Unsere Autorin führt seit gut drei Monaten ein anderes Leben. Sie ist aus der Mietwohnung in Hamburg in ein Haus auf Rädern im Dorf gezogen. Ein Erfahrungsbericht

Ich sitze gerade in meinem Wohnzimmer und blicke durch die Terrassentür nach draußen. Das klingt erst mal wenig spannend. Aber: Mein Wohnzimmer ist gleichzeitig mein Esszimmer und mein Büro, es ist keine acht Quadratmeter groß – und hat Räder.

Anstelle einer Straße oder einer Häuserfront sehe ich Apfelbäume und Eichen, ein Feld und eine Biogasanlage in der Ferne. So sieht seit gut drei Monaten mein Leben aus. Ich bin von Hamburg in die Provinz gezogen, in einen 40 Jahre alten, undichten Bauwagen.

Raus aus dem Hamsterrad – rein in die Idylle

Von vorne: Mein Leben in Hamburg-Altona hatte sich zur Routine entwickelt und es fühlte sich für mich stark nach Arbeiten-Schlafen-Aufstehen-Arbeiten an. Hatte ich nicht auch mal andere Interessen? Möbel restaurieren, Bauen, Kunstwerke erschaffen – einfach mit den Händen arbeiten und nicht nur durch Tippen auf der Computertastatur? Ich wollte raus. Raus aus der Stadt, raus aus dem sagenumwobenen Hamsterrad, raus aus meinem routinierten Leben.

Dann stieß ich auf die Tiny-House-Bewegung in den USA. Mir wurde klar: Das will ich auch. Die kleinen Häuser auf Rädern werden von ihren Besitzer*innen oft selbst gebaut und zeichnen sich durch Mobilität und Autarkie aus. Aber wo sollte ich so ein Bauprojekt in der Stadt realisieren? Gar nicht. Da ich ohnehin immer mehr von den Menschenmassen, dem Geruch und der Hektik genervt war, passte das ganz gut. Im idyllischen Wendland, knapp zwei Fahrstunden östlich von Hamburg, stieß ich auf eine 40-Seelen-Gemeinde und konnte dort auf einem Bauernhof einen Teil des Grundstücks pachten.

Mein Mann und ich kauften einen alten DDR-Bauwagen und machten uns daran, ihn mit allem, was wir sammeln konnten, in unsere Vision von einem Tiny House umzuwandeln. Das war uns besonders wichtig: So wenig wie möglich neu kaufen, lieber Materialien nutzen, die bereits da sind und sie umfunktionieren. Kleinanzeigen sei Dank ging das besser als gedacht. Zunächst schliefen wir im Pulli, mit Mütze und Handschuhen. Zeitweise hatte unser Bauwagen weder ein Dach noch geschlossene Wände, da wir alles rausrissen und neu aufbauten.

Seit Dezember vergangenen Jahres haben wir unsere Wohnung in Hamburg vollständig aufgegeben. Noch ist unser Haus zwar nicht fertig, aber bereits heute haben wir viel erreicht. Auf einer Grundfläche von insgesamt 20 Quadratmetern finden Küche, Bad und Wohnzimmer Platz. Obendrauf ist ein kleines Schlaf-Loft.

Minimalismus: Platz für Dinge, die wirklich wichtig sind

Natürlich bedeutete diese Umstellung auch, Minimalismus zu leben. Ich überdachte Dinge wie die zehnte Tupperdose oder das 13 Jahre alte Abiballkleid. Brauchte ich das wirklich? All das bildete aber nur die Spitze des Eisbergs. Erst mal angefangen, machte ich kurzen Prozess mit allen Dingen, die ich seit einem Jahr nicht mehr benutzt oder schlicht in mehrfacher Ausführung hatte. Danach kamen die Dinge an die Reihe, die definitiv keinen Platz in einem Tiny House haben würden, wie etwa ein großer, schwerer Schreibtisch.

Erst hatte ich Verlustgefühle. Wenige Tage später konnte ich mich aber kaum noch daran erinnern, was ich überhaupt alles weggegeben hatte. Es fühlte sich gut an, zu entrümpeln und zu merken, was mir von meinem Besitz wirklich wichtig ist. Es muss bestimmt nicht jedes Teil sinnvoll oder effizient sein. Manchmal sind es eben einfach wertvolle Erinnerungen und lustige Dinge, die mich erfreuen. Zum Beispiel ein Marienkäfer-Kuscheltier.

Von Bekannten höre ich jedoch immer wieder: "So wenig Platz? Wie machst du das denn? Das würde mir nicht reichen!" Aber wie viel kaufen wir und haben schon nach einer Woche vergessen, dass wir es überhaupt haben? Sind das die Besitztümer, für die ich den ganzen Platz in einer normalen Wohnung benötige? Als einen Schrein für vergessene Pullover, Haushalts-Verrücktheiten und Ikea-Bilder? Ich denke nicht.

Von Internet bis kalte Nächte – kleine Hürden auf dem Weg

Und beruflich? In meiner Kommunikationsagentur in Hamburg habe ich auf Teilzeit umgestellt und arbeite die meiste Zeit vom Tiny House aus; noch bevor wir ein dichtes Dach hatten, hatten wir bereits Internet. Aber wer glaubt, dass das in Deutschland, dem Land der Digitalisierung, leicht gewesen wäre, täuscht sich. Mobilfunkverträge mit unbefristetem Datenvolumen für einen vernünftigen Hotspot sind hier unbezahlbar.

Mein Mann hat sich daher tatsächlich mit Spitzhacke und Spaten durch die Erde gewühlt. Inzwischen liegt ein Kabel vom Anschluss des Bauernhofs bis hinter zu unserem Tiny House. Abends mal eine Runde Serien streamen? Kein Problem. Es fühlt sich ganz normal an.

Was sich allerdings nicht so ganz normal anfühlt, ist alles andere. Da der Bau noch nicht abgeschlossen ist, haben wir bisher noch keinen Wasseranschluss oder ein funktionierendes Badezimmer. Wir laufen über das Grundstück zum Haupthaus des Hofes und füllen einfach Flaschen auf. Für Kaffee und ein paar Nudeln mit unserem Campinggaskocher reicht das. Zum Duschen nicht. Dafür nutzen wir das Gemeinschaftsbad im Haus, wie damals in der Studenten-WG, nur mit etwas mehr Metern und freiem Himmel zwischen Zimmer und Bad. Vergangene Woche kam unsere Komposttoilette. Wenn wir sie eingebaut haben, müssen wir nicht mehr für jedes Bedürfnis loswandern.

Über diese Dinge haben wir uns früher in unserer Wohnung keine Gedanken gemacht. Strom, Wasser, Heizung – das alles war eben einfach da und wir haben nur entschieden, bei welchem Anbieter wir sein wollen. Jetzt heizen wir mit Holz in unserem kleinen Werkstattofen. Ich liebe diese Art der Wärme. Der Nachteil: Ist der Kamin nicht an, wird es richtig kalt. Als es vor Kurzem geschmeidige Minus 15 Grad hatte und wir spätabends aus Hamburg zurückkamen, mussten wir erst mal ordentlich einheizen, bis wir unseren Atem nicht mehr sehen konnten.

Eier von freilaufenden Hühnern und Zeit für geliebte Menschen

Wir merken, dass Witterungsbedingungen einen größeren Einfluss auf uns haben als früher in der Wohnung. So wackelte bei Stürmen in den letzten Monaten unser Haus. Doch je länger ich so lebe, desto mehr genieße ich die Natur um mich herum, die Weite und die frische Luft zum Atmen.

Ich bin jeden Tag draußen und habe die Entscheidung, die Stadt zu verlassen, noch nicht einmal bereut. Ich bekomme Eier von freilaufenden Hühnern des Hofs statt vom Supermarkt. Ich kann vor meiner Haustür grillen, ohne Beschwerden von dem*r Nachbar*in aus der Wohnung über mir. Ich kann durch den kühlen, duftenden Wald spazieren, ohne kilometerweit fahren zu müssen. Wenn ich will, kann ich ebenso jederzeit nach Hamburg fahren oder auch Freund*innen in anderen Städten besuchen. Wenn der Bau erst abgeschlossen ist, habe ich schließlich vor allem Zeit. Zeit, geliebte Menschen zu treffen, Hobbys nachzugehen oder einfach nur wie ein Murmeltier auf dem Rücken liegend die Sonne zu genießen.

Wer weiß, was die Zukunft bringt. Ich habe längst aufgehört, langfristige Pläne zu schmieden. Das Leben lässt sich davon ja ohnehin nicht beeindrucken. Aber momentan sehe ich unser Tiny House als Investition in ein freieres Leben. Weg von erdrückenden Mietzahlungen und der vollständigen Abhängigkeit von Energieproduzenten. Raus aus der Menschenflut und hinein in die Atemfreiheit. Noch vor der Fertigstellung witzeln wir bereits, was wohl unser nächstes Projekt sein wird. Vielleicht der Ausbau eines alten Feuerwehrautos? Vielleicht machen wir einfach unser eigenes Dorf auf Rädern auf. Das wäre doch was.