Wir leben im Zeitalter der Optimierung. Selbstverständlich versorgen wir unseren Körper mit dem gesündesten Superfood, genießen gleichzeitig aber auch lustvoll – in Maßen. Wir ruhen meditativ und selbstreflektiert in unserer Mitte, sind dabei jedoch hocheffizient und ultraproduktiv. Wir laufen rund und schnurren leise wie ein fabrikfrischer Elektro-Kleinwagen – weil wir jederzeit die bestmögliche Entscheidung treffen. Für das Beste, Schönste, Sauberste, Schlauste. Ohne Superlativ sind wir verloren. Dumm nur, dass dieses Optimierungsfieber sich auch auf den am wenigsten steuerbaren Bereich unseres Lebens ausdehnt: die Liebe.

Ein*e Partner*in soll uns in jeder Hinsicht ergänzen, alle Bedürfnisse befriedigen, aber bitte auf angemessene Weise. Er*sie soll ultimativ passen und schön sein, aber nicht zu sehr. Uns herausfordern, aber in den richtigen Augenblicken bedingungslos unterstützen. Er*sie soll uns nie verlassen, uns gleichzeitig aber keinesfalls langweilen und uns insgesamt jederzeit das Gefühl geben, dass wir – da uns das an sich ja schon schwer genug fällt – mit ihm*ihr auf jeden Fall die idealste aller Entscheidungen getroffen haben. Das Gleiche gilt dann umgekehrt genauso auch für uns.

Und so kommt es, dass Menschen in Beziehungen Ängste entwickeln.

Davor haben Leute in der Liebe Angst

Zum Beispiel davor, den*die Partner*in nicht (mehr) sexuell zu erfüllen. Laut einer Studie von Elite Partner befürchten jeder zweite Mann und sechs von zehn Frauen, den*die Partner*in im Bett nicht mehr glücklich machen zu können. Wir sollen schließlich sexuell befreit und experimentierfreudig, ultraerotisch und topfit sein, das gehört zur optimalen Grundausstattung.

Dabei ist es ganz normal, dass Begehren abflaut. Eine Studie der Ludwig-Maximilian-Universität kommt zu der Erkenntnis, dass es in fast allen Partner*innenschaften nach einem Jahr deutlich ruhiger wird. "Wir sahen eine positive Entwicklung der sexuellen Befriedigung im ersten Jahr der Beziehung, gefolgt von einem kontinuierlichen Rückgang", schreiben die Autorinnen Jette Schröder und Claudia Schmiedeberg.

Damit einher geht auch die Befürchtung, nicht mehr attraktiv genug zu sein. Obendrauf kommt dann noch die Angst, nicht mehr geliebt zu werden – fast die Hälfte aller Männer und Frauen macht sich deshalb manchmal Sorgen.

Druck, Druck, Druck

Und auch vor Langeweile haben Menschen in Beziehungen Panik. Was, wenn wir nicht immer optimal voneinander profitieren und unsere Zeit miteinander verschwenden? Bin ich unterhaltsam genug, liefere ich? Ist das hier wirklich das Beste für mich? Gibt mir die Beziehung genug Input und Kick – oder sollte ich lieber mal wieder ein paar Runden tindern? Vielleicht verbirgt sich hinter dem nächsten Swipe eine idealere Option.

Dass das alles auf Dauer nicht glücklich, sondern ängstlich macht – wenig erstaunlich. Der Druck ist zu hoch. "Gründe für zunehmende Beziehungsängste liegen darin, dass Partnerschaften heutzutage einem höheren Anspruch an Beziehungsqualität ausgesetzt sind", bestätigt auch die Diplom-Psychologin und Beziehungsexpertin Lisa Fischbach.

Wir wollen also happy sein, vergessen jedoch, was wir dafür brauchen.

Darauf kommt‘s an

Eine Beziehung ist kein reichweitenoptimierter Instagram-Account, keine Performance-Gelegenheit. Sie ist das Aufeinandertreffen und die Verbindung zweier Charaktere mit all ihren Erfahrungen, Stärken und Schwächen. Sie ist eine Entscheidung für eine vielschichtige Person. Auch, wenn es mal unrund, langweilig oder suboptimal läuft.

Was man dazu braucht? Vor allen Dingen Mut. Nicht nur für eine Entscheidung, sondern auch für emotionale Intimität. "Liebe heißt auch immer, sich zu öffnen und sein Innenleben zu offenbaren", sagt Lisa Fischbach. Und zwar besonders die unschönen, düsteren, ausgefransten Ecken. Ohne Filter und Facetune für Gefühle.

Beim angeblichen Zeitverschwenden mit einem*einer möglicherweise nicht absolut idealen Partner*in können wir unerwartete und zugleich wichtige Dinge über uns selbst lernen. Nicht unterhaltsam sein müssen und keinen Input erwarten, sondern einfach man selbst sein wollen und dürfen – das ermöglicht echte Nähe und tiefe Verbundenheit.

Weniger Äußerlichkeiten, mehr Gefühl. Weniger Ego, mehr wir.

Alles wird gut

Das zeigt auch der Umstand, dass mit steigender Beziehungsdauer nicht nur die sexuelle Leidenschaft, sondern auch die Furcht in der Liebe schwindet. Frisch liierte Paare sind ängstlicher als Langzeitpaare, sagt auch Lisa Fischbach: "Letztere entwickeln aufgrund jahrelanger gemeinsamer Erfahrungen mehr Vertrauen in die Stabilität ihrer Partnerschaft, sodass Sorgen und Zweifel deutlich geringer ausfallen."

Logisch: Wer schon Kinder kriegen und großziehen, Magendarm oder diverse Weihnachten bei Patchwork-Schwiegereltern zusammen durchgemacht hat, verliert zwangsläufig irgendwann Eitelkeit, Attitüde und Optimierungsbedürfnis. Und damit auch nach und nach die Angst. Was bleibt, ist die Liebe.