Ich gehöre zu den Beziehungsfähigen. Ich habe immer eine Beziehung. Der Zeitslot, den ich bisher als wirklicher Single verbracht habe, ist lächerlich kurz. Und damit bin ich nicht alleine. Wenn das mit der Generation Beziehungsunfähig, Generation Tinder, oder wie wir auch immer genannt werden, wahr sein soll, frage ich mich: Wer ist das denn? Ich kenne einige Singles, klar, aber die meisten in meinem Endzwanziger*innenfreundeskreis haben sich in den letzten Jahren dann doch eher zu zweit zusammengetan.

Aus losen On-off-Geschichten und Dramabeziehungen wurden richtig ernstgemeinte Partnerschaften. Wie eine Welle schwappte die Idee des Zusammenziehens über uns. Jetzt sitzen wir da, in unseren bloß nicht spießigen Zwei-Zimmer-Küche-Bad. Die Vorstellung von einer gemeinsamen Zukunft wird konkreter. Gleichzeitig ist da die Frage: Ist es das jetzt mein Leben? Ist das der Mensch, mit dem ich bereit bin, auch in den nächsten Jahre zusammenzubleiben?

Mit Ende zwanzig, Anfang dreißig haben viele das Gefühl, an einer Kreuzung zu stehen. Es stelle sich die Frage: Fühlt sich die aktuelle Partnerschaft wirklich richtig an oder mache ich mir nur etwas vor, sagt Paartherapeutin Andrea Bräu.

Bloß nichts überstürzen

Noch ist alles offen und ich bin frei in all meinen Entscheidungen. Gleichzeitig scheint es so, als hätte jede Entscheidung, die ich nun treffe, wahnsinnig viel Gewicht. So auch die für oder gegen meine Beziehung. Bleiben bedeutet, das könnte die Person sein, mit der ich in ein paar Jahren Kinder bekomme. Es sind die großen Themen, die zögerlich abgeklopft werden: Familienplanung, Wertevorstellungen, Verbindlichkeit. An diese Erwachsenenthemen habe ich mich lange nicht herangetraut und sie sind auch noch weit weg von mir, zumindest das mit den Kindern.

Aber das ist, was sich im Vergleich zu der Zeit mit Anfang zwanzig für viele meiner Freund*innen verändert hat: Die Beziehung wird nun auf Haltbarkeit überprüft. Die lange Liebe soll's ja im besten Fall sein und bleiben. Anders womöglich als bei den eigenen Eltern.

Die gleichen Fehler wie die Eltern machen, das wäre ja blöd: übereilte Familienplanung, sich nie ausgetobt haben und dann Midlife-Crisis und Trennung mit 40. Demnach gäbe es vielleicht einen besseren Titel für meine Generation: bloß nichts überstürzen. Das höre ich von allen, die zweifeln: "Ich mache es sicher nicht so wie meine Mutter". Den ersten festen Freund heiraten, erstes Kind mit 25 und dann das Gefühl, nie wirklich für sich gelebt zu haben. Das Resultat ist, dass für uns alles ständig auf dem Prüfstand steht. Denn die Selbstverwirklichung, die darf ich natürlich als Generation-sonstwas-Kind nicht vergessen, darum geht's ja im Leben, oder nicht?

Angst vor Entscheidungen

Die Vielfalt der Möglichkeiten und die daraus resultierende Angst, sich falsch zu entscheiden sowie die Furcht vor Verantwortung, scheinen in der sogenannten Generation Y größer geworden zu sein, sagt Andrea Bräu.

Der Selbstverwirklichungsdrang lässt sehr viel Raum für Zweifel. Manche sind der Meinung, dass eine Beziehung gleichbedeutend ist mit weniger Freiheit. Dieser vermeintliche Gedanke, eine Partnerschaft könnte mit vielen Einschränkungen verbunden sein, heizt die Zweifel der ewigen Zauderer noch mehr an. Beziehungscoachin Nina Deißler sagt, die Torschlusspanik gebe es nicht nur vor dem Eingang – auch der Gedanke daran, dass es womöglich erst mal keinen Ausgang mehr gibt, mache vielen Angst. Das Haar in der Suppe wird gesucht, um wirklich sicher zu sein, dass die Beziehung von vorne bis hinten überprüft und hinterfragt wurde. Der*die Partner*in wird einmal durch den Nacktscanner geschoben: Wo sind die Macken und mit welchen kann ich langfristig leben?

Gefühlt steht jetzt mehr auf dem Spiel als noch in den vorherigen Beziehungen. Denn es gibt zum ersten Mal einen Plan. Es wurde geklärt, wo die gemeinsame Wohnung sein soll, wie diese eingerichtet ist, ob Kinder kommen sollen und womöglich wie viele und ob es eine Ehe heute noch braucht. Sich jetzt zu trennen würde bedeuten: alles neu, alles auf Anfang.

Das macht Angst, dafür braucht es Mut. In der Partnerschaft, die wir mit dreißig führen, haben wir das erste Mal wirklich Pläne gemacht und zum ersten Mal das Gefühl, wirklich richtig erwachsen zu sein. Die Illusion von der Person, die ich einmal sein möchte, wenn ich erwachsen bin, löse sich dann mit einer Trennung auch auf, natürlich mache das zunächst Angst, sagt Nina Deißler. Wenn die Vorstellung von dem Erwachsenenleben, das ich mir jahrelang ausgemalt habe, sich nicht mit den Wünschen und Träumen meines*r Partners*in deckt, ist der Angstgegner Trennung wohl unausweichlich.

Gehen oder Bleiben?

Da ist dann häufig die Sorge: Wie lange wird es dauern, bis ich wieder eine Person kennenlerne, mit der eine Beziehung denkbar ist? Wenn ich an Dating und diese belanglosen Gespräche beim ersten Treffen denke, kriege ich Gänsehaut. Aber Bleiben aus Bequemlichkeit, das geht auch nicht. Eine Trennung von dem*der Partner*in ist gleichzeitig auch eine Trennung von Idealen und Hoffnungen. Sich von dieser Hoffnung zu trennen, könne häufig fast schwieriger sein, so Nina Deißler.

Die Zögerlichkeit der heute Zwanzig- bis Vierzigjährigen resultiert ihrer Meinung nach aus einem Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis nach einer Partnerschaft und der Furcht davor, sich auf etwas Neues wirklich einzulassen. Zur Beruhigung: Nach der Trennung muss nicht wieder bei Null angefangen werden. Das Erwachsenwerden sei ja mit Ende zwanzig zum Glück geschafft, sagt Beziehungscoachin Nina Deißler.