Er schrieb nette Nachrichten. Sie verstanden sich auf Anhieb. Auf seinen Profilbildern in der Datingapp war Max* nur von hinten abgebildet am Meer stehend oder von der Seite auf den Boden blickend, zu sehen. Anna* mochte aber seinen Humor. Sie verabredeten sich in einer Kneipe. Da saß er dann und wartete auf sie. Einige Kilo mehr als gedacht, mit hängenden Schultern und einem ganz anderen Gesicht, als Anna es sich vorgestellt hatte. Schon als sie mit dem Rad vorbeifuhr, wusste sie, dass das nichts werden würde. Kurz überlegte sie, einfach weiter zu radeln. Erst gar nicht aufzutauchen. So verlockend der Gedanke auch war, so sehr schämte sie sich dafür.

Normalerweise ist Anna eine ehrliche Person, die so gar kein Problem damit hat, zu sagen, was sie denkt. Doch es kam ihr furchtbar oberflächlich vor, diesen Typ, den sie gerade noch so mochte, wegen seines Aussehens ins Aus zu schießen. Schließlich müsse man jedem Mensch eine Chance geben, oder?

Jede*r kennt wohl das Gefühl, dass man meist bereits nach wenigen Sekunden weiß, ob man jemandem mag oder eben nicht. Dating ist in dieser Hinsicht nicht viel anders, als die Suche nach neuen Mitbewohner*innen. Bereits im Moment des Türöffnens, könnte man die Hälfte der Besichtigungen beenden. Anstatt aber ehrlich zu sein und beiden Seiten viel Zeit zu ersparen, quält man sich von Zimmer zu Zimmer und heuchelt Interesse an einer Person, die einen eigentlich nicht interessiert.

Der erste Eindruck zählt, und zwar im realen Leben

Wie schnell der erste Eindruck über unser Gegenüber feststeht, belegen auch Studien. Bereits in den ersten sieben Sekunden fällt der Mensch ein Urteil, am wichtigsten sind dabei die ersten Millisekunden. Wie so vieles stammt dieser Instinkt aus der Urzeit, als es noch überlebenswichtig war, so schnell wie möglich über Freund*in oder Feind*in zu entscheiden.

Der US-Amerikaner Albert Mehrabian, Psychologe an der University of California in Los Angeles, erforschte in seinen Studien unter anderem die Wirkung der verbalen und nonverbalen Kommunikation bei dem ersten Zusammentreffen sich fremder Menschen. Er fand heraus, was diese Sekunden am meisten beeinflusst und entscheidet, ob man jemanden nun mag oder nicht. Zu 7 Prozent kommt es auf den Inhalt, also ­ darauf, was die Person sagt an, zu 38 Prozent auf die Stimme, also wie man etwas sagt und zu 55 Prozent auf die Körpersprache, also Gestik, Mimik und Körperhaltung.

Warum sich mit gefakten Bildern niemand einen Gefallen tut

Der erste Eindruck von einer Person kann sich grundsätzlich auch über ein Foto bilden. Das Problem dabei ist, dass dieser Eindruck oft verschleiert oder manipuliert wird. Durch Fotos nach dem Motto: Ich lichte mich nur mit Sonnenbrille, total verschwommen, beim ins Wasserspringen oder mit ganz viel Licht im Hintergrund ab, werden Treffen zu regelrechten Blind-Dates. Diese Bilder sind im Grunde wie gar keine Bilder. Niemand weiß, wie der*die andere wirklich aussieht.

Grundsätzlich könnte der Mensch innerhalb von 100 Millisekunden beim Betrachten eines Fotos entscheiden, ob man die Person als vertrauenswürdig, attraktiv oder dominant einschätzt. Zu diesem Ergebnis kam eine britische Studie von Tom Hartley und seinem Team von der Universität York. Insgesamt 65 Merkmale, zum Beispiel die Breite der Augenbrauen, die Form der Mundpartie oder die Position der Wangenknochen, würden demnach zu 58 Prozent die Einschätzungen von Gesichtern erklären. "Zu verstehen, wie erste Eindrücke von Gesichtern sich bilden, ist ein Thema von bedeutendem theoretischem und praktischem Interesse, das noch wichtiger geworden ist durch die weite Verbreitung von Porträtfotos in den sozialen Medien", stellen die Forscher gegenüber die Welt fest.

"Er sieht so anders aus, als auf dem Bild"

Oft inszenieren sich Menschen gerade auf ihren Profilbildern beim Online-Dating anders, als sie eigentlich aussehen. Das Bedürfnis sich schöner zu machen, ist ein natürlicher Impuls, führt aber fast immer zu Enttäuschungen. Niemand will jemanden daten, der vor zehn Jahren einmal so aussah oder nur mit dutzenden Weichzeichnungsfilter sympathisch rüberkommt. "Sah ganz anders aus, als auf den Bildern", ist mittlerweile darum auch ein weit verbreiteter Spruch: Natürlich bedeutet ehrlich sein nicht, nur die hässlichsten Bilder von sich selbst zu teilen, aber irgendwie fair für das Gegenüber sollte die Bildauswahl schon sein. Sonst befindet man sich schnell in einer verkrampften Situation wie Anna und Max.

Qual bei Weißweinschorle

Anstatt die Karten gleich auf den Tisch zu legen, tranken die beiden Weißweinschorle. Zu Beginn war er noch bemüht, das Gespräch aufrechtzuerhalten, sich kennenzulernen. Aber Anna war nicht daran interessiert. Nach einer Stunde war die Schorle leer und Anna nahm das als Anlass, sich zu verabschieden. Sie lehnte eine zweite Schorle und ein zweites Date ab. Er wirkte enttäuscht und auch etwas beleidigt.

Das nächste Mal will Anna aussagekräftige Fotos vor dem Treffen fordern. Es geht ihr nicht um Oberflächlichkeit, sondern darum, einen Eindruck von der Person zu bekommen, betont sie. Wenn nach einer halben Stunde klar ist, dass auch im Gespräch das Gefühl vom ersten Eindruck nicht besser wird, will sie sagen: "Ich wünsche dir alles Gute, aber sorry, mit uns wird das nichts." Und zwar ganz ohne Gewissensbisse.

Am Ende sollten wir alle ehrlicher sein

Es ist nachvollziehbar, dass Anna nicht oberflächlich sein wollte, trotzdem nutzte es niemandem, etwas anderes vorzutäuschen. Am Ende sollten wir alle ehrlicher sein. Zu uns selbst und zu unserem Gegenüber. Das erspart Zeit und Schmerz, denn eine ehrliche Antwort ist immer noch leichter zu verkraften, als ein zäher Abend, der mit einem "Ja klar, ich meld mich" endet.

Anstatt sich zu langweilen, kann man dann schönere Dinge machen, zum Beispiel das nächste Date matchen.

*Namen geändert