Wenn sich die Nacht über London herabsenkt und das Partyleben erwacht, begibt sich Damien Frost normalerweise auf die Suche nach neuen Motiven. Denn der Fotograf, der tagsübers als Grafikdesigner in einem Theater arbeitet, dokumentiert am liebsten das bunte und faszinierende alternativ-queere Leben der Stadt. Auf der Straße, in Clubs, am Rande von Tanzflächen. Dafür ist er mit einer Art Pop-up-Studio unterwegs, das er auf Parkplätzen genauso wie auf Clubfluren aufbauen kann, und schnappt sich interessant zurechtgemachte Menschen für ein Porträt. Die Fotos sehen so professionell aus, als wären sie tatsächlich in einem richtigen Studio entstanden.

Wie gesagt: Das macht Frost normalerweise. Seit aufgrund der Corona-Krise Bars, Clubs und Bühnen schließen mussten, sind solche nächtlichen Steifzüge nicht mehr möglich. "Als der Lockdown verkündet wurde, war klar, dass ich so bald keine meiner üblichen Dokumentarporträts in Clubs mehr würde schießen können", berichtet er. Allerdings kam ihm bald schon eine neue Idee, auf die ihn der Begriff Social Distancing brachte: "Warum nicht Social Media dazu nutzen, diese Porträts weiterhin aufzunehmen, aber eben aus der Distanz? Ich mag, dass der Begriff Social Distancing zwei Bedeutungen hat: to keep your distance socially but also to socialise while being at a distance, also einerseits sozial Abstand zu halten, aber auch soziale Kontakte trotz Distanz zu pflegen."

Liveshows im Homeoffice

Ende März begann er zunächst, ein paar Freund*innen aus dem Nachtleben in ihrem Zuhause per Videocall zu porträtieren. Etwa zur gleichen Zeit bemerkte er, dass viele aus der Drag- und Perfomance-Szene Liveshows über Instagram oder Facebook veranstalteten und sich dafür entsprechend stylten – wie für eine echte Show oder Party eben. Also habe er damit begonnen, diese Leute vor oder nach ihren Shows aufzunehmen, so Frost. Auf Instagram rief er außerdem dazu auf, sich bei ihm für Porträtaufnahmen zu melden.

So hat er mittlerweile Menschen in Londoner Vororten genauso wie in Paris oder sogar auf Hawaii fotografiert. In der Bildunterschrift jedes hochgeladenen Bildes erzählen diese Personen, wie es ihnen gerade geht. "Meine Motive sind hauptsächlich Leute, die in der Drag- oder Perfomance-Szene arbeiten und denen das Einkommen und ihr Lebensunterhalt unter den Füßen weggezogen wurden. Viele von ihnen wissen nicht, wie und wann sie wieder Geld verdienen werden."

iPad als Kulisse

Wie so ein Fotoshooting aus der Distanz funktioniert? Frost erklärt, wie er vorgeht: "Ich baue mein iPad auf meinem Küchentisch auf und arrangiere ein paar Blumen und Pflanzen drumherum. Diese Maßnahme ist rein dekorativ, um die Kälte des Bildschirms zu reduzieren. Außerdem sieht das Ganze dann nicht so nach Apple-Werbung aus." Sobald ihm die zu fotografierende Person dann im Videocall zugeschaltet ist, passt er diesen Aufbau noch mal an, je nachdem, welche Farbe sie trägt.

Manchmal sei das alles gar nicht so einfach, weil die Internetverbindung oft schlecht wäre und dadurch auch die Videoqualität leide: "Oder wir können uns kaum verstehen oder das Licht oder die Szene oder die Position der Kamera passen noch nicht ganz." Dann dauert es manchmal etwas, bis sie den richtigen Ort für das Foto gefunden haben. "Dafür bekomme ich nebenbei manchmal eine Haus- oder Wohnungstour, während wir gemeinsam nach dem besten Platz für die Aufnahmen suchen."

Mehr als 50 Menschen hat Frost so schon aufgenommen. Insgesamt überraschte ihn, wie überwältigend positiv viele von ihnen trotz der aktuellen Lage gestimmt waren: "Es gibt auch viel Hoffnung in Bezug auf die Zukunft: Viele Leute, mit denen ich spreche, hoffen, dass diese Situation es uns als Gesellschaft erlaubt, liebevoller miteinander zu werden und uns eine Chance gibt, unsere Prioritäten zu verschieben, etwas runterzufahren und sich mehr um uns und unseren Planeten zu kümmern, wenn das alles vorbei ist."

Außerdem bei ze.tt: So vielfältig sieht die Dragszene in Osteuropa aus