In gelben Warnwesten gekleidet, betreten Franzeska und eine Gruppe Klimaaktivist*innen im März diesen Jahres das Rathaus im französischen Orléans. Auf ihren Rücken steht die Aufschrift Action Non-Violente COP21, der Name einer gewaltfreien Klimabewegung in Frankreich. Bisher war Franzeska die Person, die bei Protestaktionen von zu Hause live kommentierte und die Pressearbeit übernahm. Diesmal gehört die 26-Jährige mit ihren Freunden Samuel und Vincent zu den drei Aktivist*innen, die das Porträt des französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Rathaus abhängen werden.

Franzeska ist erst aufgeregt, dann aber sehr konzentriert. So erzählt sie es später. Die Aktion soll ruhig ablaufen, damit die Rathausmitarbeiterin sich nicht bedroht fühlt. Die beobachtet, wie Samuel das Porträt von der roten Wand im Rathaus abnimmt. Er und Franzeska packen es behutsam in eine große schwarze Tasche. Vincent hält dabei ein Banner in den Händen, auf dem steht: "Klima, soziale Gerichtigkeit! Holen wir Macron raus" Weitere Aktivist*innen machen Fotos. Ein Mitglied ihrer Gruppe nimmt das Porträt später auf dem Fahrrad mit. Über 130-mal wurde seit Februar das offizielle Präsidentenfoto von Macron in französischen Rathäusern schon von der Wand genommen. Wegen der Aktion standen Franzeska und ihre beiden Freunde nun am 13. September in Orléans vor Gericht. Der Vorwurf: gemeinschaftlicher Raub. Das Urteil: 200 Euro Strafe auf Bewährung.

Engagement gegen die Klimakrise

Franzeska Bindé kommt aus Deutschland und lebt seit zwei Jahren in Frankreich. Sie studierte einen deutsch-französischen Studiengang der Politikwissenschaft in Eichstätt und Rennes. Ihr letztes Studienjahr verbrachte sie in Frankreich – und blieb. Heute wohnt die 26-Jährige mit ihrem Freund zusammen in Orléans und arbeitet für eine französische Klimabewegung.

Franzeska fühlt sich seit ihrer Kindheit naturverbunden: "Wir sind direkt betroffen von Umweltfragen. Am Ende geht es doch um uns", sagt sie im Skypegespräch. Während ihres Studiums engagierte sie sich in der Grünen Hochschulgruppe. Sie ist auch Mitglied der Grünen und bei Amis de la terre, dem französischen Naturschutzbund. Für den Klimaschutz versucht Franzeska, ein nachhaltiges Leben zu führen. Sie kauft Bioprodukte und in Unverpackt-Läden ein. Vor drei Jahren beschloss sie, nicht mehr zu fliegen. Immer mehr sei ihr klar geworden, wie sehr die Umwelt in Gefahr ist. "Nicht weniger als der Untergang unserer Welt – wie wir sie heute kennen – ist inzwischen präzise analysierter, wissenschaftlicher Konsens", schreibt Franzeska in einem Facebook-Post. Dazu setzt sie den Hashtag #DécrochonsMacron: "Hängen wir Macron ab!"

Gewaltfreier Widerstand als Proteststrategie

Bei einem Aktionstraining vor etwa einem Jahr entdeckte Franzeska gewaltfreie Aktionen wie Blockaden als ihre Strategie für zivilen Widerstand. So putzten zum Beispiel im September 2018 Aktivist*innen von ANV-COP21 unter der Aktion #NettoyonsSociétéGénérale an einem Tag über 60 Filialen der Société Générale und anderer Banken in Frankreich – um darauf aufmerksam zu machen, dass diese Banken in schmutzige Energieformen wie Öl und Kohle investieren. "Mit einer direkten Aktion schafft man für die Gegenspieler quasi ein Dilemma, weil man selbst gewaltfrei agiert und so auch die öffentliche Meinung häufig auf seiner Seite hat", erklärt Franzeska. Schon in der Geschichte habe sich bei Gandhi oder der Bürgerrechtsbewegung in den USA gezeigt, wie effektiv diese Strategie sein kann.

Frankreich wird seine Klimaziele wie viele Staaten, die das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet haben, verfehlen. Kerosin ist immer noch unbesteuert. In Le Mède in Südfrankreich genehmigte die französische Regierung dem Ölkonzern Total eine Bioraffinerie zu betreiben, um Palmöl zu Treibstoff zu verarbeiten. Dies allein lässt den französischen Palmölimport um 64 Prozent ansteigen. Ab 2040 sollen keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Bis 2022 sollen die verbliebenen Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Davon ist Frankreich weit entfernt.

Mit einer direkten Aktion schafft man für die Gegenspieler quasi ein Dilemma, weil man selbst gewaltfrei agiert und so auch die öffentliche Meinung häufig auf seiner Seite hat.
Franzeska

Franzeska und Tausende Bürger*innen in Frankreich sind empört über die Klimapolitik von Macron. Im Dezember 2018 startete die Petition L'Affaire du siècle, auf Deutsch: Die Angelegenheit des Jahrhunderts. Sie forderte die Regierung auf, mehr für den Klimaschutz zu tun. Innerhalb kurzer Zeit kamen über zwei Millionen Unterschriften zusammen. Laut Le Figaro wurde die Petition damit zur erfolgreichsten Petition in der Geschichte Frankreichs. Doch Mitte Februar antwortete die Regierung darauf, dass die aktuelle politische Arbeit für den Klimaschutz ausreiche. Zumindest der ehemalige französische Umweltminister Nicolas Hulot sah das anders. Er trat aus diesem Grund Ende August 2018 zurück.

Die Kampagne #DécrochonsMacron von ANV-COP21 will auf die Untätigkeit der Regierung nach der Petition reagieren. "Es handelt sich um eine komplett symbolische und gewaltfreie Aktion, bei der das Porträt des Präsidenten in französischen Rathäusern abgehängt wird, um dahinter die Rathauswand so leer zu hinterlassen wie die Klima- und Sozialpolitik schon ist", sagt Franzeska. In jedem Rathaus Frankreichs hängt ein Porträt des Präsidenten. Für die französische Gesellschaft hat es einen hohen symbolischen Wert. Die ersten Aktionen gab es im Februar in Paris, Lyon und im Baskenland. Schnell entschied sich auch Franzeskas Lokalgruppe in Orléans mitzumachen.

Neun Stunden verbrachte Franzeska in Polizeigewahrsam

Die Aktion verlief ruhig und zügig. Sogenannte Peacekeeper erklärten der Rathausmitarbeiterin den Sinn der Aktion. Sie verständigte nicht die Polizei. Es gab eine Liveberichterstattung der Aktivist*innen, Fotos wurden direkt auf Twitter geteilt. Andere behielten die Türen im Blick und fuhren das Porträt im Anschluss mit ihrem Fahrrad an einen sicheren Ort. Franzeska weiß nicht, wo sich das Bild derzeit befindet. Das haben die Aktivist*innen bewusst so organisiert.

Auch der Bürgermeister von Orléans verstand die Beweggründe für die Aktion. Trotzdem kündigte er an, klagen zu wollen. Doch erst nachdem Mitte April die Aktivist*innen bei einer zweiten Aktion in Jargeau das Porträt zeigten, bekam Franzeska ein Schreiben von der Polizei. Am 13. Mai sollten sie und zwei ihrer Freunde vorsprechen. Alle drei waren auf Fotos zu sehen, die zeigen, wie das Porträt im Rathaus von Orléans abgenommen wurde.

Die Polizei warf den Klimaaktivist*innen gemeinschaftlichen Diebstahl vor, auf Französisch vol en réunion. Franzeksa wurde in Polizeigewahrsam genommen und kam in eine Zelle. Beim Verhör fragten die Beamten*innen sie, wo das Porträt sei und durchsuchten auch ihre Wohnung. Neun Stunden später durfte Franzeska die Polizeistelle wieder verlassen. "Es war unangenehm, aber letztendlich weiß ich, warum ich das gemacht habe, und ich weiß, dass die Klimakatastrophe wesentlich unangenehmer wird als neun Stunden Polizeigewahrsam", sagt Franzeska.

Plädieren auf übergesetzlichen Notstand

Franzeska und ihre beiden Freund*innen wurden angeklagt wegen gemeinschaftlichem Raub. Dieser kann mit bis zu fünf Jahren Haft und mit einer Geldstrafe von bis zu 75.000 Euro geahndet werden. Insgesamt gibt es bereits über ein Dutzend Prozesse zu #DécrochonsMacron in Frankreich. In Bourg-en-Bresse, nahe Lyon, wurden sechs Aktivist*innen bei einem vergleichbaren Prozess zu 500 Euro Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft ist in Berufung gegangen. In Straßburg wurden drei Aktivist*innen freigesprochen. Franzeska sagt trotz Prozess: "Ich riskiere nicht mein Leben." In Brasilien oder Kolumbien würden Umweltaktivist*innen hingegen bedroht und angegriffen.

Ich weiß, dass die Klimakatastrophe wesentlich unangenehmer wird als neun Stunden Polizeigewahrsam.
Franzeska

Die Aktivist*innen nutzten den Prozesstag, um zu mobilisieren. "Es ist völlig unverhältnismäßig, wegen einer Fotografie von Emmanuel Macron, die man in einem Onlineshop des Elysée-Palasts für 9,90 Euro bestellen kann, eine Gerichtsverhandlung zu machen", sagte Franzeska im Vorfeld der Verhandlung. Der Prozess verlief aus ihrer Sicht gut. "Die Richterin hat uns und unsere Zeugen angehört und unsere Anwälte nicht unterbrochen." Als Zeug*innen traten ein Klimaforscher, ein Biobauer und der Vizepräsident der Region Centre auf. Franzeskas Anwält*innen plädierten auf übergesetzlichen Notstand. Das bedeutet, dass die Aktivist*innen zuerst versucht hätten, durch Petitionen, Demonstrationen und viele weitere Hinweise die Klimapolitik Frankreichs zu verändern – jedoch erfolglos. Daher sei es angesichts der unmittelbaren Klimakrise, die eine außergewöhnliche Situation darstelle, notwendig, die Regierung durch direkte, gewaltfreie Aktionen zum Handeln aufzufordern. Die Richterin erkannte den übergesetzlichen Notstand aber nicht an und verurteilte die Aktivist*innen zu einer Geldstrafe von 200 Euro auf Bewährung. Bis nächste Woche Montag können die drei gegen das Urteil in Berufung gehen.

Was passiert mit den Macron-Porträts?

Sobald die französische Regierung Maßnahmen beschließt, mit denen die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden können, wollen die Aktivist*innen die Porträts von Macron zurückgeben. Bis dahin nutzen sie diese noch für weitere Aktionen im Kampf gegen die Klimakrise, wie zuletzt beim G7-Gipfel in Bayonne. Den bisher größten Erfolg verbuchte #DécrochonsMacron jedoch am Montag bei einer Gerichtsverhandlung in Lyon. Zum ersten Mal erkannte ein Richter den übergesetzlichen Notstand angesichts der Klimakrise an. Er sieht in der Kampagne einen Versuch der Bürger*innen, mit ihrem Präsidenten in einen Dialog zu treten. "Das Urteil vom vergangenen Montag ist historisch für die gesamte Klimabewegung und ein wichtiger Erfolg für unsere Bewegung", sagt Franzeska. "Für uns drei Aktivist*innen fließt der Freispruch natürlich auch in die Entscheidung mit ein, ob wir in Berufung gehen – das werden wir die nächsten Tage entscheiden."

Solange sich Macrons Klimapolitik nicht ändert, wollen die Klimaaktivist*innen weitermachen. In einem Post auf Facebook schreibt Franzeska: "Wir sind die letzten, die noch ein paar Hebel haben, um zu verhindern, den Tipping Point zu erreichen – oder aber es zu beschleunigen; das Handlungsfenster ist dabei, sich für immer zu schließen. Und wir sind die ersten, die die Konsequenzen erleben."