"Vielleicht kommen noch mehr Coming-outs", ließ Mavi Phoenix in der Talkshow 4 Wegen Rap vom Diffus-Magazin Mitte 2019 verlauten. Damals wurde er noch als starke Frau und feministische Vorreiterin in der Hip-Hopszene des deutschsprachigen Raums gefeiert. Im Dezember des letzten Jahres kam dann die Überraschung, die heute gar nicht mehr so überraschend wirkt: Mavi Phoenix ist ein Mann.

Denn Marlon, wie er sich mittlerweile privat nennt, war die Rolle als feministische Ikone schon immer unangenehm. Was zu der Erkenntnis der eigenen Identität und dem Mut, für sich selbst einzustehen, geführt hat, erklärt der österreichische Rapper im Interview.

ze.tt: Mavi, deine erste Hochphase hattest du 2018, in einer Zeit, in der du stark für deine damals zugeschriebene Weiblichkeit gefeiert wurdest. Hat sich das damals schon unpassend angefühlt für dich?

Mavi Phoenix: Ich habe durch diesen Beruf gemerkt, wie sehr ich mein Geschlecht verdränge. Dann kamen die Fragen, wie ich mich als Frau im Rap fühle. Feminismus war plötzlich ein riesiges Thema, was an sich gut ist. Ich habe damals schon nicht gern darüber gesprochen. Allein die Frage, wie irgendetwas als Frau ist, war mir zu viel. Ich konnte mein Geschlecht dann nicht mehr so verdrängen, wie ich es vorher getan habe.

Natürlich habe ich früher auch versucht, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich eine Frau bin.
Mavi Phoenix

Gab es da Druck, als Frau performen zu müssen?

Kleider, Röcke oder hohe Schuhe mochte ich noch nie. Am Anfang wollten die Stylisten aber genau das, gerade für die Musikvideos. Später wurde das nicht mehr von mir verlangt. Aber ich musste es immer erklären, wenn ich mit neuen Leuten gearbeitet habe. Wenn ich weiblich performt habe, dann wusste ich es zu der Zeit nicht besser. Jedes Foto, jedes Video ist von mir abgesegnet. Natürlich habe ich früher auch versucht, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich eine Frau bin.

Wann hast du die Differenz zwischen deiner Eigen- und der Außenwahrnehmung, was dein Geschlecht angeht, zum ersten Mal bemerkt?

Als Kind, ohne Scheiß. Ich habe immer darüber getagträumt, wie wohl die Vorgänge in meinem Körper ablaufen. In diesen Vorstellungen war ich immer ein Junge. Dabei hatte ich noch gar nicht realisiert, dass es da einen Konflikt gibt. Über die Pubertät hinweg habe ich diese Gedanken total verdrängt.

Meine Exfreundin hat mich eines Tages darauf angesprochen, ob es nicht sein könnte, dass ich ein Mann bin. In dem Moment ist alles von mir abgefallen und ich habe geheult.
Mavi Phoenix

Wer war die erste Person, an die du dich mit deinen Gedanken wenden konntest?

Meine Exfreundin hat mich eines Tages darauf angesprochen, ob es nicht sein könnte, dass ich ein Mann bin. In dem Moment ist alles von mir abgefallen und ich habe geheult. Es ist krass, wenn das ausgesprochen wird. Damals wusste ich gar nicht, wie das möglich sein kann. Das Thema Transgender fand in meinem Leben noch nicht statt. Das kannte ich nur aus dem Fernsehen, wo das als Tragödie dargestellt wird. Gefangen im falschen Körper, das will man nicht sein.

Wie wurde dir gezeigt, dass es überhaupt möglich ist, trans zu sein und als Mann zu leben?

Ende 2018 habe ich realisiert, dass es nicht mehr so weitergeht. Mir hat das als Frau auch niemand abgekauft. Ich konnte die weibliche Rolle nicht weiter verkörpern. Das Internet hat sehr geholfen. Es gibt viele trans Männer auf YouTube, das hat mir Mut gegeben. Da habe ich erfahren, dass es die Möglichkeit gibt, sich einmal pro Woche Testosteron in den Oberschenkel zu spritzen, womit schon ziemlich viel getan ist. Ohne krasse Operationen. Plötzlich wusste ich, dass es machbar ist.

In erster Linie musste ich mir meine Geschlechtsidentität selbst eingestehen, mich damit auseinandersetzen und es annehmen.
Mavi Phoenix

Du hattest dich zuerst als homosexuell geoutet. In der Talkshow 4 Wegen Rap hast du Mitte letzten Jahres auch gesagt: "Vielleicht kommen noch mehr Outings."

Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon mit meinem Management geredet und es war klar, dass das zweite Coming-out kommt. Es war schräg, über meine Homosexualität zu reden, weil ich mich auch damals schon viel mehr als heterosexueller Mann identifiziert habe. Mitte 2019 war das alles aber noch so unsicher, dass ich noch nichts dazu gesagt habe.

Auf wie vielen Stufen fand dein Coming-out statt?

In erster Linie musste ich mir meine Geschlechtsidentität selbst eingestehen, mich damit auseinandersetzen und es annehmen. Dann habe ich relativ schnell meinen Manager angerufen und stundenlang mit ihm darüber geredet. Wir haben jahrelang daran gearbeitet, mich als weibliche Künstlerin aufzubauen. Da hängen Leute drin, auch finanziell. Ich habe mich verantwortlich gefühlt, das zu erzählen. Das fiel mir auch leichter als bei der Familie, die erst relativ zeitgleich mit dem öffentlichen Coming-out davon erfahren hat.

Meine Karriere war zu Teilen auch auf das Image als starke Frau aufgebaut. Das ist natürlich für viele krass, wenn sich das ändert.
Mavi Phoenix

Hattest du größere Sorgen als bei deinem ersten Coming-out?

Dass ich auf Frauen stehe, war keine große Überraschung, glaube ich. Ich habe in meinen Liebesliedern nie Männer erwähnt. Wenn man sich als trans outet, ist das ein bisschen komplizierter. Ich kenne keine*n trans Künstler*in außer Kim Petras. Die meisten Leute haben keine Berührungspunkte mit trans Personen. Meine Karriere war zu Teilen auch auf das Image als starke Frau aufgebaut. Das ist natürlich für viele krass, wenn sich das ändert.

Welche Vorbilder gab es für dich in der Musikszene?

Tyler, The Creator ist extrem wichtig für mich, David Bowie auch. Das sind keine trans Personen, aber sie sind authentisch ohne Rücksicht auf Verluste. Das sind Artists, die Stärke zeigen, sie selber zu sein.

Dein Debütalbum Boys Toys ist gerade erschienen. Die gleichnamige Single gibt's schon länger. Kannst du das Konzept hinter dem Titel erklären?

Boys Toys ist mein Alter Ego. Das bin ich als kleiner Junge. Das ist relativ spontan im Studio entstanden, während wir mit Soundeffekten rumgespielt haben. Die Idee von einem Alter Ego und der Name Boys Toys bestehen aber schon länger. Ich fand das auf dem gleichnamigen Track so cool, dass ich diesen Charakter in jedem Song vorkommen lassen wollte. Jetzt führt er durch das Album.

Wie ist dieses Konzept im Video zu Boys Toys umgesetzt?

Das Video ist zusammen mit Elisaveta Porodina entstanden, eine wahnsinnige Künstlerin und ein sehr toller Mensch, unfassbar kreativ. Als Startschuss für das Album wollte ich unbedingt mit Männlichkeitsrollen spielen. Wenn ich für mich sage, dass ich ein Mann bin, was heißt das überhaupt? Im Video gibt es den Romantiker, den verletzten Künstler, den Muskelmann, den Businessmann. Und natürlich die männlich konnotierten Spielzeuge, die Modellflugzeuge. Boys Toys eben.

Im Video zu Fck It Up kommen wieder Spielzeuge vor. Wo liegt da der Unterschied?

Bei Fck It Up wollte ich meine eigene Welt kreieren. Die Häuser, die im Hintergrund zu sehen sind, habe ich selbst gezeichnet. Ich stand vor der Frage, wie ein Universum aussieht, in dem mein Alter Ego Boys Toys lebt. Das sollte wirken wie eine Kinderserie, bei der die Eltern den Fernseher nach fünf Minuten wieder ausschalten. Ich glaube, das Fck It Up-Video kommt auch deswegen so gut an, weil wir meinen persönlichen Style zum ersten Mal konsequent durchgezogen haben. Das sind keine konservativen Männerrollen mehr, sondern ich bewege mich in meiner eigenen Welt, so wie ich mich fühle.

Trans zu sein, das ist keine Tragödie. Es ist eine riesige Chance, um herauszufinden, wie man sich wohlfühlt.
Mavi Phoenix

Wie entwickelt sich dein Alter Ego im Laufe des Albums?

Am Anfang ist er noch sehr hyper, ganz aufgeregt schreit er auf dem ersten Track rum. Das Thema Transgender wird immer so heavy gemacht. Ich möchte das nicht, das sollte keine große Sache sein. Trans zu sein, das ist keine Tragödie. Es ist eine riesige Chance, um herauszufinden, wie man sich wohlfühlt. Deswegen wollte ich sofort am Anfang klarstellen: Ich bin in erster Linie Entertainer und Musiker. Auf Scary Thoughts redet das Alter Ego dann aber auch über die Isolation, die es verspürt. Es tritt immer wieder mit wichtigen Sätzen auf, zum Beispiel: "Just because my voice is high, doesn’t mean I’m not a guy." Auf dem letzten Track sagt mein Alter Ego dann: "Do what the fuck you want!" Das ist die Akzeptanz.

Auf 12 Inches rappst du darüber, dass deine Familie dich geghostet hat.

Ghosten ist ein hartes Wort. Das ist einer der ehrlichsten Songs auf dem Album. Ich war mir lange nicht sicher, ob er erscheinen wird. Er zeigt klar, wie ich fühle und wie ich durch diese Ereignisse gehe. Meine Eltern sind toll, aber für sie war es schwierig. Sie kannten das nur aus dem Fernsehen. Das hat Abstand und Zeit gebraucht. Man hört sich nicht mehr so oft wie früher, aber das ist okay.

Trans zu sein verkompliziert viele Dinge. Ich bin ein Mann und stehe auf Frauen, aber die Frauen, die mich gut finden, finden mich als Frau gut.
Mavi Phoenix

Worum dreht sich Choose Your Fighter?

Ich liebe diesen Song. Es ist ein Ausbruch, Trotz spielt eine große Rolle. Ein harter Typ sein. Da spielt toxische Männlichkeit mit rein. Auch das ist wichtig. Auf Player singe ich: "I wanna be a player, sooner than later." Trans zu sein verkompliziert viele Dinge. Ich bin ein Mann und stehe auf Frauen, aber die Frauen, die mich gut finden, finden mich als Frau gut. Die Frauen, die ich gedatet habe, waren immer hetero. Als ich ihnen später erklärt habe, dass ich ein Mann bin, hat das viel mehr Sinn ergeben.

Woher kommt es, dass du auch toxische Verhaltensweisen in diese Texte übernimmst?

Um mich männlich zu fühlen, habe ich begrenzte Möglichkeiten. In meinem Kopf findet ein binäres Denken statt, obwohl das problematisch ist. Danach richte ich mich, versuche aber, dem entgegenzuwirken. Ich bin sehr sensibel und heule oft und gern. Diese binären Kategorien ergeben überhaupt keinen Sinn, weder allgemein, noch für mich persönlich. Sie sind trotzdem sehr präsent.

Wie denkst du über den Albumrelease?

Ich freue mich extrem. Für mich als Künstler und Mensch ist es wichtig, jetzt Tacheles zu reden. Alben sind nicht mehr so relevant wie früher, aber mir wurde im letzten Jahr klar, dass dieses Format sehr gut zu mir passt. Vor dem Coming-out ging mir auch negatives Feedback sehr viel näher als jetzt, weil ich mir meiner eigenen Identität sicherer bin. Ich bin gefestigt. Transgender zu sein ist normal und schön, es ist auch nicht alles. Es gibt andere Dinge im Leben.