Bundespräsident Alexander Van der Bellen steht Dienstagabend am Pult in der österreichischen Präsidentschaftskanzlei vor den Medienvertreter*innen. Seine Hände halten einander. Immer wieder blickt er ernst auf. Er spricht zu einem Land, das erschüttert ist. Die Ibiza-Tapes sind in aller Munde, viele Menschen haben das Vertrauen in die Politik verloren.

Van der Bellen erzählt von Politiker*innen, die von ihrem Weg abkommen und meint damit die beiden FPÖ-Politiker, die im Video auf Ibiza zu sehen sind und schamlos über die Beschneidung der Pressefreiheit und Korruption fantasieren. Er beschreibt ihr Verhalten als ein Sittenbild, das Grenzen überschritten habe. Doch der Bundespräsident tadelt in seiner Rede nicht nur, sondern entschuldigt sich für das Bild, das der Skandal auf die gesamte Politik geworfen habe. Eindrücklich und jedes Wort betonend, sagt er:

So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht.
Alexander Van der Bellen

Die Macht des Bundespräsidenten

Klare und wichtige Worte wie diese findet der Bundespräsident in den folgenden Tagen immer wieder. Oft spricht er von Ruhe, Gelassenheit und Verantwortung. Obwohl die Regierung sich (zum Teil) aufgelöst hat, der Innenminister entlassen wurde und die FPÖ-Minister*innen ihm folgten, bleibt er ruhig. Auch bei der Angelobung der Übergangsminister*innen unterzeichnet er routiniert die Dokumente, als wäre es ein Tag wie jeder andere und nicht etwa eine Premiere in der Zweiten Republik.

Ob Bundeskanzler Sebastian Kurz Kanzler bleiben wird, wird sich erst am Montag entscheiden. In einer Sondersitzung beantragt eine kleine Partei Misstrauen gegen den Kanzler. Ob die rechtspopulistische FPÖ und die sozialdemokratische SPÖ diesen Antrag unterstützen werden, ist immer noch unklar. Gibt es eine Mehrheit, kommt erneut Van der Bellen zum Zug: In diesem Fall müsste er eine*n neue*n Regierungschef*in bis zu den Neuwahlen ernennen.

Was darf der*die Bundespräsident*in alles?

Das Amt des*der Bundespräsident*in wird oft als ein rein repräsentativer Job abgetan: Winken, Händeschütteln und Staatsbesuche. Seit Tagen zeigt sich in Österreich, wie wichtig das Amt und das Handeln des*der Präsident*in sein kann. Der*die Bundespräsident*in ist der*die einzige Repräsentant*in des Staates auf Bundesebene, der*die von den Bürger*innen direkt gewählt wird. Da er*sie die Mehrheit des Wahlvolkes hinter sich hat, hat er*sie eine starke Stellung. So ist er*sie etwa verfassungsmäßig völlig frei bei der Ernennung des Kanzler*innenamts – er*sie könnte theoretisch jeden Mann und jede Frau mit der Regierungsbildung beauftragen. Damit die Regierung auch arbeiten kann, braucht es aber eine Mehrheit im Parlament. Grundsätzlich zählen zu seinen*ihren Verantwortungen sowohl Zuständigkeiten bei der Gesetzgebung als auch in Justizangelegenheiten. Außerdem ist er*sie Oberbefehlshaber*in des Heeres. Aktuell besonders wichtig ist sein*ihr Recht auf die Entlassung und Enthebung der Mitglieder der Bundesregierung und der Staatssekretär*innen.

Im Vergleich zum Amt des*der Bundespräsident*in in Deutschland hat er*sie bedeutend mehr Befugnisse. Aufgrund der negativen Erfahrungen und des Machtmissbrauchs in  der Weimarer Republik hat Erstere*r ein weitgehend repräsentatives Amt: Er*sie kann bei Bundesgesetzen und der Ernennung von Minister*innen lediglich Bedenken äußern und hat weder den Oberbefehl über die Streitkräfte, noch kann er*sie die Außenpolitik gestalten. Er*sie wird nicht direkt gewählt, sondern von der Bundesversammlung.

Was wäre wenn, Norbert Hofer Bundespräsident geworden wäre?

Die Bundespräsident*innenwahl 2016 gewann Van der Bellen nur knapp mit 53,8 Prozent gegen seinen Gegner Norbert Hofer (FPÖ). Hofer löste nun nach dem Aufkommen der Ibiza-Videos Heinz-Christian Strache als FPÖ-Chef ab. Vor drei Jahren wäre er fast noch Bundespräsident geworden. Was-wäre-wenn-Mutmaßungen ergeben selten Sinn, aber in diesem Fall lohnt sich ein kurzes Gedankenspiel: Wäre Norbert Hofer 2016 Bundespräsident geworden, wäre diese Woche in Österreich vielleicht anders verlaufen. Hofer hätte den Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) vermutlich nicht aus dem Amt entlassen, denn er betonte mehrmals in Interviews, dass er keinen Fehler beim Innenminister sehe und dass seine Entlassung ungerecht sei. Somit wären auch seine Parteikolleg*innen nicht aus Solidarität gegangen und die FPÖ-Minister*innen nach wie vor in der Regierung.

Aktuell ist der Bundespräsident so gefordert wie lange nicht. Er trifft Politiker*innen aller Parteien, ist im ständigen Austausch mit Sebastian Kurz und übernimmt zum Teil auch seinen Job. Denn einem Land Mut zuzusprechen und sich aufrichtig zu entschuldigen, wäre nicht nur die Aufgabe des Präsidenten, sondern auch des Kanzlers.

Van der Bellen gibt Österreich Ruhe und Stabilität

Es verwundert also nicht, dass der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Grünen-Politiker für seine Arbeit gefeiert wird. Ein österreichisches Gratisblatt titelt: "Regierung zerbricht – und alle lieben Van der Bellen". Auf dem Facebook-Account des Präsidenten loben ihn die Menschen: "Ein Staatsmann, wie Österreich ihn braucht", "Ich bin froh, dass Sie unser Bundespräsident sind und ich vertraue ihnen zu 100 Prozent, dass sie in diesen schwierigen Tagen die richtigen Entscheidungen für Österreich treffen werden! Danke!" oder auch "Ich war nie ein Befürworter von Van der Bellen. Aber diese Aussagen von ihm haben mir zu Denken gegeben."

Zwischen dem Bild des korrupten Politikers, der prahlt, säuft und Österreich verschachert, sehnt sich das Land nach einem Ruhepol. Einem Politiker, der das Gegenteil verkörpert: weise, bedacht und optimistisch, trotz allem, was in Österreich gerade passiert.

Meine Damen und Herren, nur Mut und etwas Zuversicht – wir kriegen das schon hin.
Alexander Van der Bellen

Am Ende der Ansprache wendet sich der Bundespräsident bittend an das Volk: "Wenden Sie sich nicht angewidert von der Politik ab. Denken Sie nach, beteiligen Sie sich an Diskussionen. Und gehen Sie am Sonntag wählen! Meine Damen und Herren, nur Mut und etwas Zuversicht – wir kriegen das schon hin. Das haben wir auch in der Vergangenheit geschafft. Das ist ja etwas typisch Österreichisches."

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