Die Verhaltensregeln sind eindeutig: Social Distancing bedeutet auch eine Einschränkung des Sexlebens. Zumindest wenn es um Sex mit neuen Partner*innen geht. Diejenigen von uns, die hingegen mit Partner oder Partnerin zusammenleben, könnten gerade Sex haben, so viel und so oft sie wollten. So viel Zeit zum Lust ausleben war selten.

Und so haben schon viele einen Post-Corona-Babyboom prognostiziert. Doch ob es dazu kommt, ist fraglich. Denn in Zeiten der Unsicherheit rücken Menschen nicht notwendigerweise sexuell (ungeschützt) näher zusammen. Studien zu den Auswirkungen von Naturkatastrophen oder Rezessionen auf die Geburtenrate zeigen unterschiedliche Ergebnisse – und sind mit der derzeitigen Situation auch schlecht vergleichbar.

Außerdem wirkt sich Stress oft negativ auf die Libido aus.

Wer noch zu Anfang des Jahres einen stabilen Lustpegel hatte, wird jetzt womöglich merken, dass es damit bergab gegangen ist. Denn Ängste um Gesundheit, Arbeitsplatz, Familie und Freund*innen sind meistens abturnend, ganz egal, wie praktisch es ist, wenn der*die Partner*in oder das Lieblingssextoy ständig griffbereit parat liegen. Stress macht müde und unmotiviert – keine guten Voraussetzungen für sexuelle Aktivitäten.

Und doch zeigt sich, dass manche Menschen gerade jetzt besonders viel Lust haben. Woran das liegen mag, schauen sich Forscher*innen derzeit genauer an.

Das Kinsey Institut an der Indiana University ist eine der bekanntesten wissenschaftlichen Einrichtungen, wenn es um Sex und sexuelle Gesundheit geht. Aktuell beschäftigt sich eine Forscher*innengruppe dort im Rahmen einer Studie mit der Frage, wie sich die Corona-Krise auf die Sexualität von Menschen auswirkt. Die Studie ist noch nicht abgeschlossen, was die Befragungen aber schon zeigen, ist, dass die Pandemie sowohl als Lustkiller als auch als eine Art Ansporn wirkt.

Justin Lehmiller, einer der beteiligten Forscher, erklärte beim US-Onlinemagazin Vox: "Es gibt einen hohen Prozentsatz an Menschen die gerade sagen, dass sie viel masturbieren und Sex haben. Aber es gibt auch einen hohen Prozentsatz, der von sich sagt, gar nicht sexuell aktiv zu sein. Dieser Prozentsatz ist derzeit stärker als der am anderen Ende der Skala."

Aber was ist mit denen, die gerade besonders viel Lust haben?

Laut Lehmiller ließe sich die gesteigerte Lust mit der sogenannten Terror Management Theory erklären. Eine Annahme dieser Theorie ist es, dass Situationen, in denen wir unser Leben in Gefahr sehen, unterbewusst dazu führen, Verhaltensweisen an den Tag zu legen, um mit dieser Bedrohung klar zu kommen.

Sex als Anti-Stress-Maßnahme sozusagen. Zusätzlich, so Lehmiller, könnte es eine Rolle spielen, dass bei einigen Menschen sonstige Stressfaktoren derzeit wegfallen. Weniger Ärger auf der Arbeit, weniger soziale Verpflichtungen könnten also auch dazu führen, dass wir befreiter sind, uns sexuell zu betätigen.

Zusätzlich scheinen sich viele Menschen im Moment – und das gilt für alle auch ohne Partner*in im eigenen Haushalt – verstärkt mit digitalen Möglichkeiten von Sex auseinanderzusetzen: "Etwas, was wir in der Erhebung auch sehen, ist, dass Menschen verstärkt online sexuell aktiv sind und diese Möglichkeiten erstmalig in ihr Sexleben integrieren, um sexuell befriedigt zu werden, aber auch um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen." Mehr Sexting, mehr Telefonsex also.

Und mehr Pornos. Schon Ende März zeigte sich eine Steigerung von knapp 20 Prozent auf der Porno-Website Pornhub. Allerdings könnte diese Entwicklung, sowie die Beobachtung, dass viele User*innen nach Kategorien wie Corona Porn suchen, auch damit zusammenhängen, dass Geilheit und Angst manchmal nahe beieinander liegen. So zeigte sich in Studien, dass starke Emotionen mit sexueller Anziehung einhergehen können. "Zustände starker Angst haben das Potential, sexuelle Erregung and Anziehung zu potenzieren", erklärt Justin Lehmiller. Und bei manchen Menschen könnte der erhöhte Stresspegel wie eine Zündschnur wirken: "Daher gibt es Menschen, die Sex nach einem Streit als besten Sex beschreiben – weil die vom Streit noch übrig gebliebene Erregung die sexuelle Erregung anheizt", schreibt Lehmiller auf seinem Blog.

Spannung regt an

Für die meisten gilt aber wohl, dass die Geilheit in Corona-Zeiten eher eine Art unbewusster Seiltanz ist. Wie die Sexualtherapeutin Diane Gleim auf Psychology Today schreibt: "Der Sex-Drive einer Person braucht gerade genug Angst, Spannung und Unsicherheit, um aktiviert zu werden, aber nicht zu viel Angst, Spannung und Unsicherheit, um die Person damit nicht zu überschwemmen, sonst geht der Drive nach unten."

Grundsätzlich, so beschreibt es auch der Sexualwissenschaftler Lehmiller, ist das aktuelle Lustlevel aber nichts, was uns irgendwie Sorgen machen müsste. Wer prä-Corona leicht erregbar war, wird es vermutlich auch jetzt noch sein. Wer eher wenig Bock hatte, den*die wird jetzt vermutlich auch nicht die Lust überkommen. Und selbst, wenn es anders ist: Es ist eine Ausnahmesituation, auf die wir alle unterschiedlich reagieren. "Mach, wie es dir entspricht", empfiehlt Lehmiller.

Und hier ein paar Tipps für die Extra-Lust

Diejenigen, die mit eine*n Partner*in im eigenen Haushalt leben und zu den Extramotivierten zählen, können derzeit aus dem Vollen Schöpfen. Den ganzen Tag nackt sein, Sex auch mal in der Mittagspause haben und die vielen freien oder vergünstigten Angebote von Pornoseiten oder Sexshops nutzen.

Aber auch diejenigen ohne feste Partner*in müssen mit gesteigerter Lust derzeit nicht verzweifeln. Wer nicht sowieso schon Expert*in in Solosex ist, hat jetzt vielleicht besonders viel Zeit und Muße, Neues (oder Altbewährtes) auszuprobieren. Und wer lieber kommunikativ unterwegs ist, dem*der bietet sich jetzt auch eine besonders niedrigschwellige Möglichkeit, auf Dating-Plattformen Verabredungen zu Telefonsex oder Sexting zu treffen.