"Schreib doch einfach, dass es nett war und du ihn gerne wiedersehen würdest", sagt mein Mitbewohner Paul. "Das KANN ich nicht schreiben!", rufe ich. "Das ist VIEL zu einfach!"

Ich kann kaum glauben, was ich da gerade gesagt habe. Ich bin über dreißig und kann einem Typen, den ich ein paar Mal gesehen habe, nicht schreiben, dass ich ihn gerne wiedersehen würde? Stattdessen tüftele ich stundenlang an einer nichtssagenden Whatsapp-Nachricht.

Ich bin nicht die Einzige, der es so geht. Ich kenne viele Menschen, die Stunden mit dem Analysieren und Formulieren von Textnachrichten verbringen können. Und scheinbar wird es mit zunehmendem Alter nicht besser. Geht es darum, jemandem zu schreiben, den wir mögen aber noch nicht so gut kennen, fehlt jede innere Reife. Wir verhalten uns wie unsere pubertierenden Ichs. Lebenserfahrung, Souveränität, Selbstbewusstsein – alles ist dahin, wenn es um diese eine verdammte Nachricht geht.

Schreiben, Löschen, Umformulieren

Zu meiner Verteidigung kann ich sagen, dass gute Nachrichten an das Date von letzter Woche ein hohe Kunst sind. Eine solche Nachricht muss anschlussfähig sein, denn man möchte ja eine Antwort erhalten. Sie muss schon ziemlich cool sein, darf nicht zu anbiedernd sein. Und dennoch muss sie genau das sagen, was mein Mitbewohner vorgeschlagen hat: "Ich mag Dich. Ich will Dich wiedersehen." Der Trick ist: Das darf da so nicht stehen!

Es geht darum, subtile Botschaften zu senden, um sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Klingt wie eine diplomatische Handreichung aus der italienischen Renaissance. Und ist auch ungefähr so komplex. Wir alle hätten sicherlich mittlerweile einen Hochschulabschluss in SMS-Hermeneutik verdient.

Ist die anschlussfähige, coole, subtile Nachricht nach stundenlangem Schreiben, Löschen, Neuschreiben und Umformulieren endlich verschickt, startet unweigerlich folgender quälender Kreislauf. Es beginnt mit dem großen Warten. Ich checke alle paar Sekunden mein Handy und frage mich, ob die Nachricht überhaupt gelesen wurde. Dann, wenn nach einer gefühlten Ewigkeit endlich eine Antwort kommt: Antwort analysieren und enttäuscht sein, wenn sie zeigt, dass die oder der andere offensichtlich deutlich weniger Hirnschmalz in die Nachricht investiert hat. Als nächster Schritt folgt das Überlegen, ob man wiederum antwortet und wie lange man mit einer Antwort warten soll. Wenn das entschieden ist, beginnt das Schreiben, Löschen, Umformulieren von vorn.

Spannung hat noch keiner Geschichte geschadet

Die meisten Männer in meinem Freundeskreis meinen, dass dieser Umgang mit Dating-Nachrichten eine ziemliche Zeitverschwendung sei. Mit Direktheit würde man im Leben ohnehin weiterkommen. Warum nicht einfach sagen, was Sache ist? Eigentlich ein guter Rat. Auch ziemlich naheliegend. Aber woran liegt es dann, dass viele von uns sich trotzdem so gegen einen direkten, spontanen Umgang sträuben? Trauen wir uns etwa nicht, unser Begehren – und sei es nur ein blödes zweites Date – offen auszusprechen? Sind wir so darauf geeicht, den anderen den ersten Schritt machen zu lassen? Wollen wir keine Jäger*innen, sondern höchstens Gejagte sein? Oder zumindest diesen Anschein erwecken?

Klar, wer nicht direkt ist, kann sich hinter flockigen Formulierungen verstecken. Das schützt. Wer nicht offen sagt, dass er oder sie jemanden mag, kann bei Zurückweisung so tun, als wäre man überhaupt nicht verletzt. Gefühle verklausulieren aus Selbstschutz? Das ist legitim, finde ich.

Aber ich denke, es gibt auch noch einen zweiten Grund, warum wir uns so ausführlich mit diesen Nachrichten beschäftigen. Es macht halt auch irgendwie Spaß. Wie viele sehr lustige Stunden haben wir schon damit verbracht, mit Freunden*innen über SMS oder WhatsApp-Chats zu diskutieren? Wie viele kleine Geniestreiche sind uns dabei schon geglückt? Außerdem, ganz ehrlich, wäre unser Liebesleben nicht auch ein bisschen zu langweilig, wenn es immer ganz direkt zuginge? Ich mag dich, du magst mich. Boring! Ein Spannungsbogen hat noch keiner Geschichte geschadet.