Wenn zwei Herzen einander zufliegen, gehört das zu den zauberhaftesten Erlebnissen, die diese verkorkste Welt zu bieten hat. 24-Stunden-Texting, Insider*innenwitze, romantische Playlists und der ganze, verdammte Schmetterlingsschwarm hinter dem Bauchnabel.

Doch hin und wieder kommt nach ein paar durchknutschten Kneipennächten, nach Spaziergängen und Restaurantbesuchen und Sex auf der Couch (und auf dem Boden und in der Dusche und in der Küche) eine gewisse Unwucht ins Spiel. Dann wirkt plötzlich eine*r irgendwie begeisterter als der*die andere.

Das ist der Moment, in dem es kompliziert wird. Und nicht selten auch schmerzhaft. Manchmal beginnen Menschen dann, sich ein Stück weit zu verstellen. Aber inwieweit lassen sich potenzielle Partner*innen am Anfang durch zu viel Liebe erschrecken, verstören und verjagen – oder steckt etwas anderes dahinter?

Woher kommt die Anfangsbegeisterung?

Warum und wie sehr sich zwei Menschen anfänglich attraktiv finden, füreinander interessieren und voneinander begeistert sind, ist eine hochkomplexe und extrem individuelle Angelegenheit. Hormone, Kindheits- und spätere Erlebnisse, Kultur, Bewusstseinslevel und aktuelle Lebenssituation sind nur einige Komponenten in dieser speziellen Mischung.

Die lässt sich ganz grob unter dem Oberbegriff Hoffnung zusammenfassen, wie Flirtcoachin und Beziehungsexpertin Nina Deißler sagt: "Es klingt vielleicht etwas unromantisch, aber Verliebtheit entsteht unter anderem durch den Glauben, dass das Gegenüber unsere Bedürfnisse erfüllen kann. Da darf man dann schon mal begeistert sein."

Um welche Bedürfnisse es sich dabei im Einzelnen handelt und wie bewusst oder unbewusst sie sind, das hängt logischerweise von der jeweiligen Person ab. Aber ohne diese Idealisierung gibt’s keine Schmetterlinge.

Damit taucht auch schon das erste und größte Problem auf: "Da wir das Gegenüber häufig noch nicht so gut kennen, entspringt einiges davon unserer Fantasie", sagt Nina Deißler. Genau das würden wir jedoch nicht immer sofort merken, sondern eben erst nach einiger Zeit.

Wenn sich also nach den ersten Tagen und Wochen das Begeisterungsniveau verändert, dann hat das mit der einsetzenden Realität und der damit einhergehenden Entidealisierung zu tun. Anders gesagt: Es zeigt sich, ob der*diejenige die eigenen Wünsche und Bedürfnisse wirklich so gut erfüllen kann wie erhofft – oder eben nicht.

Da wir das Gegenüber häufig noch nicht so gut kennen, entspringt einiges davon unserer Fantasie.
Flirtcoachin Nina Deißler

Wieso verlieben wir uns unterschiedlich schnell?

Dazukommt, dass Menschen nicht nur variierende Bedürfnisse und Sehnsüchte, sondern auch verschiedene Persönlichkeiten und damit Taktungen haben. "Jeder Mensch hat sein eigenes Tempo", erklärt Nina Deißler. "Ob und wie sehr sich ein Mensch begeistert, hängt davon ab, wie begeisterungsfähig, emotional und auch extrovertiert er oder sie in den Regungen grundsätzlich ist."

Wer also in anderen Bereichen des Lebens üblicherweise Team Feuer und Flamme ist, ist das zumeist auch in der Liebe. Andersherum sind vorsichtige und zurückhaltende Menschen auch mit ihren Herzen vorsichtiger und lassen sich lieber Zeit.

Wer in anderen Bereichen des Lebens üblicherweise Team Feuer und Flamme ist, ist das zumeist auch in der Liebe.

Zudem spielen erlebte emotionale Verletzungen beim Tempo und Begeisterungslevel eine Rolle. "Menschen, die enttäuscht wurden oder Angst davor haben, sich selbst zu verlieren, neigen dazu, ihre Gefühle mit Misstrauen und Skepsis klein zu halten", sagt die Expertin. Gebrochene Herzen wachsen nun mal nicht selten ein bisschen schief zusammen.

Nicht zu vergessen die Rolle, die das Selbstbild und das Selbstwertgefühl beim Verlieben spielen. "Wer zum Beispiel nicht glauben kann, dass ein anderer Mensch sich so für einen begeistert, wird direkt misstrauisch", erläutert Nina Deißler – das Ergebnis sei dann oft Rückzug: "Der- oder diejenige denkt dann: 'Wer mich so gut findet, kann nicht normal sein. Und wenn er oder sie mich noch besser kennenlernt, findet er oder sie mich eh nicht mehr toll. Da mache ich mich lieber gleich davon.'"

Die Selbstzweifel sind dann stärker als die Gefühle. Wer sich selbst nicht gut findet, kann eben nicht glauben, dass irgendjemand das anders sieht und fürchtet, die selbstempfundene Unzulänglichkeit würde zwangsläufig irgendwann entdeckt. Im Grunde so eine Art Beziehungs-Impostor-Syndrom.

All das kann dazu führen, dass Menschen sich aus der anfänglichen Begeisterung und Verknalltheit wieder zurückziehen und die eingangs erwähnte Unwucht ins Spiel kommt.

Keine Spielchen spielen

Dagegen lässt sich nur bedingt etwas ausrichten. Allerdings ist genau hinschauen – wie so oft im Leben – der erste Schritt: Was ist der wahre Grund dafür, dass eine*r von beiden plötzlich das Gefühl hat, es gebe zu viel Liebe?

Das kann durchaus eine Typfrage sein oder mit schlechten Erfahrungen zu tun haben. "Nur dass das Gegenüber das Herz nicht sprichwörtlich auf der Zunge trägt, muss ja nicht direkt heißen, dass da keine Anziehung oder kein Beziehungswunsch ist", sagt Nina Deißler.

Wenn das der Fall ist, dann lässt sich laut Expertin daran arbeiten und ein gemeinsamer Weg finden: "Zu einer guten Beziehung gehört es ja, dass man einander zunächst akzeptiert – das wäre hier die erste Übung."

Wichtig ist, dass die Beteiligten keine Spielchen spielen, sondern authentisch mit ihren Gefühlen umgehen, meint Nina Deißler: "Viele Menschen glauben, man dürfe sich die Begeisterung nicht anmerken lassen, weil man sonst direkt bedürftig wirke und der oder die andere einen dann nicht mehr respektiere. Das ist aber ein ziemlicher Trugschluss."

Es gebe da nämlich einen großen Unterschied: "Während man in der Bedürftigkeit sein ganzes Glück von dieser einen Person abhängig macht, ist die Begeisterung ansteckend, wenn sie vermittelt: 'Ich finde dich toll – aber wenn das nicht auf Gegenseitigkeit beruht, ist das für mich okay!'"

Denn diese plötzlich auftauchende Unwucht kann auch ein Regulativ sein, so etwas wie ein Gradmesser, der sich einschaltet und anzeigt, wo beide stehen und ob daraus etwas werden kann oder eben auch nicht.

Manchmal kann das Gefühl von einseitig zu viel Liebe tatsächlich durch abflauendes oder nicht so großes Interesse entstehen. Dann ist es wichtig zu akzeptieren, dass der*die andere weniger verliebt ist und keine Beziehung möchte oder schlicht andere Vorstellungen davon hat. Das ist normal, in Ordnung und kein Verbrechen. Auch, wenn es ziemlich wehtut, unter anderem, weil die eigenen Hoffnungen auf Bedürfniserfüllung enttäuscht werden.

"Es ist unnötig, Gefühle zu unterdrücken", sagt Nina Deißler, "aber es kann hilfreich sein, sich darüber klar zu werden, wo man steht."

Zu viel Liebe gibt es nicht

Jeder Mensch liebt so schnell oder langsam, intensiv oder vorsichtig, wie er*sie es nun mal tut. Es ist okay, leidenschaftliche und starke Gefühle zu haben und das ganze Herz direkt weit aufzumachen. Genau so okay ist es, zurückhaltend zu sein und erstmal nur die Fensterläden zu öffnen.

Entscheidend ist aber in jedem Fall, dass beide Beteiligte sehr ehrlich mit sich selbst und miteinander sind, sagt auch Nina Deißler: "Es muss nicht unbedingt schlecht sein, wenn einer überschwänglich ist und der andere es lieber ruhig angehen lässt, so lange man dabei eine Sache beherzigt: wertschätzende, ehrliche Kommunikation."

Denn zu viel Liebe gibt es nicht; es gibt nur schwer bis gar nicht überwindbare Unterschiede. Oder anders gesagt: Wenn’s passt, dann passt’s.