Nächtelang war ich so wütend, dass ich knurrend und mit geballten Fäusten aufwachte. Ich fühlte mich von ihm verraten, verhöhnt und zutiefst verletzt. Lassen wir das mit den Details, nur so viel: Es hat Jahre gedauert, bis ich von Herzen sagen konnte: Du hast mir sehr wehgetan, aber ich kann dir verzeihen, es ist okay. Diese lange Zeit war nötig, weil die Verletzung so vielschichtig und mit uralten anderen Verletzungen verknüpft war.

Danach fühlte ich mich … frei. Leicht. Und ruhig. Ich hatte etwas aufgelöst, den dünnen Restfaden durchgeschnitten, der uns bis dahin noch immer heimlich verbunden hatte. Ich war wieder nur ich und nicht mehr ich mit dem gebrochenen Herzen.

Manche Dinge sind wahrhaft unverzeihlich; dann dauert es nicht selten ein ganzes Leben und manchmal reicht nicht mal das. Aber in vielen Fällen ist verzeihen durchaus möglich und so wichtig – für einen selbst genau so wie für den*die Ex.

Menschen wollen vergeben

Eine aktuelle Studie der US-amerikanischen Elite-Uni Yale zeigt: Wir sind dafür gemacht, anderen zu verzeihen. Die Proband*innen des Experiments beobachteten, wie zwei Fremde ein Dilemma lösten: Entweder Elektroschocks bei anderen auslösen und Geld bekommen – oder ablehnen und kein Geld erhalten. Danach wurden die Teilnehmer*innen gefragt, was sie von den beiden Ausführenden hielten.

Es fiel ihnen leicht, die ablehnende Person klar als gut einzustufen; sie taten sich jedoch schwer damit, die weiter Elektroschocks ausführende Person definitiv als schlecht zu charakterisieren. Und sobald sie danach die als schlecht kategorisierte Person wieder etwas Gutes tun sahen, änderten sie diese vage Meinung schnell wieder.

"Unsere Ergebnisse zeigen eine grundsätzliche Neigung dazu, anderen – sogar Fremden – einen Vertrauensvorschuss zu geben", erklärt Yale-Psychologin und Studien-Autorin Molly Crockett. "Der menschliche Verstand ist darauf angelegt, soziale Beziehungen zu erhalten, auch dann, wenn das Gegenüber sich manchmal schlecht verhält." Oft würde das nämlich versehentlich geschehen und dann müssten wir in der Lage sein, einen schlechten Eindruck zu korrigieren. Andernfalls würden wir viele zwischenmenschliche Beziehungen verfrüht beenden und die Vorteile sozialer Bindungen verlieren.

Manchen fällt verzeihen leichter. Warum?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Unter anderem die Sache mit der Neurologie. Forscher*innen haben in verschiedenen Studien die Gehirne von Proband*innen untersucht und festgestellt: Eine ausgeprägte Fähigkeit zur Vergebung könnte angeboren sein. Menschen mit kleinerem Insel-Cortex oder geringer ausgeprägter unterer Stirnwindung verzeihen demnach beispielsweise leichter.

Ein sich verändernder Hirnstoffwechsel legt allerdings auch nahe, dass diese Fähigkeit im Laufe des Lebens veränderlich ist. Verzeihen lässt sich also durchaus (ver)lernen.

So klappt's mit dem Verzeihen

Wichtig zu wissen: Verzeihen heißt nicht vergessen! Verletzendes Verhalten muss keinesfalls entschuldigt werden. Was passiert ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden, mit Vergebung ist nicht alles wieder gut.

Verzeihen heißt auch nicht, keine Gefühle mehr zum Geschehenen zu haben. Ich finde die Sache von damals auch heute noch unglaublich gemein. Jeder Mensch hat das Recht, wegen erlittener emotionaler Verletzungen sauer zu sein. Aber jeder Mensch macht eben auch mal Fehler, einige davon gravierender und mit schmerzhafteren Folgen als andere. Sehr wahrscheinlich haben wir im Laufe unseres Lebens nicht nur eingesteckt, sondern auch mal ausgeteilt; und das sehr wahrscheinlich unabsichtlich. Niemand ist perfekt – wir nicht, die anderen auch nicht.

Verzeihen heißt vielmehr, das Vergangene genauso wie die aktuelle Situation zu akzeptieren. Es ist, wie es ist. Und will man wirklich seine Gegenwart und Zukunft von etwas beeinträchtigen lassen, dass vorbei und unveränderlich ist? Man darf sich immer noch erinnern, ohne weiter zu sehr emotional daran gebunden zu sein, sondern kann den Blick nach vorne richten. Der Weg zum Verzeihen ist mitunter ein langwieriger Prozess. Aber er lohnt sich. Nicht nur, aber besonders für das eigene Herz. Denn das hat ja schließlich schon genug mitgemacht.