Zwei Tage, bevor ihre Tage fällig waren, wurde Miriam* klar, dass an diesem Samstag etwas anders war als sonst. Sie war müde, hatte extreme Schmerzen in der Brust, ihr war schwindelig. Sofort überschlugen sich ihre Gedanken: "Haben wir nicht richtig verhütet? Kann es sein, dass ich schwanger bin? Oder bilde ich mir das nur ein?"

Die 24-jährige Bürokauffrau und ihr Freund verhüteten zu dieser Zeit bereits ein Jahr lang mit der sogenannten natürlichen Familienplanung (NFP). Körpertemperatur und Gebärmutterschleim zeigen Frauen dabei, ob sie gerade fruchtbar sind oder nicht. Auf diese Weise müssen sie an Tagen, an denen sie sicher nicht schwanger werden können, nicht verhüten. Als Miriam an diesem Morgen über die vergangenen Wochen nachdachte, kam ihr die fruchtbare Phase in den Sinn: "In dieser Zeit benutzen wir normalerweise Kondome, aber einmal nahmen wir gar keins. Frei nach dem Motto, so schnell wird man bestimmt nicht schwanger."

Das dachte auch die 18-jährige Jennifer**, als sie mit ihrem Freund schlief, ohne zu verhüten. Weil sie die Pille nicht vertrug, musste sie diese kurz zuvor absetzen. Dennoch glaubte sie, dass sie noch weiter geschützt sei – eine Annahme, die viele Frauen haben. Das bestätigt auch die Düsseldorfer Frauenärztin Sabrina Bergstein: "Viele Frauen glauben, dass sie nicht direkt im ersten Zyklus schwanger werden können, wenn sie die Pille jahrelang genommen haben." Das stimmt natürlich nicht: "Wenn es so wäre, könnten ja zum Beispiel auch Durchfall oder das Vergessen der Pille nicht zu einer Schwangerschaft führen." Obwohl Jennifer ungeschützt mit ihrem Freund schlief, hatte sie zunächst überhaupt keine Angst, schwanger zu werden. Erst als sie starke Schmerzen bekam und ihre Tage nach einigen Wochen auf sich warten ließen, besorgte sie den Test – und verkroch sich danach für den restlichen Tag in ihr Bett.

Wenn der Vater keiner sein will

Miriam machte gleich zwei Schwangerschaftstests. Beide waren positiv. Die Nachricht schockierte sie und obwohl sie auch ein wenig glücklich war, mischte sich dieses Gefühl sofort mit Angst, als sie den Gesichtsausdruck ihres Freundes sah: "Wir waren zusammen, als ich den Test machte. Er war sofort gegen das Kind und zum ersten Mal dachte ich an einen Schwangerschaftsabbruch." Eigentlich hatten die beiden über das Thema gesprochen, als sie sich für die natürliche Verhütung entschieden hatten. "Damals sagte er noch, dass er mich unterstützt, falls ich doch schwanger werde", erinnert sich Miriam. Aber die Beziehung lief schon seit einer Weile nicht mehr gut, Miriam und ihr Freund stritten oft und nach der überraschenden Nachricht trennten sie sich einige Woche später.

Auch Jennifers 23-jähriger Freund* konnte sich ein Leben als junger Vater nicht vorstellen. Er war mit dabei, als Jennifer den Test machte, wollte es nicht glauben und sagte ihr: "Du musst zum Frauenarzt, ein Kind kommt nicht infrage!" Danach ließ er sie mit ihren Gedanken allein, ohne ihr die Chance zu geben, über die Schwangerschaft als echte Möglichkeit zu reden. Ein offenes Ohr für ihre Sorgen fand Jennifer nur bei ihren Freund*innen, ihrer Familie erzählte sie nichts davon. Zu dieser Zeit war sie in der sechsten Woche.

Auf der Suche nach Hilfe und Rat

Miriam suchte im Internet nach Informationen zu Schwangerschaft und Abbruch. Und sie fand Halt und Rat: "In einer Facebookgruppe fühlte ich mich aufgehoben und erzählte anderen Frauen von meinen Gedanken." Dort wurde sie auch auf das Onlineportal Abtreibung.de aufmerksam, auf dem erfahrene Berater*innen wie Ronja Vogel Frauen in ähnlichen Situationen per Chat beraten: "Wir versuchen, auf eine persönliche und vertrauliche Ebene zu kommen. Wir schreiben mit den Frauen über Lösungsmöglichkeiten und stehen ihnen in dieser Zeit bei", sagt Vogel. Neben der Onlineberatung konnte sich Miriam auch auf ihre Familie verlassen, der sie kurz darauf davon erzählte.

Auch wenn ihr Freund gegen die Schwangerschaft war, überlegte sie, das Kind zu behalten. Trotzdem redete sie mit ihrem Frauenarzt über einen Schwangerschaftsabbruch und ging zur Schwangerschaftskonfliktberatung – ein gesetzlich vorgeschriebener Pflichttermin für Frauen in Deutschland, die über solch einen Eingriff nachdenken.

Den gleichen Weg ging auch Jennifer. Kurz nachdem sie den positiven Test machte, saß sie mit ihrem damaligen Freund bei der Beratungsstelle. Obwohl er sich nicht vorstellen konnte, ein Kind zu haben, ging er mit ihr zu allen Terminen. Die Beratung half Jennifer nicht weiter: "Die Beraterin fragte nur kurz nach unserer Sichtweise. Sie erwähnte nichts von Möglichkeiten, die ich gehabt hätte, hätte ich das Kind behalten wollen. Ich habe mich schlecht aufgehoben und überhaupt nicht gut beraten gefühlt." Theresia Merten, Diplom-Sozialpädagogin und Leiterin der Schwangerschaftskonfliktberatung donum vitae in Bonn, versucht, solche Situationen zu vermeiden, indem sie Paare zu Beginn des Gesprächs so gut wie möglich aufklärt. Das sorgt für eine angenehme Gesprächsatmosphäre ohne Ängste und Spannungen: "Ich erzähle dem Paar, wie das Gespräch abläuft, suche gemeinsam mit ihnen nach Möglichkeiten, die sie unterstützen könnten, sollten sie das Kind behalten. Aber ich informiere auch über den Abbruch und beantworte offene Fragen."

Jennifer glaubt heute, dass ihr das Gespräch deshalb nichts brachte, weil ihr Freund absolut gegen das Kind war. Erst später wurde ihr klar, dass es für sie wichtig gewesen wäre, unter vier Augen mit einer Beraterin zu reden –  einen neuen Termin machte sie dennoch nie aus.

Im Gefühlschaos

Auch Miriam war hin- und hergerissen. Auf der einen Seite fühlte sie sich stark, weil ihre Familie hinter ihr stand, sie eine unbefristete Stelle und eine günstige, kindgerechte Wohnung hatte. Auf der anderen Seite machte es sie fertig, dass ihr Freund kein Kind haben wollte und sie als alleinerziehende Mutter sitzen lassen würde. "Zu dieser Zeit hatte ich auch mit Magen-Darm-Problemen und einer schweren Form der Emetophobie, der Angst vor dem Erbrechen, zu kämpfen und wusste nicht, wie sich die Krankheit entwickelt, wenn ich schwanger bleibe", erzählt sie.

Obwohl Miriam keinen Zeitdruck hatte, was die gesetzliche Fristenregelung für Abbrüche anging, da sie so früh von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, wurde der emotionale Druck unerträglich: "Denn je länger ich schwanger war, desto mehr sah der Embryo nach einem Menschen aus. Deshalb fiel mir die Entscheidung nur noch schwerer."

Jennifer hatte rechtlich gesehen auch keinen Zeitdruck, weil ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche straffrei bleibt, wenn Frauen zur verpflichtenden Beratung gehen. Aber auch nach der Beratung konnte Jennifer nicht klar denken. Ihre Frauenärztin hatte ihr bereits beim ersten Termin von allen Optionen, darunter auch der des Schwangerschaftsabbruchs, erzählt. Diese Option konnte sie nicht mehr vergessen: "Damals sprachen alle Argumente gegen das Baby. Mein Freund übernahm keine Verantwortung und redete negativ auf mich ein. Ich hatte keine Ausbildung und psychische Probleme. Was konnte ich dem Kind schon bieten?"

Auch Miriam steckte im Gefühlschaos fest. Obwohl sie schon früh starke Gefühle für ihr noch ungeborenes Kind hatte, durchlief sie den Behördenmarathon für einen Schwangerschaftsabbruch und besorgte sich einen Termin. Nur zu diesem ging Miriam nie: "Erst verschob ich ihn unter einem Vorwand, dann auch den zweiten, denn insgeheim hatte ich mich für mein Kind entschieden – trotz meines Freundes, meiner großen Unsicherheit und meiner Krankheit."

Die schwersten Stunden

Jennifers Entscheidung sah anders aus. Nur drei Tage nach der Pflichtberatung saß sie beim Frauenarzt. Ein gesetzlich vorgegebener Zeitraum, der sicherstellen soll, dass Frauen nach der Beratung genügend Zeit haben, um sich zu entscheiden. Jennifer hätte nicht länger warten können. Sie wurde ambulant und unter Narkose operiert. Schon nach kurzer Zeit konnte sie wieder nach Hause. Die OP verlief ohne Komplikationen und körperlich fühlte sie sich schnell wieder fit. Die psychischen Auswirkungen sind aber noch heute, fast drei Monate nach dem Abbruch, deutlich spürbar: "Verarbeitet habe ich das alles noch lange nicht. Ich gehe zum Psychologen, aber mit ihm möchte ich darüber noch nicht sprechen, weil es mich einfach noch zu sehr aufwühlt. Ich habe diese Entscheidung aus Liebe zu meinem Freund getroffen – heute bereue ich es."

Miriams Weg ging noch bis zum neunten Monat weiter. Ihre Schwangerschaft verlief nicht reibungslos, der Kontakt zu ihrem Freund brach ab, sie litt an extremer Schwangerschaftsübelkeit, und verbrachte viel Zeit im Krankenhaus. Und trotzdem gibt es für sie heute kein größeres Glück als ihre Tochter: "Für mein kleines Mädchen gehe ich an meine Grenzen, wir sind einfach zwei Kämpferinnen, " sagt sie. "Ich würde sie nie wieder hergeben und bereue es auch nicht, sie behalten zu haben."

* möchte nicht namentlich genannt werden

** Name von der Redaktion geändert