Konzentriert, leistungsbereit, effizient. So hätte uns der Zeitgeist gerne, und das am liebsten 24/7. Die Idee, dass wir Probleme am effektivsten lösen, wenn wir uns krampfhaft an ihnen festbeißen, ist allerdings total falsch. Die Wissenschaft sagt nämlich: Die besten Ideen kommen uns – ganz im Gegenteil –, wenn wir die Gedanken schweifen lassen. Unser Geist braucht wie ein Muskel den Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, um richtig zu funktionieren.

Das beste Gegenmittel gegen angestrengtes Überanalysieren ist das Tagträumen – ein Zustand, der sich besonders gerne einstellt, wenn man auf längeren Zugfahrten aus dem Fenster starrt. Während die Landschaft an einer*einem vorbeizieht und der Blick langsam glasig wird, wird im Gehirn ein weit verzweigtes Netz von Hirnarealen, das sogenannte Ruhemodusnetzwerk, aktiv. Doch von Ruhe keine Spur, denn selbst im unbeschäftigten Denkorgan ist einiges los. Entdeckt wurde dieses Feuerwerk der Entladungen in den 1990er Jahren – und das eher zufällig – bei Menschen, die untätig im Kernspintomographen lagen.

Aha-Momente kommen einer*einem vor allem beim Tagträumen

In Momenten der Muße, wenn sich die Aufmerksamkeit von der Außenwelt zurückzieht, geraten wir in eine wohltuende Trance und der Geist beginnt zu assoziieren. Wie nützlich dieser Zustand sein kann, zeigten gerade wieder Psycholog*innen um Shelly Gable von der University of California in Santa Barbara. Die Wissenschaftler*innen befragten theoretische Physiker*innen und Drehbuchautor*innen dazu, wie sich das gedankliche Abdriften auf ihre Arbeit auswirkt.

Diese unterschiedlichen Denker*innen wählten sie aus, weil sie auf so gegensätzliche Weise kreativ werden müssen. Physiker*innen suchen häufig eine bestimmte Lösung für ein mathematisches Problem, zu dem mehrere Wege führen. Für eine*n Drehbuchautor*in ist das Ergebnis dagegen ungewiss. Sie haben kein klar definiertes Ziel vorgegeben, außer eine spannende Geschichte zu schreiben.

Die Teilnehmer*innen sollten mehrere Wochen über ihre kreativste Idee des Tages Buch führen und angeben, womit sie zu diesem Zeitpunkt beschäftigt waren. Das Ergebnis: Die Einfälle, die sie hatten, während sich ihre Gedanken auf Wanderschaft befanden, oder sich gerade etwas ganz anderem widmeten, waren wertvoller. Sowohl die Autor*innen als auch die Physiker*innen beschrieben sie häufiger als Aha-Momente. Das Tagträumen bereitet also kreativen Einfällen den Boden und ermöglicht uns mentale Reisen. Und die führen uns oft in die eigene Vergangenheit. Im gedanklichen Leerlauf kommen Erinnerungen aus unserer Biografie hoch und wir widmen uns verstärkt persönlichen Zielen: Wo will ich hin? Was will ich erreichen?

Joanne K. Rowling kam die Idee zu ihren Harry Potter-Romanen auf einer Zugfahrt von Manchester nach London. Wer weiß, ob es die Bücher und Filme über den Zauberschüler heute gäbe, hätte die Autorin stattdessen die Zeit genutzt, um schnell noch ihre Steuererklärung zu erledigen. Ob unsere Tagträum-Einfälle die Welt ähnlich verändern, ist fraglich. Aber einen Versuch ist es wert.

Mehr über die Vorteile des Tagträumens und eine Anleitung zum Geist entrümpeln gibt es von unserer Autorin in der April-Ausgabe von ZEIT WISSEN.