Schritt 1: Inspiration

Der Grund, warum ich mitten im Winter mitten im Wald in Finnland stehe, ist Minna, eine finnische Freundin. Immer wieder postet sie Fotos, die sie und mutige internationale Freund*innen vor verschneiten Ufern im Wasser zeigen, stolz lächelnd. Witzig sieht das ja aus. Aber ich würde für keine Likes der Welt einen solchen Unsinn mitmachen. Ihr etwa? Ich bin nur für einen Schneespaziergang und die Waldsauna hier. "Bist du bereit fürs Winterbaden?", scherzt Minna mit Blick auf hummerfarbene Leute, die aus dem Wasser klettern. Mir laufen schon vom Hinsehen eisige Schauer den Rücken hinunter.

Schritt 2: Saunaschwestern

Ein Tipp für alle, die das Winterbaden in Erwägung ziehen: Fangt ganz unverfänglich mit der Sauna an. Saunaschwestern, steht auf der Tür der Damensauna unter Kiefernbäumen, und schwesterlich geht es auch zu. In der 100 Grad heißen Kabine ist eine Diskussion im Gange, ob man zuerst ins Wasser gehen sollte und dann in die Sauna oder umgekehrt. Jede*r macht es, wie er*sie will, niemand muss, aber alle wollen. Als wäre Winterbaden eine Droge. Doch was ist jetzt so toll daran?

Schritt 3: (K)eine schwere Entscheidung

Eine Frau nach der anderen verschwindet im Nebel und kommt fünf Minuten später gerötet, aber mit Photoshop-freiem Lächeln zurück. Alle tragen Flip-Flops. "Die meiste Kälte geht über die Füße verloren", erklärt mir Minna. Es ist dieses echt glückliche Lächeln, das mich immer neugieriger macht. Sind das alles Masochistinnen? Oder bringt die Tortur etwas, das uns Nicht-Winterschwimmer*innen verborgen bleibt? Idiotisch hin oder her, ich möchte es endlich wissen. Mein Entschluss, es auf keinen Fall zu tun, schmilzt dahin, und schon stehe ich an der Tür.

In Bikini und Flip-Flops komme ich mir in der Winterlandschaft unangezogen vor. Mit jedem Schritt Richtung Meer pocht mein Herz schneller, jeder Muskel spannt sich an. Ich muss das Denken abstellen. Die Holzstufen zum Wasser nehmen. Flip-Flops abstreifen. Es ist, als würde ich die Fußsohlen ins Gefrierfach rammen. Das Wasser schnappt nach meinen Waden. Jetzt bloß nicht zögern oder innehalten. Das Wasser steht mir bis zum Bauch, dann lasse ich mich fallen. Füße und Beine spüre ich nicht mehr. Nach drei Schwimmzügen drehe ich schreiend um. Minna applaudiert: "Ich bin so stolz auf dich!" Ich hetze zurück in die Sauna. Erhobenen Hauptes. Und mit einem dämlichen Grinsen auf den Lippen.

Schritt 4: Das Gefühl danach

Ich habe es kapiert, das Winterbaden. Es ist dieses Kribbeln im ganzen Körper, wenn das Blut, das kurz in den Adern gefroren ist, zu fließen beginnt. Das Gefühl, dass jede Körperzelle auf Trab ist, das unbeschreibliche Lebendigsein. Ein klitzekleines bisschen ist es auch der Stolz, es getan zu haben. Das Bekloppte, das hauptsächlich bekloppt ist, weil viele sich einfach nicht trauen. Doch ganz besonders ist es das, was ich gespürt habe, als ich zum Wasser hinabstieg: Hätte ich zweimal überlegt, wäre ich nicht reingegangen. Ich denke an Momente, in denen mich Grübeleien und wachsende Furcht daran hinderten, etwas zu tun. Wäre es nicht oft besser gewesen, ins kalte Wasser zu springen und zu sehen, was passiert? Am liebsten würde ich den Gedanken ausdrucken und an die Wand nageln.

Schritt 5: Mut schwarz auf weiß

Als wir uns nach zwei weiteren Meeresbädern anziehen, breitet sich ein Wärmegefühl in mir aus. Fast sind mir die Winterklamotten zu schwer. Bevor wir zum Bus zurückkehren, kommt der Saunameister zu mir, ein Papier in der Hand. "Gratuliere", steht darauf, dann mein Name und die Bestätigung, dass ich wintergebadet habe. Dass ich verdammt mutig war. Mein Mut hängt nun bei mir zu Hause. Schwarz auf weiß. Und so komme ich zu der Folgerung: Ja, das Winterbaden ist Wahnsinn. Wahnsinn, weil ein eiskalter Hintern für echt viel neuen Mumm bringt.