Am Wochenende sind in Dortmund Vertreter*innen von 197 Staaten zusammengekommen, um die 25. Weltklimakonferenz abzuhalten. Patricia Espinosa, Moderatorin der Verhandlung und Generalsekretärin der UN-Klimarahmenkonvention, heißt alle Teilnehmenden im Sitzungssaal willkommen.

So beginnt das Spiel mit dem Titel World Climate Simulation, einer der mehr als 150 Workshops auf dem Fridays-for-Future (FFF)-Sommerkongress. Der Austragungsort: das Klassenzimmer C220 im Dortmunder Reinoldus- und Schiller-Gymnasium. Die Mitspieler*innen: Laura Mae Herzog, Postdoc am Institut für Umweltsystemforschung der Uni Osnabrück, in der Rolle von Patricia Espinosa. Außerdem an die 30 Klimaaktivist*innen aus verschiedenen Ecken Deutschlands, angereist zur Vertretung von sechs Ländergruppen: Die USA, die EU mit Norwegen, Island und der Schweiz, Indien, China sowie Regionen des Globalen Südens – darunter sind Afrika, der Nahe Osten oder Südostasien – und die verbleibenden Staaten des Globalen Nordens – zum Beispiel Kanada, Südkorea oder Russland.

Über die Zuteilung zu den Gruppen entscheidet das Los. Um sich besser in ihre Rollen einfühlen zu können, bekommen die Mitspieler*innen Arbeitsblätter mit den wichtigsten Infos zu ihrer Ländergruppe und deren Ökobilanz.

Im Sitzungssaal stehen Gruppentische mit Snacks bereit. Getränke sind knapp: Es gibt nur eine Wasserflasche und einen Tetrapack Apfelsaft für die USA, die EU und die Industriestaaten – Länder des Globalen Südens bekommen nichts. Und es wird für sie noch unbequemer: Espinosa bittet die Vertreter*innen dieser letzten Ländergruppe, auf dem Boden Platz zu nehmen. Gelächter bei den Teilnehmenden.

Dann beginnt die erste Verhandlungsrunde. Das dafür vorgesehene Zeitfenster: 15 Minuten. Die Delegierten sollen innerhalb ihrer Ländergruppen Maßnahmen erarbeiten, mit denen sie das Zwei-Grad-Ziel erreichen wollen. Zum Beispiel, indem sie festlegen, ab welchem Jahr sie kein zusätzliches CO2 mehr ausstoßen möchten oder in welchem Ausmaß sie Aufforstung in ihrem Land betreiben wollen.

Im Pariser Abkommen wurde vereinbart, die Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Dass die Länder zu wenig tun, um dieses Ziel zu erreichen, machen die FFF-Aktivist*innen den Staats- und Regierungschef*innen bei ihren Demos zum Vorwurf. Können sie das Ziel selbst in ihrem Planspiel erreichen? Und wenn ja: Wie sieht ihr Lösungsweg aus?

Auch den Fridays-For-Future-Aktivist*innen fällt es schwer, bei ihrem Sommerkongress das Klimaziel zu erreichen

Die Abgeordneten machen sich sofort an die Arbeit. Die indische Delegation stellt eine Exponentialgleichung auf, mit der sie ihre jährliche Reduktionsrate für Emissionen berechnet. Die Vertreter*innen des Globalen Südens verlassen den Sitzungssaal – draußen ist mehr Platz für so viele Delegierte. Schließlich sind sie mit 16 Personen die größte Ländergruppe. Das macht es umso komplizierter, sich zu einigen. Da haben es die Vertreter*innen der USA leichter, möchte man meinen, denn sie sind nur zu zweit. Doch auch hier ergeben sich Schwierigkeiten: Wie können Klimastreikende für ein Land argumentieren, das aus dem Pariser Abkommen ausgetreten ist? Sich in Positionen einfühlen, die man selbst nicht vertritt – eine der Herausforderungen der Simulation.

Die World Climate Simulation wurde von der US-Denkfabrik Climate Interactive in Zusammenarbeit mit der MIT Sloan School of Management und der University of Massachussetts entwickelt. Bei dem Rollenspiel simulieren die Teilnehmenden eine UN-Klimaverhandlung. Den Bezug zur Realität erhält das Spiel durch den Klimasimulator – ein Computerprogramm, in das die verhandelten Klimaziele eingegeben werden. Das Programm spuckt dann aus, welche Umweltfolgen sich zeigen würden, sollten die vereinbarten Ziele tatsächlich erreicht werden. World Climate wurde bereits in 88 Ländern von über 60.000 Menschen gespielt – darunter Schüler*innen, aber auch Führungskräfte der Öl-Industrie, Nobelpreisträger*innen oder EU-Politiker*innen. Das baden-württembergische Kultusministerium hat die Materialien des Spiels ins Deutsche übersetzt und auf seiner Webseite zum Download zur Verfügung gestellt.

Trotz der Schwierigkeiten liefern alle Ländergruppen nach Ablauf der Zeit Ergebnisse. Was den CO2-Ausstoß betrifft, fallen die Ziele der USA und China am ambitioniertesten aus: Beide Staaten legen fest, dass ihre CO2-Emissionen ab 2030 nicht mehr steigen sollen. Die EU und Indien peilen dafür das Jahr 2035 an. Die anderen Industrieländer setzen das Jahr 2040 als Marke, die Länder des Globalen Süden gehen auf 2050. Das begründen die Delegierten damit, dass eine Zunahme des CO2-Ausstoßes unvermeidbar sei, um in diesen Ländern die Entwicklung voranzutreiben.

Zum Vergleich ein paar Zahlen aus der Realität: Die Unterzeichnenden des Pariser Klimaabkommens haben sich auf ein Nettonull ab 2050 geeinigt – das heißt, von da an wollen sie nur noch so viele Treibhausgase emittieren, wie durch die Natur oder technische Maßnahmen kompensiert werden können. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 zu senken. Und Fridays for Future Deutschland fordert für die Bundesrepublik ein Nettonull bis 2030.

Die UN-Klimarahmenkonvention – auf Englisch United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) – ist das globale Klimaschutzabkommen der Vereinten Nationen. Es zielt darauf ab, eine gefährliche menschengemachte Störung des Klimasystems zu verhindern. Die UNFCCC wurde 1992 in New York beschlossen, mittlerweile haben 197 Staaten das Abkommen ratifiziert. Die jährlich stattfindende Weltklimakonferenz – die sogenannte Conference of the Parties (COP) – ist die Verhandlung der UN-Klimarahmenkonvention.

Jetzt sitzen Mitglieder der Klimabewegung selbst am Verhandlungstisch. Und obwohl World Climate nur ein Spiel ist, so spielt es sich doch recht nah an der Realität ab: Teil des Konzepts ist der Klimasimulator C-Roads – ein Computerprogramm, das in Echtzeit berechnet, wie die Umwelt auf bestimmte Maßnahmen reagieren würde. C-Roads wurde auf Basis von Klimaszenarien entwickelt, die der Weltklimarat (IPCC) erarbeitet hat. Er kommt auch bei echten UN-Verhandlungen zum Einsatz.

Espinosa trägt in den Rechner ein, was die Staaten beschlossen haben. Das ernüchternde Ergebnis: Sollten die Länder ihre Vorgaben einhalten, würde sich die globale Durchschnittstemperatur bis 2100 um 2,7 Grad Celsius erhöhen.

Was das bedeutet, wissen alle Anwesenden im Raum. Espinosa spricht es nochmal aus: "Diese Temperaturerhöhung würde die Kippelemente des Klimas aktivieren", so die Generalsekretärin. Eine Negativspirale wäre die Folge: Die Permafrostböden könnten für immer auftauen, noch mehr Treibhausgase würden frei und die Erde würde sich noch schneller erwärmen. Der Meeresspiegel würde ansteigen, Küstenstaaten wären bedroht. Die Liste ließe sich fortführen.

Espinosa mahnt die Delegierten zur Vernunft – und läutet die zweite Verhandlungsrunde ein: Diesmal sollen die Abgeordneten über ihre Ländergruppen hinaus miteinander verhandeln, um das erste Ergebnis zu verbessern.

Wenn du einmal in der Rolle drin bist, dann fühlst du dich auch, als ob du jetzt wirklich Indien vertrittst, und da werden dann deine eigenen Ansichten zurückgestellt.
Leo Ohl, Teilnehmer

Der Geräuschpegel steigt merklich an, viele reden durcheinander. Es werden Bedingungen gestellt, Kompromisse ausgelotet. Manche ziehen sich aus den Diskussionen zurück, andere verhandeln im Alleingang. Es kommt zu Versprechen einzelner Delegierter, die nicht von der ganzen Gruppe getragen werden. Und doch zeigen die jungen Klimaaktivist*innen vor allem eins: Diskutieren können sie, ob es nun ein Spiel ist oder nicht. Und für die Position ihres Landes einstehen umso mehr – auch wenn die Jugendlichen in der Realität ganz andere Ansichten vertreten.

"Wenn du einmal in der Rolle drin bist, dann fühlst du dich auch, als ob du jetzt wirklich Indien vertrittst, und da werden dann deine eigenen Ansichten zurückgestellt", findet Leo Ohl, während des Workshops ein indischer Delegierter, im echten Leben ein 19-jähriger Abiturient aus Backnang bei Stuttgart.

Die Nachverhandlungen ergeben: Nicht jeder Staat ist bereit, Zugeständnisse zu machen. Indien hält an seinen ursprünglichen Zielwerten fest, China lässt sich kaum auf Kompromisse ein, die übrigen Ländergruppen schrauben ein wenig an ihren Zahlen. Trotz aller Bemühungen bleibt der Fortschritt gering: Die neue Durchschnittstemperatur ist gerade mal 0,2 Grad niedriger als die erste.

Solche Simulationen helfen zu verstehen, wie kompliziert der politische Prozess ist.
Friederike Bothe, Teilnehmerin

Doch so ernüchternd das Ergebnis auch ausfällt – Frust ist den Klimastreikenden kaum anzumerken. Im Gegenteil: Sie diskutieren weiter, auch, als der Workshop schon längst zu Ende ist. "Ich habe gemerkt, wie schnell wir wirklich handeln müssen – zumal wir meines Erachtens nach Ziele angegeben haben, die eigentlich unrealistisch sind", resümiert Alma Lieckfeld, im Spiel eine chinesische Delegierte, in der Realität eine 14-jährige Schülerin aus Berlin.

"Ich glaube, dass solche Simulationen helfen, zu verstehen, wie kompliziert der politische Prozess ist", findet Friederike Bothe aus Krefeld. Während des Workshops hat sie ein Land des Globalen Süden vertreten – musste also auf dem Boden sitzen. Doch gestört hat sie das nicht: "Ich fand es eine sehr gute Abbildung der Situation", so die 18-Jährige. Sie fühle sich durch das Spiel darin bestärkt, auch im echten Leben an politischen Verhandlungen mitzuwirken.

Mit dem Ende des Workshops wird Patricia Espinosa wieder zu Laura Mae Herzog, die sagt: "Das war ein Spiel auf sehr hohem Niveau." Und an die Klimaaktivist*innen gerichtet: "Ich bin so froh, dass es euch als Bewegung gibt", so die 32-Jährige. "Als ich so alt war wie ihr, habe ich mich auch schon fürs Klima interessiert – und mich immer gefragt: Wo sind die anderen?"