"Ḥarām" steht im Arabischen für alles Verbotene, einem Tabu. Homosexualität ist in vielen muslimischen Kreisen auch ḥarām, die Liebe zwischen Mann und Mann oder Frau und Frau gilt als unsittlich. Trotzdem gibt es natürlich jede Menge Muslime, die schwul oder lesbisch sind. Diejenigen, die sich outen, haben oftmals mit den Vorbehalten ihrer Familien zu kämpfen. So auch Onur und Faouzi aus Hamburg, die Protagonisten des Films "Ich bin nicht arām".

Onur empfindet sich selbst erst als ein bisschen merkwürdig, sagt er und wusste: "Wenn ich mich dafür entscheide, offen schwul zu sein und das auslebe, dann habe ich einen sehr steinigen Weg vor mir." Er behielt Recht.

Mit 16 Jahren vertraut er sich zunächst seiner besten Freundin und dann seinem Bruder an, beide reagieren einfühlsam und zeigen Verständnis. Er wendet sich mit seinen Sorgen auch an eine Lehrerin, die hilft ihm, sich im Netz zu informieren. Die Schwierigkeiten beginnen, als Onurs Mutter einen Zettel mit Adressen von Beratungs-Webseiten auf seinem Schreibtisch findet. Sie erzählt Onurs Vater von seiner Homosexualität.

Die Eltern halten ihren Sohn für krank und schicken ihn, gegen seinen Willen, zu einem türkischen Familientherapeuten. Der soll ihn "umpolen", sagt Onur. Der Therapeut solidarisiert sich allerdings mit Onur, die erhoffte "Heilung" trifft nicht ein. Die Situation zu Hause wird für Onur immer unerträglicher.

Mit Hilfe des Jugendamtes zieht er von Nordrhein-Westfalen in ein betreutes Wohnprojekt nahe Hamburg, ohne, dass seine Eltern wissen, wo er ist. Erst nach ein paar Wochen meldet er sich zu Hause, gibt seinen Aufenthaltsort aus Angst, sie könnten vorbeikommen und ihn zwingen wieder mitzukommen, aber nicht preis.

Onur in "Ich bin nicht Ḥarām". © Ich bin nicht Ḥarām

Erst nach zwei Jahren sehen sich Mutter, Vater und Onur wieder. Sie machen ihm mittlerweile zwar keine Vorwürfe mehr, akzeptieren sein Schwulsein aber immer noch nicht: "Mein Vater sagt nicht: 'deine Homosexualität', sondern 'deine momentane Situation'", erzählt Onur. Er bereut die Entscheidung, abgehauen zu sein nicht. Mittlerweile hat er sein Abitur nachgeholt und will Physik studieren. Seit einigen Monaten hat er zudem einen festen Freund, den er letztes Jahr auf dem Christopher Street Day in Hamburg kennenlernte.

Faouzi in "Ich bin nicht Ḥarām". © Ich bin nicht Ḥarām

Faouzi ist 31 Jahre alt, Muslim und in Frankfurt am Main aufgewachsen. Mittlerweile wohnt der gebürtige Marokkaner in Hamburg. Faouzi hat nicht selbst über sein Coming-out bestimmt, sondern wurde von einem Bekannten geoutet. Der arbeitete als Sicherheitsmann auf einer Gay-Party, sah Faouzi mit einem anderen Schwulen herumknutschen und erzählte seinen Brüdern davon.

Die verprügelten daraufhin ihren kleineren Bruder, den damals 18-jährigen Faouzi, drohten, ihn zu ermorden und versuchten, ihn aus einem fahrenden Auto zu schubsen. Die Reaktion des Vaters auf Faouzis Homosexualität war nicht gewalttätig, aber gleichgültig. "Er fragte", so schildert es Faouzi, "Bist du n'Mann oder ne Frau?". Daraufhin antwortete Faouzi: "Ein Mann natürlich!" Der Vater erwiderte nur: "Okay, verschwinde!"

Der Verkaufsberater Faouzi hat sich mittlerweile mit seiner Familiensituation abgefunden. Seinen Glauben hat er dadurch aber nicht verloren: "Meine Sexualität hat nichts mit dem Islam zu tun. Das gleiche Geschlecht zu lieben, ist im Islam nicht verboten."

Michel Arriens © Leidmedien

Der Dokumentarfilm "Ich bin nicht Ḥarām" wurde von Studenten des Bachelorstudiengangs Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg gedreht. Über ein halbes Jahr begleiteten die vier Studenten Noémi Brachvogel, Michel Arriens, Duygu Masalci und Jana Stüven ihre beiden Protagonisten im Alltag.

"Gefunden haben wir sie auf Singlebörsen für Homosexuelle im Internet", sagt Michel Arriens, einer der Filmemacher. Auf Plattformen wie GayRomeo, Grindr und Tinder schrieb das Team diverse User an, auch Frauen. "Wir wollten eigentlich erst einen Film über das Coming-out einer Muslima und eines Muslimen machen. Leider scheinen es aber lesbische Frauen im Islam noch schwerer zu haben, als schwule Männer, sodass keine bereit war, sich öffentlich zu zeigen."