Bewerbungsgespräch, Thema Stärken und Schwächen. "Also, ich bin ja leider total perfektionistisch!" Hahaha, gekünsteltes Gelächter, ist natürlich Bullshit, wissen auch alle. Und trotzdem wird Perfektionismus im Job oft als verdeckte Tugend verkauft. Dabei kann der Drang, immer 110 Prozent geben zu wollen, sogar Probleme verursachen.

Die Karriereberaterin Nadine Pfeiffer erklärt, warum Perfektionismus im Job keine Stärke ist: "Für die Karriere kann es hinderlich sein, dauerhaft auf 110 Prozent zu laufen. Denn hinter einer sehr hohen Leistungsbereitschaft steckt häufig ein ziemlich hohes Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung."

Und genau dieses Bedürfnis hat ungute Nebeneffekte: "Diese Menschen vermeiden es oft, Risiken einzugehen, delegieren weniger und sie fokussieren weniger auf die interpersonellen Aspekte eines Jobs. Dazu kommt auch noch ein schlechter Umgang mit Misserfolgen. Und diese Aspekte sind dann leider oft Karrierekiller", sagt Nadine Pfeiffer.

Woher kommt Perfektionismus im Job?

Wie so oft liegen die Wurzeln für das ausgeprägte Bedürfnis nach Anerkennung laut Pfeiffer in der Kindheit: "Meiner Erfahrung nach betrifft das vor allem Menschen, die ein leistungsorientiertes und forderndes Elternhaus hatten. Dann entstehen Glaubenssätze wie 'Wertschätzung gibt es nur bei guter Leistung'." Deshalb spiele Unsicherheit eine große Rolle, sie ist quasi die andere Seite des Perfektionismus. "Misserfolge und Fehler verursachen bei perfektionistischen Menschen einen hohen inneren Spannungszustand, den es so gut wie möglich zu vermeiden gilt", erklärt die Karriereberaterin.

Für die Journalistin und Sachbuchautorin Isabell Prophet* (Wie gut soll ich denn noch werden?) ist eine weitere wesentliche Ursache für ungesunden Perfektionismus im Job der permanente Vergleich. Denn der beeinflusst unser Selbstbild: "Wir sehen nicht nur andere, die besser rüberkommen; wir sehen auch das, was wir selbst sein könnten." Also wird noch enthusiastischer in die Tasten gehauen, noch eine Schippe draufgelegt. Und wir optimieren uns auf dem Weg zum immer besseren Job-Selbst irgendwann kaputt.

Allerdings ist das, was wir von anderen wahrnehmen, laut Prophet immer nur ein Teil des Gesamtbildes. "Wer beeindruckend glänzt, der ist auch inhaltlich – menschlich – gefiltert. Und zeigt nicht alles. Das ist übrigens total in Ordnung. Niemand muss alles von sich zeigen, um authentisch zu sein. Aber wir vergessen zu oft, dass alle anderen auch Normalos sind." Anders gesagt: Es kann gut sein, dass Kolleg*in X nach einem vermeintlich locker-flockigen Arbeitstag auch nur noch wimmernd auf der Couch liegt und sich ermattet fragt, wie das Kolleg*in Y alles so easy-peasy hinkriegt.

Scheitern am eigenen Anspruchsdenken

Es dürfte einleuchten, dass kein Lebewesen dauerhaft im Überlastungszustand zufrieden und glücklich existieren geschweige denn fehlerfrei funktionieren kann. Denn das Gefühl, nicht zu genügen, nie gut genug zu sein, das bleibt – egal, wie sehr sich Perfektionist*innen anstrengen. "Ich beobachte oft, dass der positive Effekt, wenn etwas geklappt hat, sehr schnell wieder verfliegt", sagt auch Nadine Pfeiffer. Das sorge für Unzufriedenheit: "Perfektionisten sind vor diesem Hintergrund nicht unbedingt die beliebtesten Arbeitskollegen. Aber sie sind meistens offen, wenn man Ihnen Aufgaben zuwirft, sodass es bei ihnen schnell zu Überlastung kommen kann." Klar, wer immer sagt "Schaff ich auch noch!", schafft irgendwann gar nichts mehr.

Auch Daniel Rettig, Sachbuchautor (Warum Perfektion sinnlos ist) und Redaktionsleiter der Bildungsplattform ada, meint: "Perfektionismus mündet schnell in Verbissenheit, Fanatismus und übertriebene Erwartungen. Die Betroffenen neigen dazu, am eigenen Anspruchsdenken zu scheitern. Wer aber sowohl an sich als auch an sein Umfeld – Mitarbeiter, Kollegen, Freunde, Partner – derart übertriebene Ansprüche stellt, macht sich auf Dauer unbeliebt und unglücklich." Und dann leidet das Sozialleben unter dem Perfektionismus, nicht nur am Arbeitsplatz.

Nicht zuletzt geht Perfektionismus im Job auf Dauer logischerweise auch zu Lasten der Gesundheit. "Selbstoptimierung ist eine Volkskrankheit geworden. Wir versuchen, besser zu sein. Dabei reiben wir uns so auf, dass das Leben schlechter wird", sagt Isabell Prophet. "Wir reiben uns auf und das macht uns krank. Nicht umsonst gibt es gerade so viele, sehr junge Fälle von Burn-out, Depressionen und Überlastung. Das soll Perfektion sein? Klingt eher nicht so gut, oder?"

Perfektionismus ist also definitiv keine als Schwäche verkleidete Stärke. Aber was tun, wenn das eigene Anspruchsempfinden nun mal ähnlich hoch ist wie der Burj Khalifa?

Raus aus dem Hamsterrad, aber langsam

Wenn das selbstgebaute Hamsterrad erst mal so richtig flott rattert, ist bei voller Fahrt aussteigen natürlich nicht ganz einfach. Allerdings kann es hilfreich sein, ein klitzekleines bisschen langsamer zu rennen. Also, nicht bei jeder Aufgabe und bei jedem Projekt "Hier!" rufen. Und sich zudem die Grenzen des eigenen Verantwortungsbereichs und Handlungsspielraums klar zu machen – nicht alles, was im Job schief läuft, liegt an einem selbst; häufig sind zum Beispiel auch Strukturen alles andere als gut. Und dagegen lässt sich alleine nicht viel ausrichten.

Außerdem wichtig: Reflexion und Kurs-Überprüfung. "Ich denke, man sollte sich hin und wieder fragen, was einen gerade antreibt, genau an dieser Stelle weiter zu arbeiten", sagt Nadine Pfeiffer. "Arbeite ich noch an der Erreichung meines Ziels? Weiß ich, wann das Ziel erreicht ist? Habe ich die richtige Strategie für meine Zielerreichung ausgewählt? So schafft man es zumindest, relativ effizient zu sein und wahrscheinlich kommt man dann auch mit viel weniger Zeit und Energie aus."

Ähnlich sieht es auch Isabell Prophet: "Besonders in den ersten Berufsjahren definieren wir unser Leben über Aufstieg. Ich erlebe sehr oft, dass gerade junge Frauen Angst haben, am Leben zu scheitern, wenn sie im Job Hindernisse erleben. Aber so ist es ja nicht. Dieses Ding namens Leben ist ein ganz schön komplexes Konstrukt. Ich kann alles Mögliche machen, um es erfolgreich zu gestalten."

Der Beruf ist nämlich immer nur ein Teil von uns. Oder wie der Volksmund so treffend sagt: Arbeit ist das halbe Leben. Und nicht das ganze.

* Isabell Prophet war bis 2016 Redakteurin bei ze.tt