Am Sonntag wird in Österreich gewählt. Meine Freund*innen besprechen seit Wochen in WhatsApp-Gruppen und Kneipenrunden, wo sie ihr Kreuz setzen werden. Sie listen Vor- und Nachteile der einzelnen Parteiprogramme. Wer ist für die Cannabis-Legalisierung? Wen muss ich wählen, damit die Erbschaftssteuer (nicht) kommt? Welche Partei wird mehr Kindergartenplätze ermöglichen? Ich beteilige mich selten an solchen Diskussionen. Denn meine Wahlentscheidung treffe nicht ich, sondern meine Eltern.

Nein, meine Eltern sind keine Despot*innen, die mir auch im Erwachsenenalter noch Vorschriften machen.

Aufwachsen als Migrant*in in Österreich: nicht immer ein Alpenidyll

Meine Eltern sind Geflüchtete. Als ich zwei Jahre alt war, ist der Jugoslawienkrieg ausgebrochen. Meine Eltern sind mit mir nach Österreich gekommen. Dort leben sie noch heute, während ich vor einigen Jahren nach Berlin gezogen bin. Das ist die Kurzversion meiner Migrationsgeschichte. Die Langversion hat noch ein paar Höhen und Tiefen. Ausgrenzung, Beschimpfungen, Mikroaggressionen: Die ersten Jahre in Österreich waren nicht immer Alpenidyll.

Meine Kindheit ist trotzdem voller guter Erinnerungen. Das liegt zu einem großen Teil an meinen Eltern. Sie haben mich immer gefördert, waren immer für mich da und haben mir das Gefühl gegeben, alles erreichen zu können. Es klingt erst mal selbstverständlich, dass Eltern das tun. Aber ist es das wirklich? Für zwei Menschen, die viel und noch dazu in schlecht bezahlten Jobs geschuftet haben? In einem Land, das sie nicht wollte? Meine Mutter und mein Vater haben mir Hoffnung gegeben, als sie selbst kaum welche hatten. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Vorzeigemigrantin in der Wohlfühlblase

Mittlerweile habe ich ein abgeschlossenes Studium, verdiene das, was meine Mama ein gutes Gehalt nennt und muss mich im Job nur dann körperlich schinden, wenn mittwochs Rückengymnastik ist. Die Menschen gehen im Normalfall respektvoll mit mir um. So respektvoll Berlin eben ist.

Das Leben als Vorzeigemigrantin wäre toll, wenn da bloß meine Eltern nicht wären.

Meine eigene Wohlfühlblase platzt nämlich ganz schnell, wenn ich auf Heimatbesuch bin. Zwar mögen die Zeiten, in denen Leute sich mir gegenüber rassistisch verhalten haben, vorbei sein. Für meine Eltern haben sie aber nie aufgehört. Ihre serbo-kroatischen Vornamen, ihr Akzent und ihre manchmal etwas eigenwillige Grammatik machen sie zu einem leichten Ziel für jene, für die immer die sogenannten Ausländer*innen die Bösen sind.

Sticheleien und rassistische Beleidigungen

Mit was für Schwierigkeiten sie im Alltag zu kämpfen haben, erzählen sie mir nicht am Telefon, damit ich mir keine Sorgen mache. Aber ich merke die kleinen Sticheleien und manchmal großen Beleidigungen, wenn ich mit ihnen unterwegs bin. Wenn ich allein bin, spricht nämlich kein*e Verkäufer*in mit mir wie mit einem*r Vollidiot*in. Wenn ich in eine Kontrolle gerate, ist kein*e Polizist*in automatisch per Du mit mir. Keine Sprechstundenhilfe fängt an, lauter mit mir zu sprechen, als würde sie glauben, Deutschkenntnisse stiegen proportional mit der Lautstärke ihrer Stimme.

Diese Momente machen mich unendlich zornig. Weil ich es nicht mag, wenn jemand meine Eltern wie Idiot*innen behandelt. Aber auch, weil es mir dann meine eigene Naivität ins Gesicht schlägt. Die Leute sind nicht respektvoll zu mir, weil ich es verdiene.

Leute, die mich nur flüchtig kennen, hören und sehen mir meinen Migrationshintergrund einfach nicht an: Nur mein Name verrät Menschen meine bosnische Herkunft.

Wahlentscheidungen als Gewissensfrage

Dieses Bewusstsein lässt mich bei politischen Wahlen stets die Gretchenfrage stellen: Wie hält die Partei es mit den Migrant*innen? Sind schon die Namen Dragana und Marko Grujic für sie eine Gefahr? Sind sie ein Kostenfaktor? Sind sie ein gesellschaftliches Problem, das man in den Griff kriegen muss? Ja? Dann wird es nichts mit uns. Ich muss diese Fragen stellen. Nicht aus Idealismus, sondern weil ich niemanden wählen kann, der meinen Eltern das Bleibe- oder gar Existenzrecht absprechen will.

In einer idealen Welt hätte ich trotz meines K.-o.-Kriteriums noch ein paar Parteien zur Auswahl. Dann würde ich so wie meine Freund*innen über Standpunkte diskutieren können, die mir persönlich wichtig sind. Zum Beispiel Internetthemen, aber auch sozialer Wohnungsbau oder die Regelung befristeter Arbeitsverhältnisse.

In der Realität bleibt aber nicht viel, was ich noch wählen kann. Beim Migrationsthema kann ich keine Kompromisse eingehen. Die konservative ÖVP sieht Migration als Sicherheitsthema, das starke Kontrollen braucht. Die rechte FPÖ veröffentlicht Klassenlisten einer Grundschule und mokkiert sich über ausländisch klingende Namen. Die sozialdemokratische SPÖ würde mit so einer Partei eine Koalition eingehen. Die liberalen Neos haben nichts gegen Zuwanderung, solange es Fachkräfte sind. 

Wenn meine Freund*innen wieder anfangen zu diskutieren, welche Partei wählbar ist und welche nicht, diskutiere ich nicht mit. Zu meinen Eltern zu stehen ist nicht verhandelbar. Eine Stimme für eine Partei, die sie nicht respektiert, ist Verrat an ihnen. Aber auch Verrat an meinem geflüchteten Selbst.