Vor kurzem war Hanns Hatt das erste Mal seit langem mal wieder in seiner Heimat, in Illertissen, einer Kleinstadt im bayerischen Schwaben. Hatt ist Professor an der Ruhr-Universität in Bochum. Dort forscht der Mediziner und Biologe, wie Gerüche wirken.

Die Bürgermeisterin hatte ihn ins Rathaus eingeladen, das zu Hatts Kindheitstagen die Volksschule war. Das erzählte er ihr und auch, dass er sich noch daran erinnern konnte, wo sein Klassenzimmer war. Die Bürgermeisterin bot an, den Raum zu besichtigen. Als sie die Tür zu öffnete, roch Hatt das Bohnerwachs von damals und auch wenn der Raum nun das Standesamt war – Hatt war sofort wieder in seiner Kindheit. Er sah die Schulbänke und den Lehrer vor sich, er wusste, wo die Tintenfässer früher standen. Das erzählt er am Telefon.

Heimat kann man sehen und fühlen – und man kann sie riechen. Und für jeden riecht sie anders. Wer am Meer aufgewachsen ist, erzählt von der frischen Luft, die wohlige Gefühle auslöst. Andere berichten vom Aroma des Filterkaffees, den der Vater immer trank oder dem Bratenfett, das aus dem Ofen zog, wenn Oma kochte. Selbst Dinge, die manche als unangenehm empfinden, wie den Geruch eines Misthaufens, können Heimatgefühle auslösen – wenn er denn, wie bei Hatt, im Nachbargarten des Geburtshauses stand.

Doch woher kommt diese starke emotionale Bedeutung von Gerüchen; und warum riecht Heimat für die meisten so gut?

Emotionen und Düfte

Die Nase liefert ihre Informationen über den Riechkolben in das Gedächtniszentrum und in das Emotionszentrum. Fühlen wir uns in dem Moment, in dem wir etwas riechen, wohl und geborgen, speichert das Hirn den Geruch gemeinsam mit dieser Emotion ab. Wenn wir ihn dann wieder riechen, ist die Erinnerung an den damaligen Zeitpunkt wieder präsent – und an das damalige Gefühl.

Diese Bedeutung von Gerüchen lasse sich aus der Evolution ableiten, sagt der Wissenschaftler. Der Geruchssinn stellte sicher, dass wir uns lange an das erinnern, was in der Urzeit am wichtigsten war: Nahrung. "Die Nase half zu unterscheiden, ob Essen gut oder schlecht war." Auch für die Kommunikation zwischen Lebewesen, etwa zur Fortpflanzung, spielte die Nase eine Hauptrolle.

Es war also schon vor langer Zeit überlebenswichtig, Informationen, die mit Gerüchen verbunden sind, sehr lange parat zu haben. Das ist noch heute so. "Das Gehirn speichert Bilder mit Düften im Gehirn fast zehn Mal länger ab, als nur Bilder", sagt Hatt.

Geborgenheit der Heimat

Der Geruch der Heimat löst in uns eine Zeitreise in die Kindheit aus, mit all den Gefühlen von damals. "Für die meisten Menschen sind die ersten Jahre die Zeit der Geborgenheit und Unbeschwertheit und der Fürsorge der Eltern", sagt Hatt. Und zu diesen positiven Heimatgefühlen gehören auch immer Gerüche – und zwar für jeden Menschen andere.

"Wenn zwei Menschen in Illertissen großgeworden sind, haben sie einen großen gemeinsamen Heimatgeruch", sagt Hatt. Doch immer kämen noch spezielle Komponenten aus dem Elternhaus dazu. Oft ist das der Geschmack von Gerichten aus der Kindheit. Menschen sagen dann häufig 'So schmeckt Heimat' und meinen damit eigentlich das Aroma der Speisen.

Denn im Vergleich zu unserer Nase ist die Zunge und der Geschmackssinn ziemlich armselig. Während die Nase rund eine Million verschiedene Gerüche wahrnehmen kann, kommt die Zunge auf gerade mal fünf Geschmacksrichtungen. "Mit Erinnerungen sind sie nicht verknüpft", sagt Hatt.

Für immer gespeichert

Das Wissen über die Wirkung von Heimatdüften wird zum Teil in der Therapie Demenzkranker angewandt, sagt Hatt. Oft reagieren diese Menschen nicht mehr auf visuelle Reize, erkennen Angehörige nicht mehr oder schauen durch die Person durch, die mit ihnen spricht. "Da wird heute sehr viel versucht, über Düfte mit ihnen zu kommunizieren."

Dabei würde man vor allem Düfte einsetzen, von denen man etwa über Angehörige weiß, dass die Erkrankten daran positive Erinnerungen haben. "Man kann sie damit einreiben und löst so positive Gefühle in ihnen aus."

Dass die Gerüche der Heimat bis ins hohe Alter bleiben, zeigen die Beispiele aus der Demenztherapie oder Hatts Besuch im Illertisser Rathaus. Er selbst lebt seit Jahrzehnten nicht mehr dort. Doch solange das Gedächtnis funktioniert, ist auch die Erinnerung an die Geborgenheit der Kindheit gespeichert. Der Geruch der Heimat – er bleibt bis an unser Lebensende.