Kleider machen Leute, heißt es. Mit ihr drücken wir unsere Persönlichkeit aus, zeigen unseren Status. Wir binden uns Krawatten um den Hals und stecken uns Einstecktücher in die Brusttasche. Wir legen Halsketten und Ringe an, tragen Designer*innenschuhe und Markenpullover, wir gehen auf Schnäppchenjagd und lümmeln in Jogginghosen herum. Verschiedene Arten von Kleidung sind verschiedene Arten, dem Gegenüber ein Bild von sich zu vermitteln.

Dass Kleidung Einfluss darauf hat, wie wir wahrgenommen werden, ist mittlerweile unbestritten. Kinder halten ihre Lehrer*innen für intelligenter, wenn sie gut gekleidet sind. Frauen in aufreizenden Klamotten werden als weniger kompetent wahrgenommen als im Hosenanzug. Menschen in Business-Outfits schreiben wir Attribute wie pünktlich, gepflegt und strategisch zu, wer in Jogginghose herumläuft, gilt als unbekümmert und unproduktiv. Kleidung verändert zudem nicht nur die Außenwahrnehmung, sie beeinflusst sogar uns selbst. Es reicht schon, wenn wir uns einen weißen Laborkittel überstreifen, damit wir aufmerksamer, eloquenter und mutiger sind.

Über Oberflächen, Hüllen und Schalen

Dabei ist Kleidung genau genommen nur eine Oberfläche. Die Hülle, in der wir stecken, nicht nur, um uns vor Kälte zu schützen, sondern um einen bestimmten Eindruck abzugeben. Die Schale um unseren wahren Kern, den wir mit ihrer Hilfe schmücken, verfälschen oder unterstreichen. Unten drunter sind wir alle gleich. Gleich nackt. Das wusste schon der deutsche Dichter Heinrich Heine, als er schrieb: "Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unsern Kleidern."

Leider ist die Akzeptanz der Nacktheit immer noch oft vom Körper des*der Nackten abhängig. Das findet auch Sophia Vogel, eine Fotografin aus Berlin. "Auf meterhohen Plakatwänden und in den Medien klaffen überall künstliche Schönheiten um einen herum. Sie vermitteln unrealistische Schönheitsideale und setzen alle anderen unter Druck", sagt Vogel. Warum sonst gaffen immer nur 90/60/90-Damen von diesen Plakatwänden?

Ich empfinde es als Irrsinn, Nacktheit per se mit Sexuellem zu verbinden.
Sophia Vogel

"Es regt mich auf, dass eine Gesellschaft, die immer so tolerant tut, so mit Nacktheit umgeht", sagt Vogel. Um darauf aufmerksam zu machen, startete sie ein Fotoprojekt. Für With and Withoutfotografierte sie Menschen jeweils zweimal, einmal angezogen, einmal nackt, in derselben Pose bei alltäglichen Tätigkeiten. Ohne unnatürliches Posieren, kein Gerekel im Bett, sondern zu Hause beim Blumenumtopfen, bei Yoga-Übungen, beim Fischefüttern, während der Arbeit oder draußen beim Spazieren mit dem Hund. So zeigt Vogel, dass uns bei weitem weniger unterscheidet, als wir vielleicht annehmen. Den Anfang machte die Fotografin mit einem Mit-Ohne-Selfie auf Instagram selbst.

Es gibt einen zweiten Grund, warum Vogel With and Without ins Leben rief. "Ich empfinde es als Irrsinn, Nacktheit per se mit Sexuellem zu verbinden." Wer nackt ist, würde oft schnell sexualisiert. Dabei vermittle jemand, der*die sich selbst nackt darstellt, nicht zwangsläufig etwas Sexuelles. "Es kann auch ein Zeichen dafür sein, dass man sich im eigenen Körper wohlfühlt und dass man sich durch unrealistische Schönheitsideale und die Bewertung anderer nicht fertig machen lässt", sagt Vogel. Sie habe sich daher entschieden, den Intimbereich der Teilnehmenden immer bedeckt zu halten, damit sich die Betrachtenden der Nacktheit zwar bewusst werden, sich aber nicht auf die jeweiligen Geschlechtsteile konzentrieren.

Vogel ginge es nicht darum, das Nacktsein zu missionieren oder dazu aufzurufen, sich einer FKK-Bewegung anzuschließen. "Mir ist egal, ob jemand nackt sein möchte oder nicht. Alles, was ich möchte, ist, dass sich Menschen der Kostbarkeit ihres eigenen Körpers bewusst sind." Wir alle kommen nackt auf die Welt und sind es unter der Kleidung immer noch. Da ist nichts, wofür wir uns schämen sollten.

Außerdem auf ze.tt: Menschen in Berlin stellen sich vor. Nackt.