Unsere Gesellschaft wäre ärmer. Ärmer an kulturellen Einrichtungen, ärmer an Freizeitmöglichkeiten für Kinder. Und vor allem ärmer an Zusammenhalt – wenn es die Ehrenamtler*innen nicht gäbe. Die Zahlen zu Menschen, die sich freiwillig engagieren, schwanken je nachdem, wie weit die Definition von Ehrenamt gefasst wird. Oft wird zwischen ehrenamtlichem und freiwilligem Engagement unterschieden, das je nach Tätigkeit auch mal mit einem kleinen Taschengeld entlohnt werden kann. Meistens werden diese zwei Gruppen jedoch zusammengedacht. Laut Erhebungen des Bundes engagiert sich fast die Hälfte aller Menschen über 14 Jahren in einer freiwilligen Tätigkeit für das Gemeinwohl: in der Nachbarschaft, in einer Partei, in einer Religionsgemeinschaft, im Katastrophenschutz oder in sozialen Einrichtungen. Die meisten übernehmen Aufgaben in Sportvereinen: Rund acht Millionen Menschen verbringen ihre Wochenenden meist unentgeltlich auf Sportplätzen oder in Vereinssitzungen.

Unsere Gesellschaft würde wahrscheinlich zerfallen und verbrennen ohne Ehrenamtler*innen: bei der freiwilligen Feuerwehr, beim Roten Kreuz, im Technischen Hilfswerk, sprich in der Katastrophenhilfe und in der Brandbekämpfung engagieren sich fast 1,8 Millionen Menschen.

Es ist gut, dass es euch gibt. Aber ist es erfreulich, dass ihr gebraucht werdet?

In den vergangenen Jahren hat gerade die Zahl der Menschen, die sich mit und für Geflüchtete engagieren, zugenommen: 2015 war es mehr als die Hälfte der Bevölkerung, heute fast jede*r fünfte. Rund 15.000 Projekte bieten ihre Hilfe an. Unterstützer*innen geben Deutschunterricht, begleiten Geflüchtete bei Behördengängen und schlagen sich mit bürokratischen Angelegenheiten um. Sie sind unverzichtbar.

Es ist gut, dass es euch gibt, liebe Freiwillige und Ehrenamtler*innen. Aber ist es erfreulich, dass ihr gebraucht werdet? Das Bundeskabinett hat am 6. Juli den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2019 und den Finanzplan bis 2022 beschlossen. "Die Wirtschaft brummt, wir haben Rekordbeschäftigung in Deutschland, die Finanzen sind geordnet", sagte Bundesminister der Finanzen, Olaf Scholz, dazu. Und: "Ich plane Rekordinvestitionen, das heißt mehr Geld für gute Straßen, attraktiven Schienenverkehr und schnelles Internet, für Bildung und für Forschung. Wir stärken den sozialen Zusammenhalt mit zusätzlichen Ausgaben." Was jedoch besonders ins Auge sticht: Der Etat des Verteidigungsministerium macht den zweitgrößten aus und wächst von 38,5 Milliarden Euro auf 43,2 Milliarden Euro. Geplant sind neue Investitionen in Bundeswehrschiffe.

Wie viele Pfleger*innen könnten in Vollzeit mit anpacken, wenn der politische Wille dazu da wäre?

Berufstätige Sozialarbeiter*innen, Kranken- und Entbindungspfleger*innen, Kindergärtner*innen und andere unverzichtbare Dienstleister*innen unserer Gesellschaft bemängeln indes seit Jahren ein zu niedriges Einkommen für zu viel Arbeit. Im öffentlichen Dienst richtet sich das Gehalt nach der Qualifikation, der Berufserfahrung und dem Bundesland, ist also in erster Linie keine Angelegenheit der Bundespolitik. Dennoch fehlt seit Jahren ein ernst zu nehmender und konsequenter Vorstoß der Länder, mit Unterstützung des Bundes, gegen prekäre Arbeitsverhältnisse in der Dienstleistungsbranche anzugehen. Bei Sozialarbeiter*innen bildet etwa Mecklenburg-Vorpommern mit einem Einkommen von durchschnittlich knapp 2.200 Euro das Schlusslicht. Selbst eine Tarifbezahlung ist oft nicht selbstverständlich.

Hinzu kommt, dass 33 Prozent aller Arbeitnehmer*innen in Teilzeit beschäftigt sind. Das gilt etwa für vier von fünf Frauen in der Arbeit mit Kindern und Pflege. Wie viele von ihnen könnten in Vollzeit mit anpacken, wenn der politische Wille dazu da wäre, ihnen dafür die Möglichkeiten zu bieten: Wenn es etwa genügend Kita-Plätze gäbe, damit insbesondere alleinerziehende Frauen nicht dazu gezwungen wären, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Der Deutsche Gewerkschaftsbund stellt außerdem fest: "Oft geht der Teilzeitwunsch nicht von den Beschäftigten aus. Für Arbeitgeber ist es das Instrument, mit dem Arbeitsstunden am einfachsten mal verringert und mal erhöht werden können, das spart Kosten."

Gerade in der Geflüchtetenhilfe brauchen viele Menschen professionelle Unterstützung. Allein in den Jahren 2015 und 2016 seien geschätzt eine Viertel Million Geflüchtete nach Deutschland gekommen, die eine Behandlung traumatischer Erfahrungen brauchen, so Expert*innen. Die Versorgungsstrukturen dazu würden jedoch fehlen. Auch beim guten Willen: Ein gebackener Kuchen oder eine Kleiderspende therapieren Flucht- und Foltererfahrungen nicht. Gerade Kinder brauchen beständige und verlässliche Hilfe.

In meiner Heimatstadt betreute ich rund ein Jahr lang in einer Notunterkunft für geflüchtete Menschen eine Kindergruppe. Ich sah sie aufwachsen, sich einleben, ein Teil der Gemeinschaft werden und auch ein Teil meines Lebens, wie ich auch einer ihres wurde. Dann zog ich weg in eine andere Stadt. Ich hatte andere Prioritäten, die Arbeit dort war nicht mein beruflicher Lebensmittelpunkt. Die Kinder musste ich zurücklassen, nachdem sie über Monate hinweg eine Bindung zu mir aufgebaut hatten. Später fragte ich mich, ob ich nicht mehr Schaden angerichtet hatte, als zu helfen. Solche Verlusterfahrungen machen diese Kinder ständig, solange ihre ersten Bezugspersonen in Notunterkünften Freiwillige und Ehrenamtler*innen sind, die ihnen eben nur so viel Zeit und Raum in ihrem Leben bieten können, wie neben Beruf, Studium, Schule, Familie und Freund*innen übrig bleibt.

Ehrenamt bedeutet Arbeit zu verrichten, die qualifizierte Menschen besser tun könnten. Und dafür anständig bezahlt werden sollten. Ehrenamt ist eine Frage von persönlichen Kapazitäten, zeitlich wie emotional. Nicht alle sind imstande, kranke Menschen in den Tod zu begleiten. Nicht alle können mit traumatisierten Kindern umgehen, mit Katastrophen und Bränden. Dabei sollte würdevolles Altern und Hilfe bei Krankheit und Not zweifelsohne nicht von der Güte und den Möglichkeiten anderer abhängig sein. Wir sprechen hier von einem Grundrecht, für das der Staat funktionierende Strukturen schaffen muss. Dafür ist er da. Ehrenamtler*innen sollten nicht als Lückenbüßer*innen fungieren, für Leerstellen, die der Sozialstaat anderweitig nicht zu füllen weiß und will.