Camilla Paris, 23, lebt in dem Dorf Dürnau in Baden-Württemberg. Hier liegt der Hof der Kooperative Dürnau, eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, die es schon seit den Siebzigerjahren gibt. Seit drei Jahren studiert Camilla hier mit drei weiteren Studenten an der selbsternannten Dorf-Universität – ohne Stundenplan, Verpflichtungen oder Abschlusszeugnis.

Schon immer kamen junge Menschen in das Dorf. Weil Camilla dauerhaft bleiben und studieren wollte, gründete die Kooperative die Uni. Allerdings ist die Dorf-Uni nicht staatlich anerkannt, weil sie nicht dem Hochschulgesetz des Landes unterliegt. Ein Abschluss wird aber auch nicht angestrebt: Auch die Dauer des Studiums ist nicht formal begrenzt, sondern individuell verschieden. Grundsätzlich kann sich jede*r für ein Studium bewerben: Der Schulabschluss spiele keine Rolle, erzählt Camilla. Und auch die Wahl des Studienfaches ist frei. Diejenigen, die es ernst meinen, führen mit der Kooperative ein Aufnahmegespräch über die Zielsetzung ihres Studiums.

Aber was führte Camilla zu der Entscheidung für ein alternatives Studium im Dorf? "An einer staatlichen Uni möchte ich nicht studieren, denn das bedeutet nur die Fortsetzung von Schule", meint Camilla. Sie selbst hat nie eine staatliche Uni besucht, aber viel über das Lernen dort von Freunden gehört. "Es wird nur stur auswendig gelernt und wieder vergessen, ohne das Gelernte zur Anwendung zu bringen oder zu hinterfragen", sagt sie. Aber warum studiert Camilla überhaupt, wenn sie Unis eigentlich ablehnt? Durch das Studium an der Dorf-Uni wolle sie den Universitäten, wie sie heute sind, eine Alternative entgegensetzen, sagt sie.

Die Dorf-Uni: ein zukunftsfähiges Modell?

Seit der Bologna-Reform hagelt es von vielen Seiten Kritik am europäischen Universitätssystem: Der Leistungsdruck sei in den Bachelor- und Masterstudiengängen hoch, die Entfaltungsmöglichkeiten dagegen gering. Aber kann so ein Aussteigermodell wie die Dorf-Uni zukunftsfähig sein? Wie die Unis der Zukunft aussehen werden, darüber habe ich mit Prof. Dr. Andreas Dengel gesprochen, der am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) über modernes Wissensmanagement und das Arbeiten der Zukunft forscht. Er sieht das Konzept der Dorf-Uni kritisch: ,,Der Wettbewerb beginnt ja schon bei der Wahl des Studienortes. Große Städte sind sehr gefragt, auch weil es darum geht, einen guten Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Und ohne Abschluss kann man sich auch nichts kaufen."

Selbststudium und Learning by Doing

Camilla nimmt das in Kauf. Vormittags arbeitet sie meistens in der Buchhaltung der Kooperative, danach widmet sie sich ihrem Studienfach Pädagogik. Das Studium entwickelt sich entlang von Fragen. Zum Inhalt kann jede Frage gemacht werden, die interessant erscheint. "Natürlich müssen am Anfang auch wissenschaftliche Grundlagen geschaffen werden", betont Camilla. Deshalb beschäftige sie sich auch mit theoretischen Fragen wie "Was ist der Mensch?" Das sei eine so grundlegende Frage, dass man gemeinsam daran arbeite.

Für die Grundlagenvermittlung und Literaturvorgaben ist ein Mitglied der Kooperative zuständig. Aber auch schriftliche Arbeiten gehören zum Studium in Dürnau. Das sei zum Begreifen einer Sache sehr hilfreich, meint Martin, der hier Gestaltung studiert. Von Noten oder einer Kontrolle könne aber auch hier nicht die Rede sein. "Vertiefungsfragen verfolgen die Student*innen dann alleine", ergänzt er. Im Vordergrund steht das Lernen durch Anwendung. "Wir bemühen uns darum, scharf zu beobachten und richtig zu denken. Ich möchte in der Wirklichkeit zu Erkenntnissen kommen – und nicht in einer Bibliothek", erklärt Camilla.

Damit studiert sie quasi gegen den Trend: Lehre und Forschung finden heute nicht mehr nur in Bibliotheken statt, die Digitalisierung macht sich längst auch an Unis bemerkbar. "Durch die Dauerpräsenz der Social-Media-Kanäle kämpfen die Professor*innen um die Aufmerksamkeit ihrer Student*innen", beklagt Prof. Dengel. Universitäten müssten, um mithalten zu können, Inhalte zukünftig digitaler vermitteln: E-Learning und freizugängliche Online-Kurse (MOCC) seien die Zukunft. Andererseits stellt der Forscher einen Trend zu Privatuniversitäten von Unternehmen fest, die dadurch schneller an Talente kommen wollen.

Das Studium führt Camilla auch mal nachts aufs Feld. "Wir erforschen, wie der Vollmond auf Regenwürmer wirkt. Das klingt zwar erstmal banal, ist aber für die Landwirtschaft sehr wichtig", sagt sie. Die Dürnauer Student*innen sind von dem Erfolg ihres Lebensentwurfes überzeugt. "In externen Praktika wurden wir bereits sehr gelobt. Ich glaube auf jeden Fall, dass ich nach dem Studium gleich einen Job finde", sagt Camilla.