Es müsste ihm eigentlich unangenehm sein. Kanye West redet öffentlich wirres Zeug, gibt verstrahlt Interviews und hält sich für den größten Rockstar. Seine Frau, Kim Kardashian, erfuhr aus den Medien, dass ihr Mann jetzt gerne nach Chicago ziehen würde. Bei den wirklich wichtigen Themen ist sie hingegen eingeweiht. Steht ein neues Album an, ist sie in die Promotion fest mit eingebunden. Kim darf Tracklists über ihre Social Media-Accounts posten, den Hype schüren, bei jedem Album auf ein Neues.

2024 möchte Kanye West Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden. Bleibt zu hoffen, dass sich Kanye endlich den Dämonen stellt, die ihm seit dem Tod seiner Mutter im Jahr 2007 so übel mitspielen, ihm einreden, er sei der größte Rockstar aller Zeiten und er könne seine Fans bei Konzerten nach drei Liedern und ein bisschen Theater wieder nach Hause schicken. Es bleibt zu hoffen, dass er mal in den Arm genommen wird, von Kim oder sonst wem. Wahrscheinlicher aber ist, dass er schon die nächste Idee notiert hat, die vor allem wieder für eines sorgen wird: Kopfschütteln.

Den Tiefpunkt seiner Karriere erreichte Kanye West wohl 2016 auf der Tour zum "The Life of Pablo"-Album, als er sein Set abbrach und monologisierte, dann seine Worte an Jay Z richtete und sagte: "Jay Z, I know you got killers, please don’t send them at my head." Das nahm ihm Jay Z dann ziemlich übel.

Es ist schwierig, seine Musik zu hören, ohne dabei an seine Eskapaden zu denken. Wer hat schon Lust, ein Album von einem Donald Trump-Unterstützer zu hören? Müssen wir als Musikkonsument*innen hier einen Strich ziehen und es schaffen, zwischen Musik und dem Rest zu differenzieren? Etwas viel verlangt. Es ist alles eins: ein Typ, ein Werk.

Kanye West liefert zu viele Gründe, sich über ihn zu ärgern. Seine Unterstützung des amtierenden Präsidenten der USA ist kein Ausfallschritt und das Krankheitsbild der bipolaren Störung deckt diese politische Verirrung auch nicht ab. Seinem Legendenstatus als einer der einflussreichsten Produzenten der Nullerjahre – neben Timbaland, Pharrell Williams und Swizz Beats – scheint das nicht zu schaden. "The College Dropout", "Late Registration", "Graduation" und auch weitere Alben sind Klassiker der urbanen Popkultur.

Trotz der Klassiker auf dem Habenkonto sind die Erwartungen auf ein Minimum geschrumpft, und die Fans haben eine geschulte Frustrationstoleranz, wird ein neues Album angekündigt. Letzter Stunt: sein Monolog vor Donald Trump. Danach ging es endlich wieder um Musik.

Jesus is King. Das Album, das am 25. Oktober 2019 digital erschien, ist vor allem King darin, ein Album voller Andeutungen und Skizzen dessen zu sein, was es hätte werden können. Doch bevor sich ein Song richtig entfaltet, ist er schon vorbei. Das bringt viele Streams, aber wenig Hörvergnügen. Die konservative, gläubige Mittelschicht kann dieser Musik sicher mehr abgewinnen als früheren Alben. Seine alte Hörer*innenschaft wird er kaum verlieren. Sie ist beratungsresistent.

Mehr als eine halbe Stunde Kanye West nahe der Transzendenz ist kaum auszuhalten. Unter einem Soundteppich aus Flächen und choralen Gesängen beulen sich Beats nach oben, die mehr werden wollten als Fragmente eines neuen Spleens ihres "Schöpfers". Wobei von Schöpfern die Rede sein muss, denn Kanye West hatte viele Co-Schöpfer. Die Liste ist lang und undurchsichtig.

Das Album lebt von der Idee, ein christliches Rapalbum zu sein. So ganz ohne Schimpfe und etwas für die ganze Familie, die gerne zum Sunday Service geht. Dafür kommt auch Pastor Malice von The Clipse wieder aus der Kirche ins Studio, was toll ist, aber durch das Solo von Kenny G in "Use This Gospel", dem eigentlichen Höhepunkt des Albums, korrumpiert wird.

Inhaltlich ist nicht viel da, was erwähnenswert wäre. Dass nach eineinalb Jahren der Ankündigungen und Verschiebungen, Umbenennungen und Songleaks, Saturday Night Live Co-Gehoste und natürlich Meetings mit Trump nicht mehr als "Jesus is King" herausgekommen ist, müsste dem wiedergeborenen Christen Kanye West eigentlich unangenehm sein. Doch dieses Gefühl scheint ihm abhanden gekommen zu sein.