Mittlerweile müsste klar sein, dass Adam Sandler nicht nur der unlustige Dödel aus Quatsch-Comedys ist, sondern auch ein paar sehr gute Filme gemacht hat. Punch Drunk Love von Paul Thomas Anderson gehört dazu, aber auch der Marriage-Story-Vorgänger The Meyerowitz Stories von Noah Baumbach. Wenn Sandler wirklich will, dann kann er auch, das ist klar.

Trotzdem sind Kritiker*innen geflasht von Sandlers neuester ernster Rolle – und das zu Recht: Sandler brilliert in Uncut Gems (auf Deutsch: Der schwarze Diamant) mit einer oscarreifen Schauspielleistung. Und so rasant sich die Story entfaltet, liefert der Film auch noch eine harte Wirtschaftskritik mit.

Sandler schafft es, ein sympathisches Schlitzohr zu geben

Das Drama, das jetzt bei Netflix verfügbar ist, beginnt mit einem verletzten Mann, der aus einer Diamantenmine in Äthiopien getragen wird. Hier wird sofort klar: Alles, was wir in den nächsten zwei Stunden sehen werden – jeder Hustle, jeder Deal, jede Wette – wird auf dem Rücken des globalen Südens ausgetragen. Unter katastrophalen Bedingungen werden dort Menschen ausgebeutet, damit Männer wie Howard Ratner (Adam Sandler) ihrer Geldgier frönen können.

Ratner ist ein mit Gold behangener Spieler im Trainingsanzug, der einen Diamantenladen leitet. Da geht überhaupt nichts mit rechten Dingen zu: Gefälschte Uhren wechseln zu viel zu hohen Preisen die Besitzer*innen, Mobster werden mit Schmuck zum Schweigen gebracht.

In Ratners schwitzigem Diamantenmausoleum dreht er krumme Deals mit nur einem Ziel: Immer weiter zu wetten. Howard Ratner ist der Typ, der dir mit einer Hand auf die Schulter klopft und mit der anderen die Geldbörse aus der Jacke zieht. Und dabei trotzdem noch sympathisch rüberkommt.

Das ist die große Leistung Sandlers in Uncut Gems: Aus einem gierigen Schlitzohr einen Menschen zu machen, mit dem wir mitfühlen. Und dessen Leid wir auch dann noch verfolgen wollen, als er sich verzockt, wieder und wieder aufs falsche Pferd setzt, bis er sich völlig ins Aus galoppiert hat.

Uncut Gems ist ein flirrender Fiebertraum

Ratners endgültiger Untergang beginnt mit einem Schwarzen Opal. Es ist der Rohdiamant, den die äthiopischen Minenarbeiter aus dem Stein geschlagen haben. Über Umwege ist Ratner drangekommen und will ihn versteigern. Das Problem? Ein alternder Basketballprofi denkt, dem Stein wohnten mystische Kräfte inne. Er braucht ihn für sein nächstes NBA-Spiel als Talisman.

Weil Ratner dann doch eine gute Haut ist, leiht er ihm den Stein – und verwettet Geld, das er eigentlich gar nicht hat, auf genau diesen Spieler. Es beginnt eine kokaingeschwängerte Jagd durch New York, die irgendwann zu einem flirrenden Fiebertraum wird.

So, wie die Kamera in der ersten genialen Kamerafahrt des Films durch Ratners Darm gleitet, nimmt uns Uncut Gems nach und nach in seinen Synapsen gefangen. Der soghafte Trip macht die Zuschauer*innen zu Ratner: Alles kann verkauft werden, hinter jeder Ecke wartet der nächste Deal, wenn man die Schuldner*innen doch nur ein paar Stunden aufhalten könnte, wenn man doch nur diese eine letzte Wette gewinnen würde, wenn die Ehefrau es sich doch noch einmal anders überlegen könnte – ja, dann wäre vielleicht endlich alles gut. Oder?

Fetische und Wetten

So einnehmend die Bildsprache und Sandlers Spiel sind, die Botschaft von Uncut Gems bleibt unverkennbar: Der Film ist eine Wirtschaftskritik. Howard Ratners Abstieg verbildlicht, dass alles, was wir tun, im Kern zwei Prinzipien unterworfen ist: dem Fetisch und der Wette.

Als Fetisch hat Karl Marx die Idee verstanden, dass wir Gegenständen eine Eigenschaft zusprechen, die sie gar nicht besitzen. Ein Diamant lässt uns keine Körbe werfen, das ist klar. Aber auch ein Stück Papier mit einer Zahl drauf hat nur einen Wert, weil wir daran glauben. Das ist der Fetischcharakter von Waren und Geld. Mit der Wette verhält es sich ähnlich. Jede Unternehmensgründung, jede Investition: Im Grunde sind sie nur Wetten. Wetten darauf, dass man aus Geld mehr Geld machen kann.

In Uncut Gems geht es zwar um kleine Deals zwischen den Lowlifes von Los Angeles. Aber das, was wir hier beobachten, könnte genauso gut an der Wall Street spielen. Es ist doch alles dasselbe, zeigt uns der Film. Spieler*innen gibt es überall. Und egal, ob man gewinnt oder verliert, die meisten von uns bleiben körperlich unversehrt – im globalen Süden sieht das anders aus.

Dass man in diesem wahnsinnigen Chaos überhaupt den Überblick behält, ist den Regisseuren Josh und Benny Safdie zu verdanken, die bereits mit Good Time brilliert haben. Mit Uncut Gems legten sie jetzt ihr Opus Magnum ab. Eine Schande, dass die Academy sie und Adam Sandler bei den Oscarnominierungen übersehen hat.

Wenn du einmal pro Woche über neue Serien- und Filmtipps informiert werden möchtest, abonniere unseren Newsletter Popcorn & Couch.