Sich mal in Ruhe umziehen können. Nicht vor ihren fünf Kindern, nicht vor ihrer Schwester, nicht vor ihrem Mann. Danach sehnt sich Somaya Alavi aus Kandahar, Afghanistan. "Für uns ist es selbstverständlich. Wenn ich nach Hause gehe, mach ich meine Tür zu und bin allein. In Flüchtlingszelten geht das nicht. Hier ist es ein Privileg, eine Privatsphäre zu haben", sagt Sevda Atik. Die Studentin möchte Somaya Alavi diesen Wunsch erfüllen.

"Private Rooms" nennt Sevda das Projekt, es war ihre Idee. Seit diesem Sommer engagiert sie sich mit der Arbeitsgemeinschaft "Refugees Welcome an der Uni Bremen" im Camp - jeden Tag, trotz Pendelei, Sohn und Studium. Das Projekt lebt vom Austausch, sagt sie. "Anfangs wollten wir Theatervorhänge aufhängen, um den Bereich abzustecken – aber die Geflüchteten haben deutlich gemacht, wie wichtig ihnen ein festes Dach über den Kopf ist", sagt Sevda. Dieses Gefühl einer Rückzugsmöglichkeit sollen die knapp vier Quadratmeter großer Holzverschlag innerhalb des Zelts nun verleihen.

Der Wunsch nach einem geschützten Raum mit einem Dach über dem Kopf

Zu neunt stehen sie in einer Flüchtlingsunterkunft nahe der Uni Bremen vor einem Haufen Holz: Benachbarte Geflüchtete, handwerklich versierte und die Jungs der Familie Shah-Alavi. Sie alle wollen helfen. Zu acht wohnen die Shah-Alavis in einem abgetrennten Raum im Zelt. Bunt bemalte Spanplatten dienen als Wände, Tücher dienen über Seile gespannt als Raumtrenner. Die Dusche ist draußen, zweihundert Meter durch die Kälte. Und dort, wo über den Köpfen üblicherweise eine Zimmerdecke ist, baumelt ein Heiz-Schlauch, der für Wärme sorgt. Über 400 Menschen leben in diesen Zelten, viele schon über ein halbes Jahr.

Izzulah Hamidi, 25, und Mustafa Abdelkadir, 29, koordinieren die Bauarbeiten. Mustafa ist kurz vorher zufällig am Zimmer vorbeigelaufen – spontan packt der Automobilbau-Ingenieur mit an. Als die geeigneten Schrauben gefunden sind, beginnen die Männer mit dem Aufbau der Wände. Farsi, Englisch, Arabisch, Türkisch – ein bunter Sprachmix fliegt durch den Raum, untermalt vom Sound der Sägen und Bohrmaschinen, illustriert durch Hände und Füße. "Aufgrund der Sprachbarriere haben wir bei den Planungstreffen viel gemalt", sagt Sevda und lacht.

"Was nicht passt, wird passend gemacht"

Das Material für die Kabine hat die 34-jährige Sevda über Spenden und eigenes Geld finanziert. Die Stichsäge hat sie kurzfristig von Freunden geliehen, den Akku-Bohrer steuerte der Hausmeister bei. Eine Wasserwaage haben sie nicht – egal, geht wohl auch so. Es gilt: "Was nicht passt, wird passend gemacht". Nach einer Stunde steht das Holzgerüst. "Später machen wir den Raum dann noch schalldicht", sagt Sevda, als die Männer beginnen, den Rohbau mit Holzplatten zu verkleiden.

Sich etwas Eigenes aufzubauen und eigene Ideen einbringen zu können, beflügelt die Bewohner offensichtlich. "Alle haben zu Beginn der Planung direkt WhatsApp-Gruppen gegründet und sich ausgetauscht, so gut es ging", sagt Sevda. "Die Geflüchteten wussten ganz konkret, wie ihr Private Room aussehen soll." Familie Shah-Alavi etwa möchte neben einem Spiegel auch gern ein paar Pflanzen in den Raum stellen, "etwas Lebendiges, Positives".

"Was nicht passt, wird passend gemacht"

Beinahe wichtiger als die Räume scheint für die Geflüchteten das Gefühl, endlich gebraucht zu werden, sich nützlich machen zu können. Das zeigen die Freude und der Elan, mit dem sie sich beim Aufbau engagieren. Es wird viel gelacht, gefachsimpelt und herumhantiert. "Außer Deutsch- und Sportkursen haben die Menschen hier selten was zu tun und werden kaum gefordert", bestätigt Sevda. Diese Aufgabe sei eine willkommene Abwechslung zum tristen Alltag.

Als der Private Room nach zwei Stunden steht, sind Somaya und ihr Mann Khalil trotz aller Bescheidenheit sichtlich stolz. "Wir wollen den Raum noch weiß anstreichen und dann schön einrichten", sagt Khalil, während seine Kinder die Kabine bereits in Beschlag nehmen.

Ende August soll das Camp aufgelöst werden – das ist zumindest der Plan. Bis dahin sollen die Geflüchteten eigene Wohnungen bezogen haben. Doch so richtig glaubt hier keiner daran. Entsprechend begehrt sind die Private Rooms bei den Geflüchteten. Wie und wo weitere der kleinen Kabinen entstehen können, will Sevda mit der zuständigen Senatorin des Landes Bremen klären. Die Zusage für Materialien gebe es schon, sagt sie. Nun hofft Sevda, dass die Senatorin bald Zeit für ein Gespräch findet.