Wer permanent mit Unsicherheit im Job zu kämpfen hat, wird neurotisch und emotional instabil. Das hat eine Studie zu den Auswirkungen von Unsicherheit im Job ergeben. Mit anderen Worten: Wenn du ständig mit einem Gefühl der Unruhe und Angst an die Arbeit denkst – weil dein Vertrag noch immer nicht verlängert wurde, weil Aufträge nicht bezahlt werden – dann ist das verdammt schlecht für deine Seele.

Die Wirkung von Unsicherheit im Job

Die Wissenschaftler*innen vom australischen Royal Melbourne Institute of Technology haben repräsentative Haushaltsdaten im Hinblick auf Jobsicherheit und Persönlichkeit untersucht und dabei die Antworten von 1.046 australischen Angestellten in verschiedenen Branchen und Jobs über einen Zeitraum von neun Jahren analysiert.

Ergebnis: Diejenigen, die mehr als fünf Jahre lang mit dauernder Unsicherheit im Job zu tun hatten, wurden im Laufe der Zeit immer weniger emotional stabil, weniger sozial verträglich und weniger gewissenhaft. Das wirke sich laut der Forscher*innen unter anderem konkret auf bestimmte Fähigkeiten aus – wie beispielsweise Ziele anstreben, mit anderen auskommen, mit Stress umgehen.

Bisher hätte sich die Forschung eher auf kurzfristige Auswirkungen von Unsicherheit im Job konzentriert, also auf das Wohlbefinden, die körperliche Gesundheit und das Selbstwertgefühl, sagt Co-Autorin Dr. Lena Wang in einer Pressemitteilung. "Doch jetzt schauen wir uns an, was das im Laufe der Zeit mit der Persönlichkeit macht – langfristige Konsequenzen, die man womöglich nicht mal bemerkt."

Allein das Gefühl reicht schon aus

Zu Faktoren für Unsicherheit im Job zählen unter anderem befristete Arbeitsverhältnisse, Gelegenheitsjobs, Kürzungen, Automatisierung, Unterbeschäftigung und Unterbezahlung. All das sei demnach nicht nur in Australien, sondern auch weltweit auf dem Vormarsch. All das verändert auf Dauer die Persönlichkeiten der betroffenen Menschen. Und all das beeinträchtigt logischerweise auch das Zusammenleben.

Denn wenn du längere Zeit kontinuierlich in Unsicherheit lebst, dann macht das was mit dir, mit deinem Verhalten, mit deinen Beziehungen und Freund*innenschaften.

"Nicht zu wissen, wie es weitergeht, kann immensen Stress auslösen", erklärt Andrea Kern, Expertin für Change Management. "Früher bedeutete Unsicherheit Krankheit und Lebensgefahr. Diese Erfahrungen haben wir uns noch bis heute, in Zeiten der sozialen Absicherung, erhalten."

Ein befristeter Vertrag oder eine unsichere Einkommenssituation sind auch heute noch potenziell existenzbedrohend. Dank des sozialen Netzes nicht mehr so direkt und drastisch wie vor 200 Jahren, aber langfristig und in Teilen durchaus.

Der entscheidende Aspekt hierbei ist: Um die Seele zu zermürben und die Persönlichkeit zu verändern, reicht es laut der Studie schon, dass sich die Jobsituation unsicher anfühlt.

"Die Unsicherheit im Job kann sich auf alle Lebensbereiche auswirken: Wir fühlen uns nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft und sind auch gegenüber unseren Freund*innen und unserer Familie gereizt und unsicher", sagt auch Andrea Kern. Folge: Das gesamte Umfeld leidet. Und letztlich auch die Gesellschaft.

Veränderung ist cool, Existenzangst nicht

Die Welt verändert sich im Großen und im Kleinen und das ist grundsätzlich keine schlechte Sache. Allerdings ist es wichtig, dass Menschen diese Veränderungen bewusst gestalten und dabei die langfristigen Folgen sowie den gesamten Kontext berücksichtigen – und nicht nur auf kurzfristige Profite für einige wenige schielen. Das gilt nicht nur für den Planeten und die Menschheit, den Kapitalismus und die Demokratie als solche, sondern auch für das Leben und den Wirkungskreis jeder*s einzelnen. Und selbstredend auch im Arbeitskontext.

"Veränderungs- und Krisensituationen sind immer mit Transparenz und Offenheit am besten zu bewältigen", sagt Andrea Kern. Das gelte besonders dann, wenn in einem Unternehmen Umstrukturierungen oder Entlassungen anstehen. Oft genug mangelt es dann nämlich an einer anständigen Kommunikationskultur. "Auch, wenn Vorgesetzte nichts für den Joberhalt tun können, so können sie dennoch durch ein Klima der Offenheit dazu beitragen, dass sich Mitarbeiter*innen wertgeschätzt und verstanden fühlen", sagt Kern. Sich nicht allein gelassen zu fühlen helfe schon mal ein ganzes Stück.

Gemeinsam lassen sich dann vielleicht Lösungen finden, die gegen die Unsicherheit im Job helfen.

"Ist man selbst betroffen, sollte man nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern sich frühzeitig klar werden, welche Möglichkeiten man hat", so Andrea Kern. Dazu gehören zum Beispiel mögliche Abteilungswechsel oder Weiterbildungen. Ein Job- oder Branchenwechsel. Oder auch die Erfüllung lang gehegter beruflicher Träume. Ein kompletter Neuanfang, vielleicht. Leicht ist das natürlich alles nicht.

Muss es denn immer Arbeit sein?

Menschen mit einer gewissen subversiven Tendenz würden an dieser Stelle eventuell das Konzept der Erwerbsarbeit grundsätzlich zur Debatte stellen. Denn so lange Menschen auf Arbeit angewiesen sind wird es auch Unsicherheit im Job geben.

"Ein bezahlter Job ist in unserer Gesellschaft deshalb so wichtig, weil er garantiert, über ausreichend Geld zu verfügen, um am Leben teilhaben zu können", sagt Andrea Kern. Doch Geld sei nicht der einzige Grund, warum Menschen arbeiten. "Unser Leben wird von unserem Beruf definiert. Welcher Arbeit man nachgeht und wie viel man arbeitet, gibt unserem Leben Sinn und Wert."

Muss das denn unbedingt Erwerbsarbeit sein – oder gibt es da nicht auch andere Wege? "Glück und Zufriedenheit entstehen, wenn man sich gebraucht fühlt und einer sinnvollen Beschäftigung nachgeht", erklärt Andrea Kern. "Das muss nicht unbedingt eine bezahlte Beschäftigung sein."

Vielleicht, ganz vielleicht, dämmert langsam die Zeit für neue Alternativen und Modelle. Mit mehr Sinn und Zufriedenheit – und weniger Unsicherheit im Job.