Aus ihren Berichten über Vaginismus ergibt sich eine Ahnung, wie schmerzhaft das Phänomen für Betroffene sein muss. Es zeigt aber auch, wie schambesetzt und unverstanden dieses Krankheitsbild immer noch ist.

Vaginismus – was ist das eigentlich?

Bei Vaginismus verkrampft die Vagina der Betroffenen so sehr, dass dort nichts – oder nur unter großen Schmerzen – eingeführt werden kann. Kein Finger, kein Tampon, keine Toys, kein Penis und eben auch kein Spekulum bei einer Untersuchung: "Eine Frau mit Vaginismus kann gynäkologisch kaum untersucht werden, weil sie so verkrampft", erklärt de Liz.

Der Begriff Vaginismus stammt aus dem 19. Jahrhundert. Der US-amerikanische Gynäkologe James Marion Sims schrieb im Jahr 1859: "Aus persönlicher Erfahrung kann ich selbstbewusst behaupten, dass es keine Krankheit gibt, die so viel Leid für beide Ehepartner hervorbringt, aber ich bin froh sagen zu können, dass ich kein ernstes Problem kenne, welches so leicht, so sicher und so zuverlässig geheilt werden kann."

Angst vor dem eigenen Geschlechtsteil

Klingt gut, doch leider erleben viele Betroffene knapp 200 Jahre später eine nicht ganz so optimistische Diagnose. Denn so einfach ist es nunmal nicht: "Vaginismus ist ein psychologischer Mechanismus, das läuft völlig unterbewusst ab", sagt de Liz. "Dahinter steckt oft eine Angst vor Kontrollverlust. Frauen mit Vaginismus haben manchmal sexuell negativ gefärbte Glaubenssätze wie 'Nur Schlampen benutzen Tampons' oder ‘Die leiert aus’ verinnerlicht. Dabei haben sie eine Angst vor dem eigenen Geschlechtsteil entwickelt." Solche Ängste zu diagnostizieren und einfühlsam zu therapieren, ist nicht so leicht, wie Sims damals glaubte. Denn für viele Betroffene ist schon der Erstkontakt mit einer*m Gynäkolog*in schwierig, und wird umso schwerer, wenn das Gefühl entsteht, nicht ernst genommen zu werden.

Patientinnen wird empfohlen, sich "einfach mal zu entspannen"

So erzählte Leonie, eine Vaginismus-Betroffene, ze.tt was sie erlebte, als sie mit ihren Beschwerden zu einer Frauenärztin ging. Die habe gesagt: "Entspannen Sie sich mal. So ist es kein Wunder, dass da kein Penis reingeht." Nun klappt Entspannung auf Kommando selten gut, und erst recht nicht, wenn es um so intime Körperteile wie die Vagina geht.

Auch andere Betroffene erzählen von ähnlich erschütternden Erlebnissen bei Ärzt*innen. So gibt es in Großbritannien das Vaginismus Network, ein Netzwerk, in dem sich Betroffene über ihre persönlichen Erlebnisse austauschen können. Dort berichtet Nikki, wie sie mit 16 Jahren bei einem Frauenarzt war, der ihr empfahl, doch eine Flasche Wein zu trinken, "um sich mal locker zu machen". "Sich mal locker machen" scheint in der Tat ein weit verbreiteter Ratschlag zu sein, aber wie kommt es, dass dieses schwerwiegende Problem so abgetan wird?

Wenig Forschung und kein Thema in der gynäkologischen Ausbildung

Kanadische Wissenschaftler*innen stellten nach einer Durchsicht der Forschungsliteratur zu Vaginismus fest, dass die lange Zeit vorherrschende Meinung, das Problem sei leicht und zuverlässig zu lösen, weiterer Forschung im Weg gestanden habe. Und die klinische Psychologin J. Gayle Beck schreibt in einem Aufsatz zu Vaginismus, das Krankheitsbild sei "eine interessante Illustration wissenschaftlicher Missachtung". Zu dieser Einschätzung passt, dass es keine verlässlichen Zahlen dazu gibt, wie viele Frauen davon überhaupt betroffen sind. In der kanadischen Studie wird eine Zahl von fünf bis 17 Prozent angegeben.

"Vaginismus ist eine interessante Illustration wissenschaftlicher Missachtung"

Das ist nicht gerade wenig. Vaginismus ist also kein zu vernachlässigendes Problem, zumal es bei den Betroffenen auch zu anderen Krankheitsbildern führen kann. Eine Patientin, die zwölf Jahre lang ohne Erfolg die verschiedensten Behandlungen hinter sich gebracht hatte, wird in einer Studie zitiert: "Das war eine der düstersten und schamvollsten Zeiten meines Lebens." Beziehungsprobleme, Depressionen, die Unfähigkeit, sich gynäkologisch untersuchen zu lassen, kommen hinzu.

Auch Frauenärztin de Liz verweist auf die Komplexität des Problems und betont, dass mit gängigen gynäkologischen Interventionen eigentlich nicht viel zu machen sei: "Man kann das fast als eine Art Phobie sehen, es ist eine Panikreaktion. Frauen mit Vaginismus brauchen eine sexualtherapeutische Behandlung, als Gynäkologin kann man da häufig nichts machen." Auch die kanadischen Forscher*innen betonen in ihrer Studie, dass bestenfalls ein interdisziplinäres Team die Behandlung Betroffener übernehmen sollte: "Ein*e Gynäkolog*in, Psychotherapeut*in, Psycholog*in oder Sexualtherapeut*in sollten in der Einschätzung und der Behandlung des Vaginismus involviert sein, um die verschiedenen Aspekte abzudecken."

Frauen mit Vaginismus brauchen eine sexualtherapeutische Behandlung.
Frauenärztin Sheila de Liz

Betroffenen wäre aber vermutlich schon viel geholfen, wenn der erste Anlaufpunkt – für die meisten nämlich eine gynäkologische Praxis – schon besser aufgestellt wäre, um ihnen zu helfen. Doch zur Vaginismus-Behandlung gibt es im Gynäkologiestudium keine Ausbildungsinhalte und genau da wäre es wichtig, anzusetzen, wie de Liz meint: "In der Ausbildung zur gynäkologischen Fachärztin lernt man nichts zu dem Thema, das finde ich sehr schade. Denn man kann in der Ausbildung Subspezialisierungen machen: Fertilitätsgynäkologie oder Geburtshilfe zum Beispiel. Aber eine Subspezialisierung zum Thema Sexualität fehlt. Das müsste eigentlich dringend geändert werden!"

In der Ausbildung zur gynäkologischen Fachärztin lernt man nichts zu Vaginismus.
Frauenärztin Sheila de Liz