Das Video hatte sich innerhalb kürzester Zeit in den sozialen Medien verbreitet. Es zeigte hunderte Frauen mit verbundenen Augen. Die Frauen stehen in Reihen nebeneinander, bewegen sich hin und her, beugen die Knie, tippen mit den Füßen auf den Boden. Sie reißen die Arme hoch und zeigen mit den Fingern in die Luft: "El violador eras tú!" ("Der Vergewaltiger warst du!")

Am 25. November 2019, dem Tag gegen Gewalt an Frauen, hatte das Kollektiv Lastesis in der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile die Tanzperformance organisiert. Wenige Tage später schon wurde die Aktion auch in anderen südamerikanischen Städten wiederholt, schließlich auch in Europa, in Madrid, Paris und Berlin.

Heute wurde die Performance zum dritten Mal in Berlin aufgeführt. Beim ersten Mal, Ende November, waren nur ca. zehn Frauen anwesend, beim zweiten Mal, im Rahmen einer Klima-Demo über 60. Und heute waren es ebenfalls über 60. Sie alle wollen ein Zeichen gegen sexuelle Gewalt setzen.

Solidarität mit Opfern sexueller Gewalt

Sie stehen bei knapp über Null Grad und Nieselregen vor dem Konzertsaal der Universität der Künste, im Westen der Hauptstadt.

Es gebe gar keine offizielle Organisation, erklärt Ana, die Taktgeberin des Liedes. Das chilenische Kollektiv habe die Choreographie und den Text des Liedes zur Verwendung freigegeben, in Berlin hätten sich einfach Frauen, die sich kannten, zusammengetan und die Performance geplant: "Wer sich angesprochen fühlte, konnte teilnehmen."

Zwei Probedurchläufe werden gemacht. Ana gibt den Takt vor: "Rechts, links, rechts, links". Schließlich binden sich alle Teilnehmerinnen eine schwarze Binde um die Augen, eine Frau mit Trommel hört auf Anas Kommando: "Eins, zwei, drei" und die Performance beginnt.

Mit dem Lied soll Solidarität inspiriert werden. In Chile hätten sehr viele Frauen nach der Performance "in den tiefsten Löchern ihrer Seele gegraben", so Ana, und sich dadurch ermutigt gefühlt, eigene Geschichten von sexueller Gewalterfahrung zu teilen. Gewalt gegen Frauen sei leider ein universelles Problem, aber Solidarität, wie sie durch die Performances von "El violador eras tú!" zum Ausdruck komme, eben auch.

Hier lest ihr den deutschen Text des Liedes:

Das Patriarchat ist ein Richter

der uns verurteilt von Geburt

Und unsere Strafe

Ist die Gewalt die du nicht siehst

Das Patriarchat ist ein Richter

der uns verurteilt von Geburt

Und unsere Strafe

Ist die Gewalt die du jetzt siehst

Femizid

Straffreiheit für meinen Mörder

Das Verschwinden

Die Vergewaltigung

Und es war nicht meine Schuld,

wo ich war und was ich trug

Und es war nicht meine Schuld,

wo ich war und was ich trug

Und es war nicht meine Schuld,

wo ich war und was ich trug

Und es war

nicht meine Schuld,

wo ich war und was ich trug

Der Vergewaltiger warst du

Der Vergewaltiger bist du

Die Polizei

Und auch die Richter

Es ist der Staat

Und die Minister

Unser repressiver Staat

begeht sexistische Gewalt

Unser repressiver Staat

Begeht sexistische Gewalt

Der Vergewaltiger warst du

Der Vergewaltiger bist du

Schlafe ruhig friedliches Mädchen

Hab keine Angst vor bösen Menschen

Für deine Träume und deine Zukunft

werden wir weiterkämpfen

Der Vergewaltiger bist du

Der Vergewaltiger bist du

Der Vergewaltiger bist du

Der Vergewaltiger bist du

Anm.: Wir haben diesen Artikel am 20. Dezember aktualisiert. Die Tanzperformance wurde nicht erst zum zweiten Mal, wie ursprünglich geschrieben, sondern schon zum dritten Mal in Berlin aufgeführt.