Als mein Freund und ich gerade einmal sechs Monate zusammen waren, gingen wir zum ersten Mal in eine Fernbeziehung. Damals fiel mir das wirklich schwer: An jedem Wochenende, das wir zusammen verbrachten, verging die Zeit viel zu schnell. Und jeder Sonntagabend, an dem wir uns wieder verabschieden mussten, war trüber und trauriger als Sonntagabende ohnehin schon sind.

Besonders erinnere ich mich an einen kalten Märzmorgen, an dem wir uns nach einem gemeinsamen, wunderschönen Urlaub in Marokko am grauen Frankfurter Hauptbahnhof verabschieden und in unterschiedliche Züge steigen mussten. Auch wenn zu diesem Abschiedsschmerz noch der Post-Urlaubsblues dazu kam, war ich nie mehr niedergeschlagen nach dem Tschüss sagen. Ich wollte mich einfach nicht schon wieder von meinem Freund trennen müssen und gefühlt unendliche zwei Wochen darauf warten, ihn in meine Arme schließen zu können.

Fast vier Jahre später führen wir aktuell wieder eine Fernbeziehung – und momentan fällt es mir leichter denn je. Anstatt mich vom Trennungsschmerz geplagt unter der Bettdecke zu verkriechen, weiß ich die Vorteile, die eine Fernbeziehung mit sich bringt, mittlerweile richtig zu schätzen. Mir ist etwa erst jetzt bewusst geworden, wie unsozial ich durch meine Beziehung geworden bin. Denn auch wenn wir alle in der Theorie gerne beides unter einen Hut bekommen würden – eine erfüllende Partnerschaft und einen großen, lebendigen Freundeskreis, in dem wir selbst eine aktive und treibende Rolle einnehmen – enden wir doch in der Praxis nicht selten als flodderige, soziale Einsiedler, die an sechs von sieben Abenden pro Woche mit der gleichen Person in Jogginghose vor dem Fernseher verbringen.

Fernbeziehungen beleben Freundschaften außerhalb der Partnerschaft

Seitdem ich wieder eine Fernbeziehung führe, bin ich gezwungen, mein soziales Leben abseits der Beziehung wieder auf Vordermann zu bringen. Dabei ist mir erst klar geworden, wie sehr ich viele meiner Freund*innen vernachlässigte. Eine Fernbeziehung zwingt uns nämlich dazu, mal wieder die Couch-Komfortzone zu verlassen und Freundschaften außerhalb der Partnerschaft zu pflegen, wenn wir nicht vollkommen vereinsamt vor dem Fernseher enden wollen. Und davon profitiert nicht zuletzt auch wieder die Beziehung zum*r Partner*in, denn nachdem man zwei Wochen auf Bartouren unterwegs war, macht ein gemütlicher Abend zu zweit auf dem Sofa gleich wieder viel mehr Spaß.

Dazu kommen noch mehr Vorteile, die eine Fernbeziehung attraktiv machen: Drei Wochen lang nicht die Beine rasieren? Nach der Arbeit erst mal vollkommen seine Ruhe haben ohne die allabendliche Wie-war-dein-Tag-Routinefrage beantworten zu müssen? Jeden Abend ohne Rücksicht auf Verluste nur das eigene Lieblingsessen kochen? Kann man alles haben in einer Fernbeziehung. Ganz abgesehen davon, dass man die Zeit zusammen als Paar viel bewusster verbringt, abwechslungsreiche Unternehmungen plant und jede Minute miteinander genießt, anstatt in einer alltäglichen Routineschleife nebeneinander her zu leben.

Anziehung braucht Distanz

Wer jetzt immer noch nicht von den Vorzügen einer Fernbeziehung überzeugt ist, sollte sich das YouTube-Video The secret to desire in a long-term relationship von Beziehungsexpertin und TED-Talkerin Esther Perel anschauen. Auch wenn sie nicht speziell von Fernbeziehungen spricht, wird spätestens bei ihrer Feststellung "desire needs space" klar, wie man als vom Trennungsschmerz geplagtes Häufchen Elend von ihren Ausführungen lernen kann.

Laut Perel ist es nämlich eine gewisse Distanz – sei es nun räumlich oder emotional – die eine Beziehung auf Dauer lebendig hält. Anders gesagt: Wer seinem*r Partner*in Eigenständigkeit und Freiheit zugesteht und zugleich auch ein eigenständiger Mensch mit eigenen Interessen, Erfahrungen und sozialen Netzwerken bleibt, wird auf Dauer glücklicher in einer Beziehung sein.

Und all das funktioniert besonders gut in einer Fernbeziehung.