In Island gibt es am Weihnachtsabend die Tradition, sich gegenseitig Bücher zu schenken und den Rest des Abends lesend zu verbringen. Jólabókaflóð, die Bücherflut, ergießt sich in den Wohnzimmern. Der Brauch geht auf die Besetzung Islands durch die Alliierten während des Zweiten Weltkriegs zurück. Produkte zu importieren, war schwierig, also begannen die Isländer*innen, ihren nationalen Buchmarkt auszubauen. So gab es zumindest genügend Bücher, die man verschenken konnte.

Wer Bücher verschenkt, verschenkt Ideen. Neue, kluge Gedanken, den Zugang zu bisher unbekannten Themen. Durch Bücher können wir unseren Blick auf die Welt mit anderen teilen und gemeinsam neue Perspektiven entdecken. Das ist besonders hilfreich bei Menschen, deren politische Ansichten uns nicht begreiflich sind. Wer diese Weihnachten zusätzlich zu den Diskussionen am Esstisch den Verwandten neue Impulse geben möchte, sollte sich in der Buchhandlung seines*ihres Vertrauens nach diesen Tipps umschauen.

Für die Patentante, die findet, dass Schwarze Menschen immer so toll singen können

Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten von Alice Hasters

Manche rassistische Stereotype sind so fest in der Gesellschaft verankert, dass weiße Menschen sie gar nicht als problematisch wahrnehmen. Dadurch werden sie aber nicht weniger schmerzhaft für Betroffene. In ihrem Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten hält Alice Hasters der weißen Mehrheitsgesellschaft den Spiegel vor und konfrontiert die Lesenden mit eigenen Vorurteilen und verinnerlichten rassistischen Denkmustern. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und nach dem man sich fragt, wieso deutscher Kolonialismus bisher kaum im Geschichtsunterricht behandelt wird.

Für den Vater, der der Meinung ist, dass es nur das biologische Geschlecht gibt

Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund von Jayrôme C. Robinet

Jayrôme ist trans. Als er beginnt, Testosteron zu nehmen, beginnt für ihn eine zweite Pubertät. Ihm wächst ein dunkler Bart – und plötzlich wird er gefragt, wo er herkomme und ob er arabisch spreche. Mit seiner Transition verändern sich nicht nur die Reaktionen seiner Umwelt auf Jayrôme als Mann, ihm wird auch ein anderer kultureller Hintergrund zugeschrieben. Nah und einfühlsam lässt Jayrôme C. Robinet Leser*innen daran teilhaben, wie sein Freund*innenkreis, seine Familie und Menschen auf der Straße ihm begegnen, und stellt dabei Geschlechterstereotype infrage.

Für die Liberalo-Tante, die den Kapitalismus für die größte Errungenschaft der Menschheit hält

Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben von Kristen Ghodsee

Die Historikerin Kristen Ghodsee liefert das perfekte Buch für Einsteiger*innen ins kapitalismuskritische Denken. Drei Jahrzehnte nach dem Untergang das Staatssozialismus reflektiert die US-Amerikanerin die Stellung der Frau in sozialistischen und kapitalistischen Systemen. Ghodsee ist überzeugt: Frauen hätten im Sozialismus ein besseres Leben. Ein Leben in wirtschaftlicher Unabhängigkeit und – in letzter Konsequenz – mit einer befreiteren Sexualität. Ein kluges Buch, das Träume vom Ende des Kapitalismus beflügelt.

Für den Opa, der regelmäßig über die Figuren der griechischen Mythologie doziert und dabei noch nie einen Frauennamen in den Mund genommen hat

Ich bin Circe 

von Madeline Miller

Circe ist eine Zauberin der griechischen Mythologie, die vor allem dafür bekannt ist, die Mannschaft von Odysseus in Schweine verwandelt zu haben. Natürlich ist sie aber mehr als die böse Hexe; es gibt Gründe, warum sie das getan hat. Die komplexen Hintergründe weiblicher Figuren darzustellen, ist keine Paradedisziplin griechischer Autoren wie Homer. Madeline Miller übernimmt die Aufgabe und erzählt von Glaukos, den Circe zum Gott macht, von Skylla, die sie in ein Meeresungeheuer verwandelt, von ihren Liebhabern, ihrer aufrichtigen Liebe, ihren wirklich sehr seltsamen Familienverhältnissen und ihren von Zeit zu Zeit grausamen Zaubern.

Für den Schwiegervater, der der Meinung ist, Frauen sollten aufpassen, wie viel sie trinken, wenn sie nicht begrapscht werden wollen

Ich habe einen Namen von Chanel Miller

Vor fast drei Jahren stand Chanel Miller in einem Gerichtssaal und las einen Brief vor. Er war an den Sportler gerichtet, der sie nach einer Party vergewaltigte. Damals trat Chanel Miller unter dem Pseudonym Emily Doe in die Öffentlichkeit. Der Fall führte zu einer Veränderung der Gesetzeslage in Kalifornien, um Opfer von Übergriffen und Vergewaltigung besser zu schützen. In Ich habe einen Namen erzählt Miller ungeschönt und wortgewaltig ihre Geschichte. Sie schildert, wie es sich anfühlt, in der eigenen Haut weiterzuleben, wenn man weiß, dass diese ungewollt berührt wurde. Wie Menschen ihre Empathie verlieren, wenn ein Opfer betrunken war. Wie viel Hass Betroffene nach einer Tat erfahren. Eines der wichtigsten Bücher dieses Jahres.

Für die Mutter, die dein Essverhalten kommentiert

Fa(t)shionista von Magda Albrecht

Weihnachten ist in vielen Familien ein Fest des Essens. Leider sehen manche Personen das als Gelegenheit, die Körper oder Portionen anderer zu kommentieren. Magda Albrecht hat das immer wieder erlebt. In ihrem Buch Fa(t)shionista schreibt sie sehr persönlich über Dickenfeindlichkeit, Vorurteile in der Medizin und beengende Schönheitsideale.

Für die kleine Schwester, die sich in Diskussionen oft nicht traut, ihre Meinung zu sagen

Anleitung zum Widerspruch von Franzi von Kempis

Wenn man in Diskussionen mit Vorurteilen konfrontiert wird, fühlt man sich manchmal wie gelähmt. Dass die Person mit ihrem Gewetter gegen Seenotrettung Unrecht hat, das fühlt man mit jeder Faser seines Körpers. Aber wie reagiert man auf das Geschimpfe – vor allem, wenn man nicht aus dem Stegreif mehrere Statistiken zitieren kann, die das Gesagte widerlegen? Die Journalistin und Historikerin Franzi von Kempis erklärt in ihrem Buch Anleitung zum Widerspruch einfache Strategien, um auf Stammtischparolen zu reagieren.

Für den Onkel, der begeistert Michel Houellebecq liest, weil es angeblich sonst keine Autor*innen gäbe, die so intensiv schreiben

Kosmetik des Bösen von Amélie Nothomb

In Kosmetik des Bösen geht es nicht um Schminke, sondern um das große Ganze: Glaube, Gott, und vor allem das eigene Gewissen. Jerome Angust wartet auf seinen Flug, als sich ihm plötzlich ein Fremder aufdrängt, ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen. Angust wehrt sich, er möchte nichts mit diesem unbekannten Mann zu tun haben. Doch innerhalb kürzester Zeit tun sich tiefste menschlichen Abgründe auf. Auf nicht einmal 150 Seiten schafft die belgische Autorin eine dichte Atmosphäre und ein mitreißendes Leseerlebnis – und das ganz ohne Diskriminierungen und Misogynie.