"Kannst du noch mal eben kurz …", "Halbtagsjob oder was?" – Wer pünktlich geht, wird mitunter schräg angeschaut, im Job länger bleiben gehört in vielen Branchen zum guten Ton. Oft ist eine gewisse Anzahl an Überstunden sogar vertraglich abgegolten. In etwa nach dem Motto: "Ach, das bisschen Extra-Arbeit tut doch niemandem weh". Tja, falsch gedacht.

Forscher*innen haben den Zusammenhang zwischen steigender Wochenarbeitszeit und gesundheitlichen Folgen untersucht und dabei herausgefunden: Eine einzige Überstunde pro Woche reicht schon, um der Gesundheit zu schaden.

Mehr Arbeit = mehr Krankheit

Dafür haben Professor Christoph Wunder von der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg und Dr. Kamila Cygan-Rehm vom Lehrstuhl für Statistik und empirische Wirtschaftsforschung an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg die Daten aus einer 30 Jahre laufenden Langzeitstudie ausgewertet, bei der immer die gleichen Personen die gleichen Dinge gefragt wurden. Sie haben für ihre Untersuchung nur Daten von Angestellten im öffentlichen Dienst oder Beamt*innen in den alten Bundesländern für ihre Untersuchung ausgewählt.

Warum, erklärt Professor Wunder so: "Beschäftigte im öffentlichen Dienst übernehmen Neuregelungen der wöchentlichen Arbeitszeit eher als Beschäftigte in der Privatwirtschaft, die bei einer Änderung der tariflichen Arbeitszeit Überstunden anpassen und so die wöchentliche Arbeitszeit konstant halten können. Beschäftigte im öffentlichen Dienst haben weniger Flexibilität."

Das Ergebnis ist eindeutig: Eine Stunde länger arbeiten pro Woche führte dazu, dass die Befragten ihre Gesundheit um zwei Prozent schlechter einschätzten; gleichzeitig stieg die Zahl ihrer Ärzt*innenbesuche um 13 Prozent. Überstunden machen also krank – vollkommen egal, ob bezahlt oder unbezahlt.

Nicht gut für die Seele

Vor allem die Psyche dürfte darunter leiden, wie eine Untersuchung der gesetzlichen Krankenkasse AOK zeigt. Zwar ist der Krankenstand bei den Versicherten in den vergangenen Jahren in etwa konstant geblieben, die Zahl der Abwesenheit wegen psychischer Erkrankungen allerdings ist zwischen 2007 und 2017 um fast 70 Prozent gestiegen.

Genau so wie die Zahl der Überstunden: Im Jahr 2016 waren es deutschlandweit 1,7 Milliarden, 2017 waren es schon 2,1 Milliarden Überstunden. "Burn-out-Fälle haben stark zugenommen. Dieser Weg in die Erschöpfung ist ein längerer Prozess, an dessen Anfang meist ein Übereinsatz steht", sagt die Diplom-Psychologin und Expertin für Stressbewältigung Bettina Löhr.

Was soll das mit den Überstunden?

Gründe für Überstunden gibt es viele, häufig sind jedoch die Arbeitsbedingungen verantwortlich: Zu viel zu tun für zu wenig Mitarbeitende; zu viele unnötige Besprechungen; komplizierte Abläufe; Unterbrechungen durch Anrufe oder Mails und Lautstärke in einem unruhigen Umfeld.

Das kennt auch Bettina Löhr: "Ein Hauptgrund ist natürlich Personalknappheit. Immer mehr Aufgaben werden auf immer weniger Personal verteilt. Die meisten Menschen möchten gute Arbeit leisten und bemühen sich, die Arbeitsmenge trotzdem zu bewältigen. Sie fühlen sich oft innerlich verpflichtet, aus moralischen Gründen oder aus Rücksicht auf Kunden, Vorgesetzte und Kollegen."

Auch Angst vor Arbeitsplatzverlust spielt laut Löhr eine Rolle: "Wenn ich hohen Einsatz zeige, wird mir vielleicht nicht so schnell gekündigt – diese Befürchtung wird manchmal von Unternehmen ausgenutzt." Von ständiger Erreichbarkeit und der damit einhergehenden Entgrenzung der Arbeitszeit mal ganz abgesehen. So wird immer weiter immer mehr geschuftet. Und Angestellte werden krank.

Mehr arbeiten? Nö, weniger!

Dabei wären Überstunden in dem Ausmaß eigentlich nicht nötig – im Gegenteil: In Göteborg haben Mitarbeiter*innen eines Altenpflegeheims im Rahmen eines Experiments sogar nur sechs Stunden pro Tag gearbeitet. Alle beteiligten Angestellten waren zufriedener, gesünder, leistungsfähiger. Daraus wurde allerdings keine Dauerregelung, weil mehr Personal erforderlich und das wiederum zu teuer gewesen wäre. Ein schwedisches Tech-Start-up hingegen hat einen ähnlichen Versuch erfolgreicher umgesetzt.

Aber auch, wenn eine reduzierte Arbeitszeit vielleicht nicht in jeder Branche gleich gut funktioniert: Arbeit sollte in acht Stunden regulärer Arbeitszeit erledigt werden können. Fallen dauerhaft Überstunden an, stimmen Prozesse und Strukturen nicht. Und das schadet langfristig nicht nur den Angestellten, sondern auch dem Unternehmen.

Diese Erkenntnis sickert ganz langsam nach oben durch. "Führungskräften wird immer mehr bewusst, dass ihr Verhalten Mitarbeitern gegenüber auch gesundheitliche Auswirkungen hat. Wer darin geschult ist, weiß das mittlerweile", sagt Bettina Löhr. Wer sich selbst oder seinen Mitarbeiter*innen nicht die Möglichkeit zu ausreichender Erholung gibt, zahlt laut Löhr am Ende nämlich drauf: "Kranke Mitarbeiter kosten richtig Geld."

Keine Lust auf Überstunden?

Soweit, so ungesund. Nur: Wie kommt man aus der Nummer mit den Überstunden raus, ohne arbeitsscheu zu wirken? "Entscheidend für die Produktivität ist nicht nur die Arbeitsfähigkeit, sondern auch die Leistungsbereitschaft, und beides leidet unter ständigen Überstunden", stellt Bettina Löhr klar. Und so ähnlich könnte man auch Vorgesetzten gegenüber argumentieren.

Die Expertin schlägt zum Beispiel folgende Formulierung vor: "Ich weiß, es sind gerade schwierige Zeiten und ich bin gern bereit, mehr zu arbeiten – weil ich sehe, wie wichtig das ist. Was denken Sie, wie lange dieser Zeitraum dauern wird? Für zwei Monate kann ich mir vorstellen, dazu in der Lage zu sein, ohne dass meine Gesundheit darunter leidet. Sie möchten doch auch, dass ich mir meine Arbeitsfähigkeit erhalte. Sie brauchen mich ja auch morgen noch."

Zeit gegen Geld

Außerdem: So lange der*die Arbeitgeber*in dir aus freien Stücken kein Geld schenkt, solltest du ihm auch nicht deine Zeit schenken, nichts anderes sind Überstunden nämlich. Denn letztlich ist Arbeit ein geschäftlicher Vertrag aus Zeit gegen Geld und keine Wohltätigkeitsveranstaltung. Und das gilt, so hart das vielleicht klingt, nun mal für beide Seiten.