Roman ist 23 Jahre alt, Psychologiestudent und von Geburt an blind. Trotzdem fährt er Auto – zumindest nachts, von seinem Bett aus. Denn Roman ist Klarträumer. Er stellt in seinem Traum plötzlich fest, dass er träumt – und kann ihn daher kontrollieren.

Roman tut dann, was immer er will. "Fliegen ist natürlich cool. Und ich liebe es, durch Wände zu gehen", schwärmt der 23-Jährige. "Das Gefühl ist einfach total spektakulär." Dann lacht er: "Einmal hab ich so lange an all meinen Gliedmaßen gezogen, bis ich so groß war, dass ich den ganzen Raum ausgefüllt habe. Und mich wie Gummi gefühlt habe – das war auch spannend."

Eine Sache hat Roman allerdings noch nicht probiert: Ob er im Traum sehen kann. "Ich bin mir nicht sicher, ob das klappen könnte. Denn eigentlich habe ich ja überhaupt keine Vorstellung davon – ich bin ja von Geburt an blind. Es ist aber bestimmt interessant, sich das mal vorzunehmen."

Wie erlangt man Kontrolle über seine Träume?

Sich etwas für seine Klarträume vorzunehmen, sei sowieso wichtig, meint Roman. "Sonst machst du immer wieder das Gleiche. Wenn dir nichts anderes einfällt, dann fliegst du halt wieder durch die Luft."

Roman war 13 Jahre alt, als er sich das erste Mal mit dem Thema Träumen beschäftigte. "Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Träumen eine große Bedeutung beigemessen wird. Besonders meine Oma hat da sehr dran geglaubt." Also hat Roman angefangen, über das Thema zu recherchieren – und stolperte über Klarträume.

Doch wie schafft man es überhaupt, dass man im Traum die Kontrolle bekommt? "Es gibt sogenannte Induktionstechniken", erklärt Schlafforscher Michael Schredl.

Die effektivste Methode ist die "Wake up and back to bed"-Technik, die Schredl auch bei der Forschung im Schlaflabor anwendet. "Der Schlafende wird nach sechs Stunden aufgeweckt.  Dann muss er von seinem Traum erzählen." Die nächste Stunde bleibt man dann wach und denkt über den Traum nach. "Um sich vorzunehmen, dass man – wenn man noch einmal von so einer Situation träumt – weiß, dass man träumt." Im Schlaflabor haben etwa 50 Prozent der Personen nach dieser Technik einen Klartraum.

Die einfachste Induktionstechnik ist der sogenannte Realitätscheck. "Man sollte sich fünf bis zehn Mal am Tag fragen, ob man wirklich wach ist. Und danach seine Umgebung genau beobachten." Das soll dann bewirken, dass man sich die Frage auch im Traum stellt – und die Chance hat, zu merken, dass mit der Umgebung irgendetwas nicht stimmt.

Roman träumt zum Beispiel öfter von sprechenden Hunden. "Ich saß auch schon im Bus und hab gemerkt, dass der Fahrer etwas Komisches angesagt hat. Da bin ich dann klar geworden." Manchmal macht Roman dann direkt einen Gegentest: "Ich halte mir Mund und Nase zu und versuche, zu atmen – was ja eigentlich nicht geht. Aber wenn es funktioniert, weiß ich, dass ich im Traum bin." Manchmal schreit Roman auch einfach los: "Ich träume! Yeeeah!"

Solche Elemente baut Roman immer wieder in seinen Klartraum ein – aus gutem Grund: "Sie wirken stabilisierend", erklärt er. Ansonsten besteht die Gefahr, das Bewusstsein dafür, dass man träumt, wieder zu verlieren. "Manche Menschen denken dann zum Beispiel, dass sie aufgewacht sind – obwohl sie nur geträumt haben, dass sie aufwachen", erklärt Schlafforscher Schredl. Auch er hat einen bestimmten Trick, um sein Bewusstsein zu halten, dass er noch im Traumland ist: "Ich springe hoch – und schaue, ob ich langsam runter schwebe."

Fit werden oder die Angst verlieren

Kritiker*innen befürchten, dass  die Manipulation von Träumen schädlich sein könnte – bisher konnte diese These aber noch nicht bestätigt werden. Dagegen gibt es neben dem nächtlichem Spaß und der Abwechslung noch einige positive Effekte, die das Klarträumen haben kann: Bei Sportlern ist es beispielsweise eine beliebte Technik, um Bewegungsabläufe auch im Schlaf zu trainieren.

Klarträume können aber auch dabei helfen,  Albträume zu beeinflussen. "Ein Klarträumer kann sich vornehmen, dass er die Situation im Traum verändern kann", erklärt Schlafforscher Michael Schredl. Und genau das kann helfen – denn den meisten Albträumern macht nicht nur der schlechte Traum an sich zu schaffen. Es ist vor allem die Hilflosigkeit, der sie darin ausgesetzt sind. Sie steigert die Angst, solange, bis man erwacht. Ein Klarträumer dagegen muss sich nicht hilflos fühlen – er weiß ja, dass er seinen Traum beeinflussen kann.

Auch Roman hat durch einen Klartraum schon Hilfe bekommen – wenn auch auf andere Art. Der 23-Jährige war sich nicht sicher, warum es ihm auf Partys schwer fällt, Frauen kennen zu lernen. Aufgearbeitet hat er die Frage dann im Traum.

"Ich war auf einer Party und habe gerufen: Was ist das Problem?" Danach schwebte Roman plötzlich über der ganzen Szene – und konnte sich selbst beobachten. Er stand bei einem Mädchen, das ihm in der Realität gefallen hatte. Erkannt hat er sie an der Stimme – denn daran macht der blinde Student auch fest, ob er eine Frau attraktiv findet.

"Daneben stand aber noch eine andere Frau – deren Gedanken ich irgendwie spüren konnte." Und die dachte sich, dass sie wahrscheinlich die gleiche Anmache erwartet, die Roman schon vorher bei der ersten Frau verwendet hat. "Wenn dir eine Frau gefällt und du bist blind – dann kannst du eigentlich immer mit einer Ausrede dazwischen gehen. Sie einfach nach der Uhrzeit fragen zum Beispiel." Roman lacht: "Als Blinder brauchst du halt Hilfe. So kann man das dann auch mal ausnutzen."

Der Traum hat ihm aber gezeigt, dass er das lieber lassen sollte. "Meine Lektion, die ich so daraus gezogen habe, war: Man sollte sich für jede Frau etwas ganz ganz Besonderes überlegen. Und nicht immer mit der gleichen Tour kommen."