Liese, 29"Am schlimmsten ist die Einsamkeit"

Meine Schwangerschaft war von Anfang an mit Schmerzen verbunden. Am Anfang der zwölften Woche wurden sie plötzlich so stark – es fühlte sich an, als würde mir jemand mit einem Löffel den Bauch ausschaben. Als auch noch frische Blutungen dazukamen, fuhr ich mit meinem Freund nachts in eine Klinik. Die Schwester dort sagte direkt: "Sie wissen schon, dass frühe Fehlgeburten nicht selten sind, oder?" Da habe ich erst mal geweint. Die Ärztin, die dann den Ultraschall durchgeführt hat, war zum Glück sehr nett. Aber als sie plötzlich ganz still wurde, wusste ich, dass das nichts Gutes bedeuten kann. So war es dann auch. Auf dem Ultraschallbild war kein Herzschlag zu erkennen. Nach der Untersuchung dauerte es nicht mehr lange, bis meine Blutungen stärker wurden.

Es hat sich schrecklich angefühlt – die Gewissheit, dass dein Baby in die Toilette fällt."

Gleichzeitig war ich froh, die Fehlgeburt zu Hause zu erleben und in meinem Bett sein zu können. In dieser Zeit habe ich etwas für mein Baby gebastelt – eine Art Trauerteppich, in den ich mit Pompoms und Perlen meine Wünsche hineingewebt habe. Das hat mir am Anfang dabei geholfen, meine Trauer zu verarbeiten, ohne direkt Worte für sie finden zu müssen. Ich hatte sehr vielen im Freundeskreis davon erzählt, dass wir ein Baby bekommen. Damals habe ich mir gesagt: Wenn es nicht überleben sollte, dann wäre es eine Therapie für mich, darüber sprechen zu müssen. Und so war es dann auch: Ich erzählte schließlich davon, um selber damit umgehen zu können.

Es erleichtert vieles. Die Ängste wären sonst nur größer geworden. Zwischen mir und meinen Freund*innen hat es außerdem sehr viel Nähe geschaffen. Dafür bin ich dankbar. Unmittelbar danach haben sich viele per SMS bei mir gemeldet und mir signalisiert, dass sie an mich denken. Das tat gut. Vereinzelt ist es vorgekommen, dass Leute gesagt haben: "Furchtbar, was dir passiert ist – aber es kommt auch wirklich häufig vor." Damit konnte ich nichts anfangen.

Am schlimmsten ist die Einsamkeit, dagegen hilft keine Statistik. Zahlen bringen weder Sicherheit noch Verbundenheit mit Betroffenen. Die entsteht erst durch Austausch. Nur Frauen, denen es selbst passiert ist, können dieses Gefühl, mit der Fehlgeburt letztendlich allein zu sein, verstehen. Dass du ein Baby in dir getragen hast, das Teil von dir war und plötzlich wieder verschwunden ist. Mir würde es besser gehen, wenn es mehr Erfahrungsberichte über die Zeit danach gäbe und ich dadurch auch die damit verbundenen Gefühle und Sorgen teilen könnte. Wie sollen Menschen, die nie eine Fehlgeburt erlebt haben, den Verlust nachfühlen? Ich werfe das niemandem vor. Ich kann verstehen, dass es selbst für den*die Partner*in schwer zu begreifen ist.

Aber es ist auch schwer, wenn dadurch Probleme in der Beziehung entstehen. Ich merke, dass ich nach der Fehlgeburt sehr viel Nähe und Aufmerksamkeit brauche und meinem Partner gegenüber manchmal ungerecht bin. Dabei trauert er auch, auf seine Art. Der Unterschied ist vielleicht, dass er schon Kinder hat. Bei mir dagegen ist eine große Unsicherheit entstanden, ob mein Körper eine Schwangerschaft überhaupt schaffen kann.

Maximiliane, 31"Hatte ich kein Recht, um mein Baby zu trauern?"

Bei uns war klar, dass wir Kinder wollen. Als ich eine größere OP überstanden hatte, legten wir los. Seltsamerweise hatte ich von Beginn an das Gefühl, dass es bei uns dauern könnte. Als ich die Pille absetzte und monatelang nichts passiert ist, machte ich mir Sorgen, dass tatsächlich etwas nicht stimmen könnte bei mir. Dann klappte es doch – ich wurde schwanger. Aber meine Ängste blieben, selbst als die Ärztin uns bestätigte, dass alles super sei, die Entwicklung zeitgerecht und sogar schon ein Herzschlag zu sehen.

Als wir die zwölfte Woche überstanden hatten, fühlten wir uns sicher und erzählten bei einer Party unserem Freundeskreis davon, dass wir ein Baby bekommen würden. Der Moment schien perfekt: Alle, die uns wichtig waren, waren versammelt. Umso härter war es, als wir beim nächsten Frauenarzttermin in der Woche darauf erfahren mussten, dass unser Kind vermutlich in der elften Woche gestorben war. "Die Schwangerschaft ist nicht mehr intakt", war das, was meine Ärztin damals sagte. Das war ein Schock.

Nach der Ausschabung hatte ich das Bedürfnis, allen davon zu erzählen, dass das Kind nicht mehr lebt. Ich wollte freudigen Nachfragen, wie es uns mit der Schwangerschaft ginge, zuvorkommen. Leider waren nicht alle Reaktionen so, wie ich sie mir gewünscht hätte. Manche haben sich so unsensibel verhalten, dass Freundschaften daran zerbrochen sind. "Das passiert halt. So ist das Leben", lautete zum Beispiel eine Reaktion. Als wäre eine Fehlgeburt etwas Alltägliches für mich. Natürlich wusste ich, dass vor der zwölften Woche noch viel passieren kann. Aber hatte ich deshalb kein Recht um mein Baby zu trauern?

Natürlich ist es schwer, in solch einer Situation das Richtige zu sagen, aber es wäre schön, wenn die Leute sensibler für das Thema würden. Leider schweigen die meisten. Man hört nur von den positiven Erfahrungen. Ich hatte immer das Gefühl, um uns herum werden – zack! – alle schwanger. Als wäre es ganz einfach. Als gäbe es diese frühen Fehlgeburten eigentlich gar nicht.

Als Frau bekommt man so schnell das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben."

Für viele scheint es eine enorme Hemmschwelle zu sein, von einer Fehlgeburt zu sprechen. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass ein offenes Gespräch sehr entlastend sein kann. Meine Nachbarin zum Beispiel hat mir gegenüber offen von ihren Fehlgeburten erzählt, als ich ihr heulend gegenüber stand. Daraus ist eine ganz besondere Form der Verbindung entstanden. Wie es nach der Fehlgeburt langfristig weitergehen wird, weiß ich nicht. Bei mir wurde eine Stoffwechselstörung diagnostiziert, durch die ich theoretisch unfruchtbar bin. Meine Schwangerschaft war deshalb ein Sechser im Lotto. Ich hoffe, dass eine Hormontherapie mir hilft, selbst ein Kind zur Welt bringen zu können."

Andrea, 44"Man kann nicht nur halb schwanger sein"

Ich war in der neunten Woche schwanger, als ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Auf der Arbeit bekam ich starke Blutungen – das konnte nicht normal sein, dachte ich mir. Gleichzeitig wollte ich nicht wahrhaben, dass ich eine Fehlgeburt erleiden könnte. Noch am selben Tag ging ich zu meiner Ärztin. Leider konnte sie meine Befürchtungen nur bestätigen: Auf dem Ultraschall erkannte sie deutlich, dass die Schwangerschaft abging. Mein Glück war, dass sie sehr sensibel mit mir umgegangen ist: "Machen Sie sich keine Sorgen", sagte sie, "das passiert sehr, sehr vielen Frauen."

Das hat mich damals tatsächlich etwas beruhigt, weil ich nicht wusste, wie häufig Fehlgeburten in der Frühschwangerschaft tatsächlich vorkommen. Auch sagte sie, es sei vielleicht nicht gesund gewesen, der Körper stößt es dann manchmal ab. Unendlich traurig war ich trotzdem – dieses Baby war ein absolutes Wunschkind. Später war ich froh, weil ich dachte, es wäre wirklich nicht gesund gewesen. Ein Leben mit einem behinderten Kind konnte ich mir nicht vorstellen. Damals kam das Hormonchaos dazu. Das hatte etwas mit mir gemacht, einen Schalter im Kopf umgelegt. Mein Freund und ich haben uns gegenseitig getröstet. Aber ich glaube er kam schneller darüber weg – er konnte die körperliche Veränderung natürlich nicht so spüren.

Mit anderen außer ihm wollte ich nicht über die Fehlgeburt sprechen. Da wir uns von Anfang an so über das Baby gefreut hatten, wusste der engste Kreis jedoch schon von der Schwangerschaft. Seine Mutter hatte bereits die ersten Söckchen gestrickt. Mein Freund musste dann alle anrufen und Bescheid geben. Ich hätte das nicht gekonnt, ich hab nur geweint. Die meisten haben damals nicht viel gesagt außer "Tut mir leid". Was soll man da auch sagen? "Mein herzliches Beileid"? Ja, vielleicht. Bei einer Fehlgeburt stirbt ein kleiner Mensch. Aber manchmal ist es auch besser, nichts zu sagen.

Sätze wie 'Du bist ja noch jung, es klappt schon noch' oder 'Es war doch noch vor der zwölften Woche' geben einem doch nur das Gefühl, man wäre gar nicht wirklich schwanger gewesen."

Aber man kann nicht nur halb schwanger sein. Ein halbes Jahr später hat es bei uns wieder geklappt. Dadurch habe ich die Fehlgeburt relativ schnell von mir wegschieben können und sie nicht weiter thematisiert. Heute, elf Jahre später, ist das anders: Da spreche ich ganz offen von meiner Erfahrung, selbst gegenüber Arbeitskolleginnen. Ich habe das Gefühl, dass das anderen Betroffenen helfen kann. Das Redebedürfnis ist da und ich merke, wie gut der Austausch ihnen tut.