Die Aktivist*innen der Gruppe Wave-Thessaloniki versucht, mit ihrer Arbeit eine Gruppe von Menschen zu unterstützen, die im öffentlichen Diskurs oft vergessen wird: obdachlose Geflüchtete. Meist wollen diese von Griechenland über die Balkanroute weiterziehen. Derzeit ist das aber nicht möglich, da die Grenzen geschlossen sind.

Die Covid-19-Pandemie beherrscht auch die Tagesabläufe der Helfer*innen und hilfsbedürftigen Menschen, die sich an Wave-Thessaloniki wenden. Im Gespräch mit ze.tt erzählt Helferin Justyna R. (Name auf Wunsch der Interviewpartnerin gekürzt), wie die Pandemie ihre Arbeit und das Leben obdachloser Geflüchteter in der Stadt beeinflusst.

ze.tt: Justyna, um wie viele Menschen kümmert ihr euch gerade?

Justyna R.: Wir kümmern uns sieben Tage pro Woche um 250 obdachlose Migrant*innen. Wir sehen täglich Neuankömmlinge und vermissen oft ein paar "Alteingesessene". Seit zwei Jahren arbeiten wir auf der Straße und vor einem Jahr haben wir einen

social space eröffnet. Wir sind die Einzigen, die sich um die obdachlosen Geflüchteten kümmern, ohne nach Papieren zu fragen oder Limits zu setzen. Diese dokumentenlose Gruppe gerät leicht in Vergessenheit und wird aus dem System ausgeschlossen.

Wie sieht eure tägliche Arbeit normalerweise aus?

Wir arbeiten mit der deutschen Organisation Medical Volunteers International zusammen. Sie kümmern sich um die Wund- und Krankenversorgung, während wir die Küche übernehmen und täglich für alle kochen. Außerdem versorgen wir die Leute mit dem Nötigsten, auch außerhalb der Küche.

Die Männer leben und schlafen im ständigen Stress und in Unsicherheit. Jederzeit kann sie jemand an ihrem Schlafplatz finden und verhaften.
Justyna

Griechenland hat im März das Asylrecht ausgesetzt. Welche Konsequenzen hatte das für euch?

Schon vor dem Ausbruch des Virus in Griechenland wurde viel griechische Polizei an die Grenzen geschickt. Das war Ende Februar, als tausende Geflüchtete aus der Türkei mit Bussen an die griechische Grenze gebracht worden sind. Das Asylbüro wurde bereits zu diesem Zeitpunkt geschlossen. Neuankömmlinge können sich nicht im System anmelden, weil es derzeit nicht möglich ist, einen Asylantrag zu stellen. Diejenigen, die jetzt ihr Interview gehabt hätten, leben seit geraumer Zeit in Unsicherheit. Sie können jederzeit verhaftet werden und wissen nicht um ihre Zukunft.

Die Grenzen sind wegen der Covid-19-Pandemie geschlossen, ein Weiterkommen ist für die Geflüchteten nicht möglich. Wie ist die Stimmung unter den Menschen, denen ihr helft?

Die Stimmung ist sehr gedrückt. Viele verlassen ihre Schlafstellen in Häuserruinen und die Camps nicht. Auch nicht, um Essen abzuholen oder sich medizinisch versorgen zu lassen. Sie haben Angst, verhaftet oder abgeschoben zu werden. Es gibt keine Möglichkeiten zu duschen, da selbst Organisationen, die Duschtermine anbieten, auf die man teilweise wochenlang warten muss, derzeit wegen Corona geschlossen sind. Die Männer leben und schlafen im ständigen Stress und in Unsicherheit. Jederzeit kann sie jemand an ihrem Schlafplatz finden und verhaften. Sie können ihre Kleidung nicht waschen und im Notfall auch nicht ins Krankenhaus, weil auch dort bei fehlenden Dokumenten die Polizei gerufen wird. Oder die Behandlung wird schlichtweg verweigert.

Wir schließen eine große Lücke im System. Es gibt nur bei uns medizinische Versorgung für obdachlose Geflüchtete und tägliche Verpflegung.
Justyna

Wie wirkt sich die Covid-19-Pandemie auf euch Helfer*innen aus?

Es ist schwierig, unter den aktuellen Bedingungen zu arbeiten. Normalerweise findet unsere Arbeit drinnen statt. Jetzt mussten wir ein ganzes System auf die Straße verlegen. Das bedeutet, die medizinische Versorgung und Essensausgabe für 250 Leute bereitzustellen, dabei die Abstände einzuhalten und gleichzeitig mit einem kleineren Team zu arbeiten. Viele Teammitglieder mussten abreisen, bevor die Grenzen geschlossen wurden. Andere konnten gar nicht erst anreisen. Hinzu kommt, dass nicht mehr als fünf Leute an der Essensvorbereitung beteiligt sein dürfen. Bei den Mengen, die wir täglich produzieren müssen, bedeutet das mehr Arbeit. Die ständigen Polizeikontrollen erleichtern die Situation nicht. Wahrscheinlich werden sie von Nachbar*innen gerufen, die die Menschenmengen sehen.

Könnt ihr die Hygienestandards überhaupt einhalten?

Wir versuchen es. Wir desinfizieren die Hände jeder ankommenden Person und achten darauf, den Mindestabstand einzuhalten. Das Team trägt Masken und Handschuhe und die Migrant*innen werden mit Seife und Masken versorgt. Außerdem wird jede*r nach dem Erhalt ihres*seines Essens sofort weggeschickt.

Viele Teammitglieder mussten abreisen, bevor die Grenzen geschlossen wurden. Andere konnten gar nicht erst anreisen.
Justyna

Was braucht ihr, um den Menschen besser helfen zu können?

Wir wünschen uns erst mal Anerkennung und Toleranz seitens der Behörden. Wir schließen eine große Lücke im System. Es gibt nur bei uns medizinische Versorgung für obdachlose Geflüchtete und tägliche Verpflegung. Trotzdem werden wir ständig von der Polizei kontrolliert und aufs Neue befragt. Während der gesamten Corona-Ausgangs- und Kontaktbegrenzungen waren wir die einzig aktive Organisation in der Stadt. Wir brauchen auch immer finanzielle Unterstützung, um Unterwäsche, Hygieneartikel, Schlafsäcke, Socken und Klamotten einzukaufen und zu verteilen. Im Winter statten wir die Leute mit warmer Kleidung, Handschuhen, Mützen, Schals und Schlafsäcken aus, damit sie die Minusgrade in der Nacht überstehen. Wer sich außerdem aktiver beteiligen möchte: Helfende Hände sind immer herzlich willkommen.