Anhand der Anzahl der gereizten bis verzweifelten Nachrichten aus meinem Umfeld lässt sich – selbstredend vollkommen unrepräsentativ – ablesen, dass auch normalerweise zufriedenstellend liierte Menschen es momentan wahrlich nicht leicht haben. Tränen, Streit, passiv-aggressives Schweigen, Grundsatzdiskussionen.

Paare erleben derzeit zwei Extreme: Entweder sie leben nicht im selben Haushalt und sind jetzt wegen der Corona-Regeln wochen- oder sogar monatelang getrennt. Oder sie wohnen zusammen und können sich auf einmal kaum noch aus dem Weg gehen. Beides kann eine Beziehung extrem belasten.

Manche liebenswert-verschrobene Eigenheit wird bei konstantem Aufeinanderhocken zur nervenzerfetzenden Geduldsprobe. Aber auch Beziehungen von Paaren, die sich plötzlich nicht mehr sehen, leiden unter der Isolation. Der innige Kontakt oder das Gefühl der Verbundenheit kann verloren gehen; der*die andere fühlt sich weiter weg an. Und in die Leere schleichen sich Zweifel und Ängste.

Kurz gesagt: Sowohl zu viel Nähe als auch zu viel Distanz beeinträchtigen die Qualität und Stabilität der Beziehung. Und in der Folge sind einige Menschen dazu geneigt, die gesamte Partner*innenschaft und die Zukunft der Beziehung in Frage zu stellen.

Umfrage zur Zukunft der Beziehung

Eine Umfrage unter 2000 liierten Brit*innen zur Zukunft der Beziehung hat ergeben, dass die Corona-bedingte Situation auch für normalerweise glückliche Partner*innenschaften gefährlich ist.

Ein Viertel der Befragten wollte beispielsweise dem*der Partner*in in nächster Zeit einen Antrag machen – das haben nun Dreiviertel davon auf irgendwann nach Corona verschoben, 20 Prozent sogar auf unbestimmte Zeit. Und das liegt nicht nur daran, dass niemand sagen kann, wie lange die Pandemie noch andauert.

Für 34 Prozent derjenigen, die sich verloben wollten, war die bisherige Zeit in der Isolation der Grund, Abstand von der Idee "Bis dass der Tod uns scheidet" zu nehmen. Am nervigsten fanden die meisten einen Mangel an Hygiene und die Unfähig- und Unwilligkeit, hinter sich aufzuräumen. Stattdessen erwägen laut Umfrage nun 18 Prozent der befragten Männer und 16 Prozent der befragten Frauen, nach der Pandemie eine Affäre anzufangen.

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Zu viel Nähe wirkt wie ein Brennglas

In einer Ausnahmesituation wie aktuell tauchen Konflikte auf, die sonst verdrängt werden. Es kommen Dinge ans Licht, die im Alltag bisher untergegangen sind oder nicht so wichtig waren. "Es ist in der Tat momentan eine Extremsituation", sagt auch die Paartherapeutin und Beziehungsexpertin Andrea Bräu. "Wenn man sich vorher durch den Alltag aus dem Weg gehen konnte, ist das jetzt nicht mehr möglich."

Und durch den Mangel an Raum für sich selbst und die allgemeine Verunsicherung steigt bei Paaren, die zusammen in Quarantäne sind, der emotionale Stress und damit auch die Empfindlichkeit.

Paare müssen Kontakt und Nähe häufig ganz neu verhandeln.

Anders gesagt: Wo normalerweise ein paar Bartstoppeln am Waschbecken, Haare in der Dusche oder Kekskrümel im Bett für ein lapidares "Och, Hase" gesorgt haben, wird nun unter Umständen die gesamte Zukunft der Beziehung in Frage gestellt. Nach dem Motto: Will ich wirklich den Rest meines Lebens mit jemandem verbringen, der in löchriger Tarndruck-Unterhose mit der Couch verwächst und XXL-Pizza mit doppelt Käse, Extra-Salami und Sauce Hollandaise mit einer 1,5-Liter-Flasche Cola runterspült – oder gibt es da nicht doch noch was anderes?

Plötzliche Distanz ist ungewohnt

Auch bei Paaren, die abrupt eine isolationsbedingte Fernbeziehung führen müssen, kann die Umstellung mit Anpassungsschwierigkeiten und Konflikten einhergehen. Wer so viel Abstand nicht gewohnt ist, kann sich beispielsweise mit den Mechanismen einer Fernbeziehung schwertun. Einfach deshalb, weil sie ungewohnt sind.

Diese Paare müssen Kontakt und Nähe häufig ganz neu verhandeln – und entdecken dabei möglicherweise krasse Unterschiede in der Bedürfnislage. Wo dem*der einen ein, zwei Nachrichten und ein kurzer Anruf pro Tag reichen, braucht der*die andere kontinuierliche Rückversicherung und regelmäßig intensiven Kontakt.

Eine übereilte Trennung kann in einem halben Jahr Grund für tiefe Reue sein.

Wenn dann die Kommunikation nicht enorm gut funktioniert, kommt es zwangsläufig zu Missverständnissen, einem Gefühl der Überforderung oder Zurückweisung und dadurch zu Verletzungen. Das wiederum kann dazu führen, dass auch bei diesen Paaren die Zukunft der Beziehung hinterfragt und angezweifelt wird.

Außerdem beschäftigen sich viele Menschen momentan ohnehin mit größeren Themen als "Wohin fahren wir dieses Jahr in den Urlaub?" Das sagt auch Beziehungsexpertin Bräu: "In Krisen sind wir auf das Wesentliche zurückgeworfen. Wir werden gerade in eine Art kollektiver Meditation gezwungen und das geht meist einher mit Sinnfragen: Wer ist mir wichtig, was ist mir wichtig, bin ich auf meinem richtigen Weg?" Und natürlich: Ist der Mensch an meiner Seite noch der richtige?

Nicht in Ausnahmesituationen trennen

Doch gerade weil wir uns in einer nie da gewesenen Ausnahmesituation mit erhöhter emotionaler Belastung befinden, sind folgenreiche Entscheidungen jetzt nicht angebracht. Das alles hier – Pandemie, globale Panik, Isolation, Quarantäne – ist nicht der Standard.

Wenn die Beziehung bis hierhin stabil und glücklich war, dann ist das ein nicht zu unterschätzender Wert. "Covid-19 ist genau so ein Auslöser wie viele andere Krisen", sagt Andrea Bräu. "Nach einiger Zeit besinnt man sich wieder." Die Emotionen, die hochgekocht sind, beruhigen sich. Dann kann die Lage, die Zukunft der Beziehung, sachlicher und ganzheitlicher betrachtet werden.

Ja, okay, die Kekskrümel. Ja, die löchrige Unterhose. Aber der*die Partner*in ist so viel mehr als sein*ihr Quarantäne-Ich. Eine übereilte Trennung kann in einem halben Jahr Grund für tiefe Reue sein.

Auch, wenn sich das Leben durch Corona insgesamt nachhaltig verändern wird: Irgendwann wird der Alltag wieder einkehren, sich das Nähe-Distanz-Verhältnis wieder regulieren und jede Partner*innenschaft wieder so viel Abstand oder Innigkeit erleben, wie es ihr bisher gut getan hat. Also abwarten statt Schluss machen.

Auf der anderen Seite kann die Quarantäne – ob getrennt oder gemeinsam – auch eine Chance für die Zukunft der Beziehung sein. Dafür, sich von einer anderen Seite kennenzulernen, neue Kompromisse auszuarbeiten, Konflikte aufzulösen, sich auf neue Weise umeinander zu bemühen. "Darum sollten wir uns kümmern und nicht weiterhin die Dinge wie Unzufriedenheit, Mangel, unerfüllte Bedürfnisse auf den Partner oder die Partnerin projizieren", so die Beziehungsexpertin.

Denn zwei Dinge sind klar. Erstens: Eine Partner*innenschaft ist beidseitige Arbeit, in guten und in schlechten Zeiten. Und zweitens: Der Mist dauert nicht für immer.

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