Wer ist A.D.? Diese Frage begleitete meine beste Freundin und mich über Jahre hinweg. Als sie nach sieben Staffeln und 160 Folgen endlich beantwortet werden soll, steht für uns fest: Wir müssen das Finale von Pretty Little Liars zusammen sehen.

Nur wie? Sie lebt in Wien, ich aber mittlerweile in Berlin. So kommt es an einem heißen Abend im Sommer dazu, dass wir per WhatsApp videotelefonieren und das PLL-Finale am Laptop streamen. Zeitgleich, aber allein. Jede in ihrer Wohnung und trotzdem zusammen. Zumindest irgendwie.

Um 19 Uhr sind wir wie verabredet online. Ich liege im Bett, meine Freundin sitzt auf ihrem Sofa. Sie hat ihren Freund an diesem Abend aus der Wohnung verwiesen. Es dauert Ewigkeiten, bis ich das Smartphone so platziert habe, dass es nicht umfällt, aber auch den Bildschirm des Laptops nicht verdeckt. Arias, Hannas und Emilys Stimmen hallen zu Beginn sechsfach in unseren Ohren. Ihre Gesichter frieren immer wieder ein. Mitten in der Folge müssen wir pausieren, weil mein Internet zu mies ist. Wir warten zehn Minuten und tratschen. Danach klicken wir wieder gleichzeitig auf Play.

Netflix Viewing Partys, die ideale Lösung?

Was wir im Sommer 2017 machten, hat mittlerweile einen Namen: Viewing Party. Man verabredet sich, zeitgleich einen Film oder eine Serie zu gucken. Dabei trifft man sich aber nicht bei jemandem zu Hause, sondern kommuniziert digital.

Netflix Viewing Partys würden zwar lahm klingen, seien aber ein großer Spaß, verspricht Patrick Lenton in einem Artikels beim australischen Onlinemagazins junkee. Lenton erzählt davon, am Wochenende einen Weihnachtsfilm mit Freund*innen und Arbeitskolleg*innen geschaut zu haben. Zusammen, aber jede*r für sich zu Hause. Ohne in die Hose schlüpfen zu müssen. Für ihn die perfekte Lösung, da niemand seine Komfortzone oder gar die eigene Couch verlassen musste.

Business Modell: Gemeinsam streamen

Damit sogenannte Viewing Partys besser funktionieren, gibt es mittlerweile eine Reihe von Diensten, die das gemeinsame Streamen vereinfachen sollen. Schon seit einigen Jahren bietet das kalifornische Unternehmen Rabbit eine Lösung an, bei dem sich eine Gruppe von bis zu 200 Leuten ein einziges Browserfenster teilen. Eine Person sucht die Serie oder den Film aus und 199 anderen können mitschauen. Auch Konkurrenzangebote wie Netflix Party oder Watch2Gether ermöglichen das gemeinsame Streamen und Kommunikation. Damit diese Dienste legal sind, brauchen aber alle die mitmachen, auch einen Account.

Die sogenannte Viewing Party vermittle ein Stück Fernsehgefühl für die Netflix-Generation, heißt es auf orf.atzum Thema. Das Konzept kehrt zur Linearität des Fernsehens mit fixen Sendeterminen zurück. Auf diese Weise wird das Filme- und Serienschauen wieder zum Massenereignis, über das man am nächsten Tag spricht oder es in den sozialen Medien diskutiert, wie beispielsweise beim sonntäglichen Tatort: Auf Twitter werden jede Woche live Plots, Themen und Schauspielleistung der Krimi-Serie diskutiert.

Wo bleibt die Freude daran, wenn die andere Person neben einem einschläft?

Streamen wir in der Zukunft also alle allein und trotzdem zusammen? Jein. Filmschauen und gemeinsames Binge Watching sind mehr als nur die gleiche Serie oder den gleichen Film zur selben Zeit zu schauen. Denn man liegt dabei nebeneinander, kuschelt, legt Füße aufeinander ab, hält sich bei gruseligen Szenen an den Händen oder schüttelt sich vor Frustration bei einem plot twist. All das Zwischenmenschliche macht gemeinsames Filme und Serien gucken doch aus. Außerdem – Gilmore Girls hat mich in dieser Hinsicht sozialisiert – braucht ein ordentlicher Filmabend: Snacks. Und es ist ist weniger schön, sich allein mit Pizza, Chips und Schokolade vollzustopfen.

Ich will für die Kommunikation mit meinen Bingepartner*innen nicht auf einen Screen glotzen müssen. Ich will mich einfach umdrehen und die Reaktion der Person live sehen. Auch den schönsten Momente eines echten Filmabends findet bei der Viewing Party nicht statt: wenn die andere Person neben einem einschläft. Oft bin ich es selbst, erwischt, aber wenn ich es nicht bin, beruhigt mich das immens. Einer schlafenden Person auf Skype zuzusehen, ist hingegen mehr als langweilig. Und was bitte wird durch die Viewing Party aus Netflix and Chill?

Echte, physische Nähe ist wichtig. Egal ob mit Freund*innen oder Partner*innen. Ihr könnt mich gerne spießig oder reaktionär oder eine Fortschrittlichkeits-Verweigerin nennen, aber ich will, wenn es irgendwie möglich ist, mit Menschen zusammen Filme und Serien schauen. Und ich habe wenig Bock darauf, gemeinsam mit Fremden im Chat zu tratschen oder meine beste Freundin nur durch das Telefon zu sehen. Ich will während des Tatorts im Arm von meinem Freund liegen und meinen Freundinnen panisch die Hand drücken, wenn ein Hauptcharakter bei Game of Thrones plötzlich stirbt.

Viewing Partys klingen nicht nur langweilig, sie sind es auch. Für mich kann das nur die unausweichliche Ausnahme sein. Die manchmal sein muss, um zu wissen, wer A.D. ist zum Beispiel. Aber selbst damit hätten meine Freundin und ich besser warten sollen. Ich würde viel dafür geben, tatsächlich mit ihr gemeinsam schreiend durch die Wohnung zu laufen und nicht per Videocall.