Ehrlichkeit gilt als die wichtigste Tugend in einer Beziehung. Dabei haben wir immer noch ein verqueres Verständnis von dem, was Ehrlichkeit bedeuten kann. Und es fängt bei ganz banalen Dingen an.

Ein Paar liegt im Bett, sie sind gerade gemeinsam aufgewacht. Sie küssen sich, schauen sich tief in die Augen. Und dann das. Ein sehr eindeutiges Geräusch. Kein Zweifel. Carrie hat gepupst.

Diese Szene aus Sex and the City ist ziemlich großartig, weil sie etwas zeigt, das wir uns alle irgendwann in einer Beziehung gegenseitig eingestehen müssen. Wir sind Menschen, wir haben eine Verdauung. Wir pupsen. Ohne Ausnahme.

Ehrlichkeit kann auch banal sein

Die Szene ist aber auch so großartig, weil sie auf etwas hindeutet, das im Kern einer Beziehung, einer Liebe liegt: Die Frage nach der Ehrlichkeit. Und ja, mit banalen Dingen geht es da schon los.

Das zeigt auch Carries Reaktion in der Szene. Denn sie flippt fast aus vor Scham und verlässt überstürzt die Wohnung. Übertrieben? Klar, aber wer kann ihre Flucht nicht zumindest ein bisschen nachvollziehen?

Wir alle möchten, gerade am Anfang einer Beziehung, einen guten Eindruck hinterlassen. Möchten eigentlich sogar besser wirken als wir sind. Aber neben den positiven Seiten, die wir zeigen wollen, geht es auch immer darum, einen Teil von uns zu verstecken.

Wir lernen, uns zu verstecken

Gerade Frauen wird früh genug beigebracht, was ein Typ auf gar keinen Fall mitbekommen darf, wenn Frau ihn halten will. Er soll nicht sehen, wie wir uns schminken. Er soll uns außerdem nicht im Schlabberlook mitbekommen. Denn dann könnte er ja denken, wir ließen uns gehen. Dass wir masturbieren, sollte er auch besser nicht wissen, nachher wird er noch auf einen Dildo neidisch. Glaubt man Frauenzeitschriften, Filmen und Serien, sind das Dinge, die man besser für sich behält. Ehrlichkeit? Hier bitte nicht!

Meine Schminke, meine Jogginghose, mein Vibrator

Dabei gehören diese Dinge doch auch zu uns. Es ist vielleicht nichts, was wir auf unseren Lebenslauf schreiben. Aber sexuelle Bedürfnisse, Schminkrituale und Freude an lauten Rülpsern machen uns eben auch aus. Und deswegen sind es Dinge, über die wir auch in einer Partnerschaft offen sein sollten. Denn sie stellen Intimität her, sie schaffen Vertrauen. Genau das, wozu Ehrlichkeit da ist.

Denn auch die banale Form der Ehrlichkeit zielt ins Herz dessen, was eine Beziehung sein kann. Ehrlichkeit gehört zur Liebe wie die Schmetterlinge zum Verliebtsein. Aber es scheint, als hätten viele schon vergessen, wozu diese Ehrlichkeit mal gut war.

Ehrlichkeit gehört zur Liebe

Ehrlichkeit funktioniert wie eine Art Gründungsmythos für die Liebe. Und deswegen fühlt sie sich am Anfang einer Beziehung auch so besonders an. Da kann einen Ehrlichkeit nämlich wahnsinnig glücklich machen. Man erzählt sich gegenseitig tiefste Geheimnisse - Dinge, von denen man nie dachte, man würde sie jemandem anvertrauen. Aber nun ist da jemand, bei dem fühlt man sich mit seinen Geschichten gut aufgehoben. Man legt ein Geheimnis bei jemandem ab, der sich gut drum kümmern wird. So fühlt es sich an. Das schafft Vertrauen.

Aber auch wenn wir uns nach einer Weile etwas auserzählt fühlen mit unseren Geheimnissen, machen wir oft weiter mit der gnadenlosen Ehrlichkeit, weil wir gelernt haben – im Gegensatz zu den banalen Dingen, die wir für uns behalten sollen –, dass Ehrlichkeit so wichtig für Beziehungen ist.

Die totale Ehrlichkeit

Aber ist sie das? Klar. Aber sie braucht Grenzen. Denn wir haben oft das Bedürfnis, die gnadenlose Ehrlichkeit des Anfangs immer weiter treiben zu müssen. Und übersehen dabei, dass es für die Beziehung auch wichtig sein kann, Dinge für sich zu behalten.

Denn die Gründe, warum wir etwas für uns behalten sind ja nicht immer schlecht. Sie sind gut, wenn es darum geht, den anderen nicht zu verletzen. Offenheit ist genauso wichtig wie das Eingeständnis, dass nicht alles, was wir empfinden und meinen, heraus in die Welt muss. Nicht jeder Flirt, nicht jeder Kopfkino-Seitensprung, nicht jede Beurteilung des anderen. Denn so sehr Ehrlichkeit zur Liebe gehört, so sehr gehört auch der Wunsch dazu, dem*r anderen nicht weh zu tun.

Einzuschätzen, welche Dinge trotzdem erzählt werden sollten, das ist dabei unsere ganz eigene Aufgabe. Und wenn wir uns dann gegen die Ehrlichkeit entscheiden, tun wir das eben auch aus Zuneigung. Solange wir dabei nur ehrlich zu uns selber sind.