Manchmal esse ich Fleisch, das finde ich dann erwähnenswert. Ich wollte gern Vegetarierin sein; aber so richtig hat das nie geklappt. Mein Problem: Ich bin keiner von diesen gesagt-getan superkonsequenten Menschen. Wenn Vegetarier, dann höchstens pseudo.

In irgendeiner VWL-Vorlesung habe ich gelernt, dass wir alle Menschen (und noch einige mehr) ernähren könnten, wenn wir nur weniger Fleisch äßen. Das fand ich gut. Es funktioniert, weil eine Kuh, bevor sie zum Steak wird, ziemlich viel fressen muss. Dazu kommt, dass Fleischkonsum dem Klima schadet, weil Kühe soviel rülpsen und furzen, und weil Tiere mehr Wasser brauchen als Toast.

Essen hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Die Generation meiner Eltern sollte essen, was auf den Tisch kommt. Die Generation meiner Großeltern musste essen, was verfügbar war. Wählerisch konnte man da nicht sein. Wir jetzt, wir können durchaus wählerisch sein.

Wir könnten essen, was unsere Motive befriedigt, ob es Kampf gegen Hunger und Klimawandel sind, Tierschutz oder Diät. Wir stehen verwirrt in einem riesigen Supermarkt und wären lieber auf dem Bauernhof. Wir wissen nur: Wir sollten würden uns gern besser ernähren. Aber wie denn nur?

Zwischen 2007 und 2014 hat sich die Zahl der Vegetarier in Deutschland verdoppelt - von einem Prozent auf zwei, berichtet die Welt. Fleischlos lebten laut Allensbach-Institut 7 Millionen Menschen, das wären dann fast zehn Prozent. Brauchen die einen Kampfbegriff? Ich finde: Nein. "Vegetarier" sein, das setzt uns doch nur unter Druck. Unser ganzes Ernährungsleben lang werden wir unter Druck gesetzt. Es beginnt mit: "Iss auf!", am Esstisch in der Familie, ganz egal, wie satt wir sind.

Ein Lebensalter voller Lebensmittelskandale

Ich bin 29 Jahre alt. Als ich 14 war, wurde in Schleswig-Holstein eine Kuh mit BSE entdeckt. Sie war krank und ihre Krankheit konnte mir gefährlich werden; im Fernsehen sah ich Bilder von torkelnden Tieren und Menschen, die an der Krankheit Creutzfeldt-Jakob dahinsiechten, weil ihr Gehirn sich zersetzte.

Ein Jahr später, 2001: Die Maul- und Klauenseuche, sie betrifft Rinder, Schweine, Rehe, Ziegen, Schafe, also alles, was so auf den Teller kommen könnte. Ich war 15 und lernte, dass Zucker mich dick macht, Fett auch, dass ich also nichts essen sollte, außer Eiweiß, aber Eiweiß bringt mich wahrscheinlich um und die meisten Gemüse- und Obstsorten waren mir in diesem Alter äußerst suspekt. Als ich Abitur machte, 2005 war das, da kam der Gammelfleisch-Skandal dazu. 2006 bis 2007 verarbeiteten italienische Unternehmer verdorbenen Käse zu frischem; 2013 flog auf, dass Rindfleisch in Fertiggerichten auch mal Pferdefleisch sein könnte.

Zwischendurch war ich zu dünn, zu mollig, zu unsportlich sowieso. Die erwachsene Reaktion wäre es wohl gewesen, den Leuten den Mittelfinger zu zeigen. Ich war aber nicht erwachsen. Ich war ratlos.

Heute bin ich die Schuldgefühle leid. Ich habe noch immer meine eigenen Motive für mein Essverhalten, ich halte sie weiterhin nicht immer ein. Fleisch esse ich nur noch selten, ein halbes Leben voller Skandale hat mir den Geschmack verdorben. Selbst zubereiten würde ich es nicht mehr, da hat sich über die Skandale eine gewisse Zimperlichkeit eingeschlichen. Trotzdem gehe ich gern in ein gutes Steakhaus und ich mag es, wenn meine Mama Geflügel zubereitet oder Königsberger Klopse.

Das ist so schrecklich inkonsequent, tja. Aber es geht mir besser damit. Ich bin 29 Jahre alt und lerne jetzt erst, entspannt zu essen. Das ist viel zu spät. Zeigt mir die Frau, wahrscheinlich sogar: den Mann, der in meiner Generation keine Essstörung hat. Unser ganzes Essverhalten ist gestört. Es ist eine Epidemie, die Dogmatiker verbreiten. Es sind die selbsternannten Aufklärer, die uns krankmachen.

Also, lasst mich doch einfach Pseudo-Vegetarier sein. Von mir aus auch: Esser. Und bitte lasst es euch schmecken.