Was steckt hinter #SturmAufBerlin?

Im Netz rufen gerade Verschwörungsideolog*innen und rechtsextreme Influencer*innen zum "Sturm auf Berlin" auf. Dafür setzten sie den Hashtag #SturmAufBerlin ein. Grund dafür ist eine abgesagte Demonstration gegen die Corona-Politik, die am Samstag den 29. August in der Hauptstadt stattfinden sollte. Für die Kundgebung auf der Straße des 17. Juni hatte die Veranstalter-Initiative Querdenken 711 aus Stuttgart ursprünglich 22.000 Teilnehmende angemeldet. Rund um die Großdemonstration meldeten verschiedene Initiativen sowie Privatpersonen weitere Veranstaltungen an. Auch diese wurden bis auf Weiteres polizeilich verboten.

Rasch fanden sich Menschen, die #SturmAufBerlin kapern wollten. Wer den Hashtag in der Suche von Twitter eingibt, soll nicht bei Aufrufen trotz allem nach Berlin zu fahren landen – sondern bei anderen Inhalten. Twitter-User @Provokateur_Tom rief dazu auf, unter #SturmAufBerlin Kuchenbilder zu posten.

Wer hat die Demonstration angemeldet?

Schon seit Mai organisiert die Intitiative Querdenken Stuttgart ihre Kundgebungen, in denen sie gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung demonstrieren und die Einschränkung ihrer Grundrechte beanstanden. Zur Demo am Samstag wollten Tausende Menschen aus ganz Deutschland anreisen. Reisebusse seien gechartert worden, um die Teilnehmenden in die Hauptstadt zu bringen, berichtete der Tagesspiegel.

Gründer Michael Ballweg ließ außerdem verlauten, dass die Proteste über den Samstag hinaus dauern könnten. Dem Tagesspiegel sagte er, man wolle die Straße des 17. Juni bis zu 14 Tage besetzen, ganz dem Motto "Wir sind gekommen, um zu bleiben" folgend. Nach der Absage äußerte sich Ballweg in einer Pressemitteilung seiner Initiative "geschockt über das Versammlungsverbot". "Meine Befürchtung im April 2020, dass im Rahmen der Pandemie die Grundrechte nicht nur temporär eingeschränkt werden, hat sich bestätigt", heißt es dort weiter.

Warum wurde die Demonstration abgesagt?

Innensenator Andreas Geisel von der SPD begründete die Absage damit, dass sich bei einer ähnlichen Demonstration am 1. August "bewusst über bestehende Hygieneregeln und entsprechende Auflagen" hinweggesetzt wurde. Damals hatten 30.000 Teilnehmende die vereinbarten Sicherheitsmaßnahmen wie die Einhaltung eines Mindestabstands und das Tragen von Mund-Nasen-Schutz missachtet. Auch bei der geplanten Versammlung sei mit vorsätzlichen Verstößen gegen bestehende Sicherheitsregeln zu rechnen, sagt Geisel.

"Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird", sagte der Innensenator. Auf die Kritik hin, mit dem Demonstrationsverbot das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken, positionierte sich der Innensenator eindeutig: "Wir müssen zwischen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und dem der Unversehrtheit des Lebens abwägen. Wir haben uns für das Leben entschieden."

Was waren die Reaktionen darauf?

Wie zu erwarten, fiel die Empörung unter den Corona-Gegner*innen groß aus. Im Internet kam es neben Aufrufen zur Nichtbeachtung des Versammlungsverbots auch zu Forderungen nach Gewaltausübung und einem politischen Umsturz. Eine Klage beim Bundesverfassungsgericht sei ebenfalls schon eingereicht, schrieb Demonstrationsinitiator Michael Ballweg auf der Webseite seiner Initiative. Man plane weiterhin, die Demonstration stattfinden zu lassen, bestätigte auch deren Rechtsanwalt Ralf Ludwig. In einem am Mittwoch veröffentlichten Video gab er bekannt, bereits die nötigen juristischen Schritte eingeleitet zu haben.

Es herrsche eine "Jetzt erst recht!"-Stimmung sagte Josef Holnburger der dpa. Der Politikwissenschaftler forscht zu Verschwörungsmythen in sozialen Medien. Er rechne damit, dass es zu Ausschreitungen in Berlin kommen könne. So hetzte auch schon Verschwörungsideologe Attila Hildmann in seiner Telegram-Gruppe gegen sogenannte "Landesverräter". Auch AfD-Politiker*innen ließen sich bereits öffentlich gegen das verbot aus und riefen zur Fahrt in die Hauptstadt auf.

Doch auch fernab der Verschwörungs-Bubble äußern sich einige kritisch zu dem Verbot. Die Journalistin Fatina Keilani schreibt beispielsweise in ihrem Kommentar im Tagesspiegel: "Das Demonstrationsrecht gilt auch für Rechte, für Verrückte, für Verschwörungsmythiker. Man sollte sie einfach machen lassen – unter schärfsten Auflagen."

Wer hat Recht?

Eigentlich steht in Artikel acht des Grundgesetzes: "Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." Finden diese Versammlungen an öffentlichen Plätzen statt, können sie jedoch per Versammlungsgesetz beschränkt werden. Zudem haben alle Bundesländer zu Beginn der Corona-Pandemie auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes Rechtsverordnungen erlassen, die die Demonstrationsfreiheit teils erheblich beschränken. In Berlin besteht deshalb aktuell noch die Pflicht für Initiativen, ein individuelles Schutz- und Hygienekonzept zu erstellen und vor Ort durchzusetzen.

Ob es ausreicht, die Missachtungen bei der Demonstration Anfang August als Grund für die aktuelle Absage vorzubringen, wird eine gerichtliche Prüfung klären. Da das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich klargestellt hat, dass es sich bei der Pandemie um "ein dynamisches und tendenziell volatiles Geschehen" handle, müssen behördliche und gerichtliche Entscheidungen an die jeweilige Situation angepasst werden. Wie im Falle der Veranstaltung am Samstag entschieden wird, lässt sich demnach bisher noch nicht klar sagen.

Versammlungsverbot gilt auch für andere Veranstaltungen

Denen, die sich durch die Absage in ihrem Recht auf Meinungsäßerung beschnitten fühlen, entgegnete Linken-Parteichef Bernd Riexinger: "Wo waren eigentlich die ganzen besorgten Bürger und AfDler, als die Gedenkdemo für die Opfer von Hanau wegen der Infektionschutzverordnung vergangenes Wochenende verboten wurde?"

sz