Auf die Idee, Fotos von Gefängnissen zu machen, kam Michael Belhadi, weil ihm Handarbeit zu mühsam war. Belhadi ist 56 Jahre alt und lebt als Fotograf in Berlin. Hier verkauft er unter anderem Fotos der Hauptstadt auf Holzplatten an diverse Souvenirgeschäfte. Im Baumarkt ließ er die Platten zuschneiden, musste sie danach aber häufig noch von Hand nachbearbeiten. "Das war viel Arbeit", sagt er. Eine Freundin empfahl ihm, in der Tischlerei der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit nachzufragen, ob sie nicht diese Arbeit übernehmen könnten.

So kam Belhadi zu seinem ersten Knastbesuch. "Ich hab mich gut mit dem Leiter der Tischlerei verstanden und er bot mir an, mich ein wenig herumzuführen." Belhadi war begeistert. "Ich dachte mir: 'Mensch, es wäre toll, hier zu fotografieren'", sagt er. Wenig später erzählte er seinem Freund Michel Ptasinski, einem Fotografen aus Paderborn, von seiner Idee: Der kannte den Leiter des Gefängnisses in Geldern, einer Stadt in Nordrhein-Westfalen. Der sagte den beiden zu, dort fotografieren zu könnten.

In vier Jahren fotografierten sie zwölf deutsche Gefängnisse

Geldern war das erste Gefängnis, in dem die beiden Bilder machten. In der Zeit zwischen 2014 und 2018 sollten elf weitere folgen. Ihre Fotos halfen ihnen, die Leiter*innen der Haftanstalten zu überzeugen. "Manche sagten zu uns: 'Das ist das erste Mal, dass ich schöne Fotos meines Gefängnisses bekomme'", erzählt Belhadi. Die Aufnahmen der zwölf Gefängnisse finden sich im Bildband Aufschluss. Darin sind auch bekannte Gefängnisse, wie Stuttgart-Stammheim oder Hamburg-Fuhlsbüttel – und auch in Berlin Moabit konnten Belhadi und Ptasinski Bilder machen.

Auf keinem der Bilder sind Insassen oder Bedienstete zu sehen – aus Gründen des Persönlichkeitsrechts. "Wir haben meistens am Wochenende fotografiert", sagt Belhadi. Obwohl keine Menschen auf den Bildern sind, lassen die Fotografen erahnen, wie beengt und durchorganisiert das Leben in geschlossenen Strafanstalten sein muss.

"Eine gewisse Beklemmung empfindet man da drinnen schon", sagt Belhadi. "Wir waren immer froh, wenn wir wieder draußen waren." Nach zwölf besuchten Haftanstalten war die Neugier der beiden schließlich verpufft.

Worauf muss man bei der Architektur von Gefängnissen achten?

Dieses Gefühl der Beklemmung kennt Andrea Seelich. Seit gut 20 Jahren beschäftigt sich die 50-jährige Architektin mit Gefängnissen. Neben ihrem Studium der Architektur hat sie auch Kriminologie studiert. Außerdem hat sie selbst eineinhalb Jahre lang auf neun Quadratmetern gelebt – freiwillig, um ein Gefühl für die Mindestwohnraumgröße zu bekommen. Sie merkte unter anderem: Fenster spielen beispielsweise ein viel größere Rolle als in Freiheit. "Weil ich in einem geschlossenen Raum bin, den ich nicht verlassen kann, ist es psychologisch irrsinnig wichtig, Fenster öffnen zu können", sagt sie. "Wenn das nicht geht, bekommt man schneller einen Zellenkoller. Ich muss mir dann Frischluft zulassen kommen können, wenn ich es will." Wichtig ist auch die Höhe des Fensters. In alten Haftanstalten wie Berlin-Moabit oder Hamburg-Fuhlsbüttel befindet sich die Fensterbank auf einer Höhe von etwa 1,70 Metern. Ein Blick in die Landschaft oder Innenhöfe ist so unmöglich. Zur Zeit als diese Gefängnisse gebaut wurden – um den Wechsel zum 20. Jahrhundert –, war das gewollt. Insass*innen sollten Buße tun, der Blick in den Himmel gehen.

Heute geht man davon aus, dass der Strafvollzug dem Leben in Freiheit so nah wie möglich kommen soll. Wenn möglich, sollte ein Fenster im Gefängnis also einem in Freiheit ähneln – auch, was Aussicht und Höhe der Fensterbank angeht. Die Altbauten stehen allerdings unter Denkmalschutz, lassen sich also nicht so leicht umgestalten.

Gut gelungen ist das nach Ansicht von Seelich jedoch zum Beispiel in der Justizvollzugsanstalt in Neumünster (siehe Bildergalerie). Dort wurden zwei Reihen Ziegel entfernt und die Fenster so vergrößert. "Von außen habe ich an Gebäudeausdruck nichts verloren, und innen habe ich einen erträglichen Wohnraum geschaffen", sagt Seelich.

Wenn ich in einem Raum bin, den ich nicht verlassen kann, ist es psychologisch irrsinnig wichtig, das Fenster öffnen zu können.
Andrea Seelich, Gefängnisarchitektin

Auch andere scheinbar kleine Details spielen in Gefängnissen eine große Rolle, etwa die Breite eines Gangs. Ist ein Gang zu eng und Gefangene und Bedienstete gehen aufeinander zu, entsteht automatisch eine Machtsituation. "Es ist systemimmanent, dass Insass*innen und Bedienstete, aber auch Insass*innen und Bedienstete untereinander nicht auf einer Hierarchieebene sind", sagt Seelich. "Bei der Begegnung in einem zu engen Gang zeigt sich schnell die Hierarchie – eine*r muss stehen bleiben, oder sich zur Seite drehen. Ideal ist es, wenn Leute sich nicht näher als 60 Zentimeter kommen müssen", sagt sie.

Luxus im Knast?

Häufig bekommt sie die Frage gestellt, ob solch ein Komfort im Gefängnis nötig sei. Seelichs Antwort darauf: "Freiheitsentzug ist Strafe genug, warum den Stresspegel noch hochschrauben?" Schließlich kommen mehr als 90 Prozent aller Gefangenen irgendwann wieder frei – und sollen dann ja ein verantwortungsvolles Leben ohne Straftaten führen. Das wird schwerer, wenn sie durch die Haft gezeichnet sind, also unter negativen Haftfolgen, wie beispielsweise Zwangsstörungen, leiden.

"Ich kann Menschen, die lange in Haft waren, an der Art und Weise erkennen, wie sie über die Straße gehen", sagt Andrea Seelich. Sie hätten eine bestimmte Körperhaltung, die daraus resultiere, dass sie zu lange in engen Räumen waren. Zudem kann es durch die Haft zu Störungen des vegetativen Nervensystems kommen. Denn das Gefängnis ist ein Ort, in dem die Sinnesreize viel weniger stimuliert werden als in Freiheit. "Das führt einerseits dazu, dass die einzelnen Sinne geschärft werden, etwa der Hörsinn, wenn ich mich in der Nacht über den Spazierhof von Zelle zu Zelle unterhalte. Andererseits fördert die geringe Sinnesreizung, die Monotonie, die negativen Haftfolgen", sagt Seelich.

Ich kann Menschen, die lange in Haft waren, an der Art und Weise erkennen, wie sie über die Straße gehen.
Andrea Seelich, Gefängnisarchitektin

Details bekommen dadurch eine viel größere Bedeutung. Etwa, ob eine Tischplatte aus echtem Holz ist oder aus Plastik, das aussieht wie Holz. "Wenn ich ein Material optisch vortäusche, kommt es bei der Berührung immer zu eine Enttäuschung. Das optische Versprechen wird haptisch nicht eingehalten, dies führt zu Stress", sagt sie. Darum sei es wichtig, sich zu überlegen, wo welches Material verwendet werden könnte. Manches ließe sich sogar nutzen, um Insassen zu beschäftigen. "Einen Holztisch kann ich zum Beispiel in der JVA-Tischlerei abschleifen lassen und der Tisch sieht wieder wie neu aus", sagt sie.

Aus Sicherheitsgründen sind in Gefängnissen natürlich nicht alle Materialien erlaubt. Gipskarton geht zum Beispiel nicht. "Da kann ich schnell ein Loch reinmachen, es mit Zahnpasta zumachen und so etwa Drogen verstecken." 

Wissen über die Bedeutung von Architektur in Gefängnissen nicht weit verbreitet

Das Wissen über die Bedeutung von Architektur in Gefängnissen ist Seelichs Ansicht nach noch nicht weit genug verbreitet. Die Ausschreibungen für den Neubau eines Gefängnisses stammten häufig von Jurist*innen oder Bediensteten der Bauämter. "Die wissen aber wenig vom Strafvollzug. Die Leute im Gefängnis wissen sehr viel vom Strafvollzug, aber können es den Architekt*innen nicht vermitteln, weil sie nicht wissen, wie die denken", sagt Seelich.

Sie sieht sich darum auch als Übersetzerin. Sie sagt: "Ich sehe meine Rolle auch ein bisschen als Dolmetscherin zwischen Jurist*innen, den Leuten aus dem Strafvollzug und Architekt*innen." Bislang ist sie damit eine Seltenheit. "Das Justizsystem sieht nicht vor, dass eine Architektin kommt und sich fast zwanzig Jahre ausschließlich dem Strafvollzug widmet und dazu noch Kriminologie studiert."

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