitet an der Universität Hildesheim das Forschungsprojekt Generation Corona. In qualitativen Interviews befragt das Team zurzeit junge Menschen, wie sich die Krise auf die Wahrnehmung ihrer Zukunft auswirkt, die sie sich eigentlich ausgemalt hatten.

Im Gespräch mit ze.tt spricht Michael Corsten über erste Ergebnisse und erklärt, in wiefern die Corona-Pandemie junge Menschen besonders trifft und welche Folgen die Krise für ihre Pläne und Zuversicht haben kann.

Herr Corsten, Sie forschen zur Generation Corona. Was macht die denn aus?

Michael Corsten: Es gibt viele Generationsbezeichnung, die eher ein Etikettenschwindel sind. Das liegt in der Natur der Sache: Man möchte etwas plakativ ausdrücken. Dann spricht man von der

Generation Merkel, wenn es um Politikverdrossenheit geht oder von der

digitalen Generation, wenn man darauf hinweisen will, dass eine bestimmte Gruppe mit dem Internet aufgewachsen ist. Das Besondere am Generationenbegriff in der Soziologie ist, dass er davon ausgeht, dass durch eine historische Zäsur auch eine Zäsur zwischen Altersgruppen erfolgt.

Die Corona-Pandemie ist eine solche Zäsur und ändert unsere Lebenshaltung grundlegend. Das betrifft natürlich zunächst einmal alle in der Bevölkerung; für uns alle ist die Zukunft gewissermaßen in Klammern und auf Widerruf gesetzt. Es ist auch ein globales Phänomen. Aber die Pandemie trifft uns eben in verschiedenen Lebensphasen. Der Übergang vom Jugendalter zum Erwachsenenalter ist dabei eine besondere Phase. Man spricht auch davon, dass junge Menschen in der Rush Hour des Lebens sind, wo ganz viel passiert und in einem kurzen Zeitraum entschieden werden muss. Es werden die Weichen für die kommenden Jahrzehnte gestellt.

Kein Urlaub, kein Auslandssemester oder ein schwieriger Start ins Berufsleben sind ja aber Aspekte, die bestimmte junge Menschen auch schon vor der Pandemie gut kannten – zum Beispiel jene aus Arbeiter*innenfamilien.

Man unterscheidet in der Generationenforschung drei Dimensionen. Das eine ist die Alterslagerung: welchem Jahrgang gehöre ich an, in welcher Lebensphase trifft mich ein historischer Einschnitt. Dann gibt es die sogenannte Generationseinheit, das sind verschiedene Milieus, die sich innerhalb der Generation bemerkbar machen, zum Beispiel Arbeiterkinder und Akademikerkinder, aber auch verschiedene Jugendkulturen, von denen manche die Pandemie härter trifft als andere. Aber was die Generation eigentlich kennzeichnet, ist der sogenannte Generationszusammenhang.

Für junge Menschen ist die Schnittmenge, dass in einer Übergangsphase durch die Corona-Pandemie eine zusätzliche Unsicherheit entsteht. Übergänge sind immer unsicher, weil man sie mehr oder weniger erfolgreich bestreiten kann und am Anfang nie weiß, wie es am Ende ausgeht. Jetzt kommt für junge Menschen hinzu, dass sie sich gewissermaßen darauf einstellen müssen, dass die Pandemie immer wieder Pläne durchkreuzt. Das ist eine doppelte Verunsicherung. Und die betrifft den Hauptschüler, der eine Berufsausbildung machen will genauso wie den Gymnasiasten, der studieren möchte.

In der derzeitigen öffentlichen Diskussion wird Jugendlichen und jungen Erwachsenen immer wieder unterstellt, zu sorglos zu sein. Deckt sich das mit Ihren bisherigen Erkenntnissen?

Nein. Das hängt aber auch damit zusammen, dass wir Onlineinterviews führen und dabei vor allem mit jungen, in der Regel sehr gebildeten und medienaffinen Personen sprechen. Wir suchen gerade nach Kontrastgruppen, um diesen Bias auszugleichen.

Die Annahme bestätigt sich aber auch nicht, wenn wir in Jugendstudien oder allgemeine Bevölkerungsumfragen schauen. Stattdessen sieht man, dass es in den vergangenen fünf bis zehn Jahren ein verstärktes politisches Interesse junger Menschen gegeben hat und eine zunehmend pro-soziale Einstellung, die sich zum Beispiel in Form von Engagement bei Fridays for Future oder in der Geflüchtetenkrise zeigt. Natürlich kann niemand ausschließen, dass es Jugendliche gibt, die indifferent sind. Das wird es in jeder Jugendgeneration geben und hat es auch bei denen gegeben, die heute 60, 70, 80 Jahre alt sind. Auch in dieser Hinsicht sind Generationen heterogen. Jetzt fallen aber natürlich vor allem beim Thema Partys jene auf, die uneinsichtig sind.

Wie blicken die jungen Menschen, mit denen Sie gesprochen haben, denn in ihre Zukunft?

Wir beobachten eine Ambivalenz: Viele Dinge, die jetzt zu der Lebensphase eigentlich dazugehören, können junge Menschen nicht tun. Zum Beispiel Freundschaften pflegen, neue Menschen kennenlernen, sich in neuen sozialen Räumen zurechtfinden. Es wird aber sehr wohl von fast allen reflektiert, dass das eigene Verhalten in der Pandemie Auswirkungen auf andere hat, insbesondere auf Ältere und sogenannte Risikogruppen.

Was im Moment eine der Hauptstrategien zu sein scheint, ist, dass wichtige Entscheidungen entweder verschoben werden oder Zwischenlösungen gefunden werden. Dann wird zum Beispiel erst mal ein freiwilliges soziales Jahr oder ein Praktikum gemacht, das einem ermöglicht, aktiv zu sein und in einem bestimmten Bereich Erfahrungen zu sammeln. So muss man sich nicht festlegen.

Das klingt ja total pragmatisch.

Diese Bewältigungsformen sind natürlich Ausdruck einer starken Verunsicherung. Der Verunsicherung, dass bestimmte Optionen, die man vor der Pandemie favorisiert hat, nicht möglich sind. Wenn sich jemand zum Beispiel für den Kulturbereich interessiert hat, dann gehen einige nun nicht in diese Richtung, weil sie denken: Diese Branche ist ganz besonders stark von der Pandemie betroffen, das macht keinen Sinn.

Was glauben Sie, wie langfristig diese Auswirkungen sein werden?

Es kann durchaus sein, dass eine reduzierte Selbstwirksamkeit aufgebaut wird. Das betrifft die Frage, wie ich in die Welt eingreifen kann. Wer eine starke Selbstwirksamkeitsüberzeugung hat, der glaubt, dass er das, was er sich vornimmt, auch erreichen kann. Der Gegenpol ist die fatalistische Wirksamkeitsüberzeugung: Meine Pläne klappen nie. Und zwischen diesen Polen gibt es unterschiedliche Formen, wie stark man daran glaubt, Erfolg zu haben und darauf aufbauen zu können.

Genau da sehe ich das Problem: Man kann in der Pandemie und in Übergangsprozessen keine Schritte gehen, auf denen man aufbauen kann. Was man tut, kann leicht umgeworfen werden durch neuere Entwicklungen. Das greift das Selbstvertrauen an. Was auch passieren kann, ist, dass man Entscheidungen bereut. Gerade die, die jetzt vielleicht lieber auf die sichere Option setzen und nicht das tun, was sie eigentlich gern machen würden, zum Beispiel im Kulturbereich. Da kann Verbitterung entstehen.

Dabei könnte man doch annehmen, dass junge Menschen, die überwiegend digital affin sind, nicht am schlechtesten für eine Welt gerüstet sind, die gerade vieles von offline zu online verlagert.

Das war auch die ursprüngliche Idee, die wir im Kopf hatten, doch dieser Eindruck hat sich nicht bestätigt. Dazu haben wir gerade eine Gruppe von digitalen Pionieren und Influencern interviewt, die wir vor ein paar Jahren schon mal befragt hatten. Offline wird jetzt von den meisten positiv bewertet und auch als etwas, das vermisst wird, während Online eher eine Behelfslösung darstellt. Der Online-Sphäre wird auch eine geringere Wirklichkeitsintensität zugeschrieben.

Das bedeutet?

Verlust von Wirklichkeitsintensität meint Aussagen wie: 'Ich erfahre online nicht wirkliche Unterstützung', 'Ich erfahre online nicht wirkliche Kommunikation', 'Ich kann online Situationen nicht so echt erleben, wie ich es in der realen, physischen Welt kann.' Das ist interessant, weil im Frühjahr die Herangehensweise war: Vieles kann im Raum der virtuellen Welt kompensiert werden. Nun ist es wie mit den Kirschen im Nachbarsgarten: Das was man nicht hat oder haben kann, wird aufgewertet.