"Ich bin davon überzeugt, dass die Hälfte dessen, was erfolgreiche Unternehmen von nicht erfolgreichen unterscheidet, pures Durchhaltevermögen ist", hat Steve Jobs zu Lebzeiten verkündet und natürlich lassen sich derartige Sprüche in einem schwarzen Rolli und mit ein paar Milliarden auf dem Konto recht lässig von sich geben.

Doch das Prinzip durchhalten, kämpfen, weitermachen zieht sich durch alle Ebenen der Gesellschaft. Entsprechende Geschichten finden sich in Filmen und Literatur, in der Unternehmensfolklore (siehe Steve Jobs), im Sport, … Um die Liebe kämpfen, Scheitern als Erfolgsrezept, hinfallen und wieder aufstehen – das Glück ist mit denen, die sich ehrgeizige Ziele setzen und dann dranbleiben, bis sie sie erreicht haben. Von nichts kommt eben nichts, no pain, no gain. Oder?

Die Psychologie hat da seit einiger Zeit einen etwas anderen Ansatz. Wer sich unerreichbare Ziele setzt und sie auch mit der größten Verbissenheit nicht erreicht, wird unglücklich und krank. Es gibt Zeiten und Dinge im Leben, da sollten wir es lieber lassen. Nur: Woran erkennt man den Moment, in dem Aufgeben angesagt ist?

Daher kommt das Durchhalteprinzip

Menschen haben sich schon immer Ziele gesetzt. Und das ist auch wichtig, sowohl für die gesellschaftliche Entwicklung als auch fürs persönliche Wachstum.

Ziele geben dem Leben Struktur und Sinn; wer Ziele erreicht, stärkt damit das Gefühl der Selbstwirksamkeit und steigert das seelische und körperliche Wohlbefinden, wie der deutsche Psychologe Dr. Carsten Wrosch, der im kanadischen Montréal an der Concordia University forscht und lehrt und sich vor allem mit Anpassung beschäftigt, in einem aktuellen Artikel zum Thema schreibt.

Ziele motivieren auch dazu, das eigene Verhalten konkret anzupassen und zu verändern, sowohl kurz- als auch langfristig. Dadurch ermöglichen sie Veränderung. Psychologisch gesehen gehört das Setzen und Erreichen von Zielen zu den wichtigsten Bausteinen unserer Selbstregulierung. "Aus dieser Perspektive betrachtet geben Ziele dem Leben einen Sinn", heißt es in der Arbeit von Dr. Wrosch.

Und manchmal sind Ziele tatsächlich wie ein Licht am Ende des Tunnels, das die Hoffnung aufrechterhält und uns Tiefs und Täler auf dem Weg dahin durchstehen lässt. Immer gleich die Flinte ins Korn werfen, wenn mal was nicht klappt, bringt halt auch niemanden weiter.

Eben weil Ziele so ein entscheidender Teil unserer Psychologie und unseres Lebens sind, ist das Durchhalteprinzip so tief in uns und in allen Bereichen der Gesellschaft um uns herum verankert.

"Wir leben einer Anstrengungskultur", sagt die Diplom-Psychologin Dr. Ilona Bürgel. "Wir lernen bewusst und unbewusst sehr früh, dass man sich Erfolg erarbeiten, ja sogar erkämpfen muss." Dazu gehören bekannte Floskeln wie "ohne Fleiß kein Preis".

Auch die Forschung hat sich bisher eher aufs erfolgreiche Erreichen von Zielen fokussiert, schaut jedoch inzwischen zunehmend auch auf das Aufgeben unerreichbarer Ziele als sinnvolle Anpassungsleistung.

Wann ist Dranbleiben klug?

Dabei ist Durchhalten per se keine schlechte Sache. "Unser Gehirn liebt Anstrengung, wenn sie angemessen ist", sagt Dr. Bürgel. Das bedeutet: Aufgaben, die uns im Bereich des Möglichen herausfordern. Unser Gehirn sei laut Dr. Bürgel zum Lernen, Probleme lösen und Ausprobieren gemacht.

Hinzu kommt das kleine Glücksgefühl, wenn ein Plan tatsächlich funktioniert, ein Hindernis überwunden oder ein Ziel erreicht werden konnte. "Wenn wir etwas geschafft haben, das mit ein wenig Mühe verbunden ist, befriedigt uns das am meisten", wie die Psychologin erklärt. "Das Abschließen von Tätigkeiten führt dazu, dass wir uns wohlfühlen."

Genau das sind die beiden springenden Punkte: angemessene Anstrengung und Erreichbarkeit eines Ziels.

"In vielen Fällen stehen den meisten Menschen verhältnismäßig gute Gelegenheiten zur Verfügung, um ihre Ziele zu erreichen", so Dr. Wrosch. "Selbst, wenn sie auf Hindernisse treffen, sind sie häufig in der Lage, sie durch mehr Zeit und Einsatz zu überwinden, bei anderen Menschen Rat und Hilfe zu suchen oder einen anderen Weg zum Ziel zu finden."

Problematisch wird es dann, wenn ein Ziel auf Dauer unerreichbar ist. Manchmal kann nämlich keine noch so umfassende Verhaltensanpassung der Welt die Erreichung des gewünschten Ziels gewährleisten.

Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Ziel von Anfang an viel zu hoch gesteckt ist. Also, mit Mitte 40 und eher mittelguter gesundheitlicher Konstitution plus Flugangst Astronaut*in werden – eher schwierig.

Gelegentlich kommen aber auch Lebensereignisse wie Krankheiten oder Unfälle dazwischen, die das Erreichen eines Ziels unmöglich machen oder so viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen, dass fürs Dranbleiben und Durchhalten nichts mehr übrig ist. Oder aber ein Ziel an sich fordert so viel Zeit und Energie, dass nichts mehr für andere Lebensbereiche und Ziele bleibt.

Das sorgt nicht nur für Frust und Überforderung, ea kann sogar seelisch und körperlich krank machen.

Das kann passieren, wenn wir nicht aufgeben

Obwohl Durchhaltevermögen laut Dr. Wrosch und Kolleg*innen durchaus eine wichtige Rolle bei der Lebensqualität spielen kann, kann Aufgeben das mindestens genau so tun.

Menschen, die sich unerreichbare Ziele setzen und nicht aufgeben, erleben immer und immer wieder Scheitern und Stillstand. Diese wiederholte Erfahrung kann zu depressiven Symptomen führen, zu endloser Grübelei oder zum Gefühl, dass dem eigenen Leben der Sinn fehlt. Letzteres klingt vielleicht etwas abstrakt, spielt jedoch eine maßgebliche Rolle. "Sinn wird heute als ein wichtiger Bestandteil psychischer Gesundheit verstanden", erläutert Ilona Bürgel.

Ewig und drei Tage mit unerreichbaren Zielen zu ringen, ist also erheblicher psychologischer Stress, der sich laut der Arbeit von Dr. Wrosch in erhöhten Cortisol- und Entzündungswerten sowie hormonellem Ungleichgewicht ausdrücken kann. Auch das Immunsystem kann in Mitleidenschaft gezogen werden; dazu kommen Energiemangel und Bewegungsunlust.

All das erhöht die Wahrscheinlichkeit, chronische psychische und physische Erkrankungen zu entwickeln. Und das ist kein Ziel der Welt wert. "Langfristig frisst das körperliche und geistige Kräfte auf und führt zu Erschöpfung oder Burnout", warnt Ilona Bürgel.

Und bei Dr. Wrosch heißt es: "Aufgeben ist ein wichtiger Prozess im Umgang mit unerreichbaren Zielen."

Woher wissen wir, wann Aufgeben besser ist?

Die Kunst ist also, zu erkennen, wann sich Dranbleiben lohnt und wann Aufgeben angesagt ist. Und das kann ganz schön knifflig sein.

Dr. Bürgel rät unter anderem dazu, die Anstrengung für das angepeilte Ziel an sich genauer zu überprüfen: "Bringt sie Freude, Wachstum, Lernen? Oder kostet sie Leistungsfähigkeit, Gesundheit, Wohlbefinden?"

Da ist im wahrsten Wortsinne der Weg das Ziel – und wenn der Weg immer nur steil, steinig und widerlich ist, wenn die Anstrengung mehr schadet als nützt, dann kann Aufgeben in der Tat die bessere Lösung sein.

Nun könnte es ja aber durchaus sein, dass wir schon sehr lange und sehr hart auf ein Ziel hinarbeiten und deshalb gar nicht mehr auffällt, wieviel Frust und Kraft es kostet und wie unerreichbar es ist. Und dann? "Auf die Signale des Körpers achten", sagt Dr. Bürgel. "Wir haben ein perfekt funktionierendes Frühwarnsystem – wenn wir es ernst nehmen."

Weitere mögliche Warnzeichen für Überforderung und ungesunde Anstrengung: Den Computer oder das Auto anbrüllen, keine Lust oder Kraft mehr haben, um Freund*innen zu treffen, ständig in Gedanken woanders sein, dauernde Grübelei, immer wieder über das gleiche Problem sprechen. "Das wichtigste Kriterium ist jedoch, wie viel man heute schon gelacht hat", sagt Dr. Bürgel.

Wer sich in der obigen Liste wiedererkennt, sollte sich ernsthaft mit dem Gedanken ans Aufgeben befassen. Und das hat übrigens nicht viel mit Scheitern zu tun. Im Gegenteil.

Wie macht man das mit dem Aufgeben?

Da wir Durchhalten und Dranbleiben verinnerlicht haben, ist ein gewisser Umlernprozess erforderlich. Doch im Grunde heißt Aufgeben – positiver formuliert – eigentlich gar nicht Aufgeben, sondern vielmehr Anpassung. Die eigenen Ziele anpassen zu können ist eine wichtige psychologische Fähigkeit und ein entscheidender Aspekt der Selbstregulierung.

Indem wir ein unerreichbares Ziel als nicht mehr wesentlich für ein erfülltes Leben betrachten, nehmen wir den Druck raus und setzen der kontinuierlichen Frustration ein Ende. Das ist nichts anderes als eine bewusste Entscheidung aus Selbstschutz und Verantwortung fürs eigene Wohlbefinden.

Was wir letztlich als erstrebenswert betrachten, ist vor allem eine Sache der Definition. "Es stellt sich die Frage, woran wir Erfolg überhaupt messen", sagt Dr. Bürgel. "Erfolg, der zum Beispiel an Bedingungen hängt, kann nicht langfristig glücklich machen, weil sich die Bedingungen ständig ändern."

Es liegt an uns selbst, eigene Kriterien für ein gutes, erfolgreiches und sinnvolles Leben zu definieren und eine befriedigende Antwort auf die Frage "was ist genug für mich?" zu finden.

Im nächsten Schritt lassen sich neue, passende Prioritäten sowie erreichbare Ziele setzen und freigewordene Ressourcen neu ausrichten. Also, statt hauptberufliche*r Astronaut*in zum Beispiel eher Hobby-Drachenflieger*in anpeilen.

Wenn das angepasste Ziel schließlich erreicht wird, wachsen damit das Gefühl der Selbstwirksamkeit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität. Und optimistischere Menschen mit einem stärker ausgeprägten Gefühl der Selbstwirksamkeit sind laut Dr. Wrosch auch eher in der Lage, ihr Umfeld zu beeinflussen – sie fühlen sich also weniger ohnmächtig und ausgeliefert – und es gelingt ihnen besser, ihre Ziele zu erreichen. Ein positiver Kreislauf. All das wiederum wirkt sich zudem positiv auf die Gesundheit aus.

Genug ist genug

"Die Zeit, in der wir leben, ist Chance und Gefahr zugleich", meint Dr. Ilona Bürgel, "nie zuvor war es so leicht, Visionen zu folgen und Träume zu verwirklichen." Andererseits jedoch suggeriere uns die allgegenwärtige Selbstoptimierung, dass alles für jede*n und immer möglich sei. Doch das ist eben nicht der Fall. "Schaut man auf diese permanente Erfolgsorientierung, dann fällt auf, dass es immer neue Bedingungen zu erfüllen gibt", sagt die Psychologin.

Manchmal ist gut genug wirklich einfach genug. Und deshalb ist Aufgeben so eine entscheidende Fähigkeit im Leben.