"Ich will Prinz sein!" – "Das geht nicht, du bist ein Mädchen. Du kannst kein Prinz sein." – "Näääää", ruft daraufhin das kleine Röschen mit gesteigerter Lautstärke, "ich will Prinz sein!" Das Publikum lacht und klatscht. Und ich habe Gänsehaut. Röschen ist zwar kein Mädchen aus Fleisch und Blut. Sie ist eine Holzpuppe im Kölner Hänneschen-Theater. Aber sie spricht mir trotzdem aus der Seele. "Wir starten eine neue Tradition, von mir aus nenn' es Revolution", singt sie weiter (im Original auf Kölsch). Und mir fällt auf, dass diese kleine Holzpuppe eine ziemliche Vorreiterin ist.

Es ist 2020. Wer denkt, eine Revolution ließe sich nicht von einer Holzpuppe auslösen, den*die kann ich zwar gut verstehen, muss aber trotzdem sagen: Das, was dieses kleine freche Röschen, mit ihrem schrägen Gesicht und dem wilden Pony, da gerade von sich gegeben hat, ist tatsächlich revolutionär. Zumindest in diesem großen Dorf am Rhein, also Köln.

Denn in Köln ist die Theateraufführung, in der Röschen eine Rolle spielt, eine Angelegenheit von tragender Bedeutung. Menschen stehen nicht nur stundenlang Schlange dafür. Sie übernachten sogar auf der Straße, um an Karten zu kommen. Zur Premiere erscheint alles, was in Köln so Rang und Namen hat. Oberbürgermeisterin, WDR-Intendant, solche Leute. Die lokale Presse greift die Themen des Stücks auf. Und eins der Themen in diesem Jahr war eben: Kann ein Mädchen oder eine Frau eigentlich Prinz im Kölner Dreigestirn werden?

Christoph Kuckelkorn, der Präsident des Festkomitees, also der Chef des organisierten Karnevals, sagte dazu: "Die Idee ist sehr schön umgesetzt, aber ist halt auch auf der Puppenbühne noch ein Traum."

Wie man eben kleinen Mädchen auf den Kopf tätschelt, wenn sie etwas verlangen, was man ihnen nicht geben will. "Träumt weiter", anders gesagt. Schon erstaunlich, wie sattelfest sich manche Männer in dieser Welt fühlen, oder? Selbst das "so tun als ob" im Theater wird hier zum Traum deklariert. Die Ansprüche von Frauen auf Teilhabe werden sogar auf die zweite Metaebene geschoben. Sicher ist sicher.

Frauen als Teil des wichtigsten Aushängeschilds des Kölner Karnevals: undenkbar? Ernsthaft?!

Ein Anruf beim Festkomitee bringt zunächst Klarheit. Offiziell gebe es gar keinen Passus in den Regularien zur Wahl des Dreigestirns, der ein Geschlecht davon ausschließe. Theoretisch könnten sich also auch Frauen bewerben, alle Bewerbungen würden wohlwollend geprüft, wird mir versichert. Nach dem Gespräch setzt sich allerdings der Gedanke in meinem Kopf fest, dass es diesen Passus schlicht und ergreifend aus dem Grund nicht gibt, weil er gar nicht für nötig befunden wird. Was völlig abwegig ist, muss auch nicht ausgeschlossen werden. Und ja, die Wahl zum Dreigestirn ist kompliziert, Mitglied im Dreigestirn zu sein ist teuer und es müssen sich Menschen dafür bereit erklären. (Ich erspare euch an dieser Stelle die genauen Hintergründe.) Aber wie soll jemals eine Frau* auf den Gedanken kommen, sich zu bewerben, wenn ihre Ambitionen von vornherein ins Lala-Land verwiesen werden? Wenn einfach nur der Wunsch, mitzumachen schon ein Traum ist?

Heike Huhmann, die Puppenspielerin, die für Röschen verantwortlich ist, hat sich diese Frage auch gestellt. Eine Frau als Prinz oder als Bauer? "Es muss auf jeden Fall die Möglichkeit geben, dass darüber gesprochen wird. Es muss zur Diskussion stehen", sagt sie im Gespräch: "Es ist schwer zu fassen, in welchen Rollenklischees wir noch drinstecken." Allerdings. Aber diese Rollenklischees kennt jede*r, die*der in Köln aufgewachsen ist.

Ich bin zum Beispiel auch in Köln aufgewachsen. Wie alle anderen Kinder aus meiner Schule habe ich mich jedes Jahr zu Karneval verkleidet. Die Jungs als Ritter oder Cowboys. Die Mädchen als Prinzessinnen oder Feen. Beim Rosenmontagszug liefen kilometerlang weiße Männer in Uniformen an uns vorbei, zwischendrin ein paar junge weiße Frauen in Spitzenunterhosen. Karneval durfte man sein, wer man sein wollte, wurde uns gesagt.

Aber das war gelogen.

Am Dreigestirn kann man das deutlich sehen. Es ist die Karnevalsregierung, wenn man so will: Prinz, Bauer, Jungfrau. In goldverzierten Kostümen, mit einer Garde, die sie während der ganzen Karnevalszeit begleitet: "Einmal Prinz zu sein, davon hab ich schon als kleines Kind geträumt. Einmal Prinz zu sein, sonst hast du was versäumt", heißt es in einem bekannten Kölner Lied. Besser als Prinz geht nicht, dass war uns schon als Kindern klar. Wir lernten: Als Prinz wollen alle ein Foto mit dir, man wird überall bejubelt, darf auf dem größten und tollsten Wagen beim Rosenmontagszug mitfahren, während Hunderttausende deinen Namen rufen. Kurz zusammengefasst, für alle Nicht-Kölner*innen: Als Prinz ist man der größte Don. Nur mit Feder auf dem Kopf.

"Einmal Prinz zu sein, sonst hast du was versäumt", singt man also in Köln – aber so ungefähr die Hälfte der Mitsingenden kann sich das eh abschminken. Nicht, weil es einen Passus dagegen gibt, sondern weil ungeschriebene Gesetze ja oftmals sogar noch strikter befolgt werden. Vor allem in einem Umfeld, welches so wenig genderdivers ist, wie man es sich nur vorstellen kann. Frauen feiern zwar Karneval, Frauen arbeiten in Karnevalsgesellschaften mit. Aber auf den großen Wagen, auf den großen Bühnen stehen dann eben nur die Männer mit ihren goldenen Troddeln, den Orden, den Federn und lassen sich küssen von jungen Frauen in Spitzenunterwäsche.

Kölner Karneval? Man könnte auch Männerfestival dazu sagen.

"Es ist wirklich bemerkenswert, wie sehr sich Männer im Kölner Karneval hinter der Traditionsgeschichte verstecken. Die schützen einfach sehr ihren Einflussbereich – ich habe das als Frau noch nie so deutlich erlebt wie im Kölner Karneval", sagt Huhmann dazu. Sie schützen ihren Einflussbereich und ihre Privilegien. Und Privilegien, das kennt man ja zur Genüge, werden gerne mit Verweis auf Traditionen verteidigt.

Apropos Tradition und Stadtgeschichte: Köln wurde von einer Frau gegründet. Agrippina die Jüngere. Ihrer wird auch durch die Figur der Jungfrau im Kölner Dreigestirn gedacht. Dass eine Frau von einem Mann dargestellt werden kann, scheint also kein Problem für den Karneval zu sein.* Aber eine Frau stellt einen Mann dar? Träum weiter, Mädsche.

"Eine Frau als Prinz ist Thema, aber man muss es halt laut machen. Dann kommen die Leute nämlich nicht mehr umhin, sich damit auseinanderzusetzen und dann gehen ihnen schnell die Argumente aus. Denn es gibt kein Argument dagegen, gar keins", sagt Heike Huhmann – und Recht hat sie! Zugleich lässt sich sehr gut vorstellen, welche anderen Argumente noch gegen eine Besetzung der Rollen durch jedes Geschlecht angebracht werden: Frauen* hätten sich halt noch nicht beworben und die Zeit sei noch nicht reif. Aber mit diesen Vorwänden lässt sich nun mal jegliche Art der Veränderung ausbremsen und alle Ausgrenzungsmechanismen wegschunkeln. Nicht gut genug? Noch nicht bereit?

Dann tut was dagegen!

In den Leitsätzen des Komitees heißt es schließlich: "Der Kölner Karneval soll ein Fest für alle sein: volksnah, verbindend, integrativ." Und: "Der Kölner Karneval übernimmt gesellschaftliche und soziale Verantwortung." Na dann übernehmt auch die Verantwortung und sorgt dafür, dass die Ambitionen kleiner Mädchen nicht mehr an ihrem Geschlecht zerschellen. Dass kleine Mädchen und Jungen Bilder bekommen, mit denen sie versuchen können, alles zu werden, was sie wollen. Und diesmal wirklich.

Es gibt ein sehr bekanntes Karnevalslied, dort heißt es: "Du bist Köln, ob du willst oder auch nicht. Du bist Köln, weil es sonst keine Kölschen gibt." Wenn ihr Karneval für Kölner*innen also ernst meint, dann hört auf, die Hoffnungen von Kölner*innen nur als Träume zu bezeichnen und sorgt dafür, dass das Dreigestirn endlich offen für alle wird. Denn wer, wenn nicht wir, ist Köln? Alaaf.

*Für die Nationalsozialisten war es ein Problem. In den Jahren 1938 und 1939 musste die Rolle von einer Frau verkörpert werden, weil Crossdressing als unnatürlich galt. Nach dem Krieg wurde das wieder geändert.