Nach knapp drei Monaten in Budapest kann ich sagen: Es ist wahr. Die neuen Bekanntschaften, die ich hier gemacht habe, laden zumindest jeden Tag Bilder hoch, die genau das vermitteln. Auf einem davon: eine unscharfe, fleischfarbene Masse, im Hintergrund ein austauschbares DJ-Pult in einem austauschbaren Club. Auf einem anderen: ein paar Menschen vor einem Graffito, die demonstrativ nicht in die Kamera gucken, dafür aber umso mehr ihre Weingläser und Zigaretten ins Blitzlicht halten. Oder: ungefähr 100 Menschen, die sich auf einem WG-Bett drängeln und in eine von einem Selfiestick gehaltene Kamera Grimassen schneiden. Seht her, wie viele neue Freund*innen wir gefunden und wie viel Spaß wir zusammen haben.

Wenn man Facebook und Erasmus-Veteran*innen glaubt, dann ist das Jahr im Ausland eine nie endende Party, bei der niemand alleine ist und auch niemand alleine sein will. Denn Alleinsein sieht ja nicht schick aus. Damit kann man nicht angeben. Wenn Freund*innen fragen, wie es denn so im Ausland sei, möchte kaum jemand zugeben, dass es nicht nur Höhepunkte, sondern auch Mittelmaß oder Tiefpunkte gibt.

Wir binden unser Glück anderen Menschen auf die Nase, um uns zu profilieren. Wir wollen erfolgreich und gesellschaftlich anerkannt rüberkommen. Auch wenn dieses gestellte Glück kaum der Realität entspricht, wir sind abhängig von den Meinungen anderer, im Zeitalter der sozialen Netzwerke noch mehr als je zuvor.

Vor allem junge Menschen, die im Ausland studieren, leiden unter dem Drang, etwas beweisen zu wollen. Sich selbst. Den Eltern. Den Freund*innen. Dem*r zukünftigen Arbeitgeber*in. Man muss Selbstständigkeit und Weltoffenheit zeigen. Und vor allem die fröhliche Leichtigkeit, mit der das alles von der Hand geht.

Zumbakurse und Magenprobleme

Es ist eigentlich nicht verwunderlich, dass auch das Auslandsstudium seine Kehrseite hat. Über die wird allerdings nicht gerne gesprochen. Dass die Nachbar*innen jeden Abend einen einstündigen Zumbakurs abhalten und deswegen fast der Putz von der Decke kommt. Dass das ungarische Gulasch zu großen Magenproblemen führt und jede*r Mitesser*in eine Woche lang flachliegt. Dass Partys auch mal langweilig sein können und es anschließend heißt: "Ach, ich weiß gar nicht mehr, mit wem ich da eigentlich rumgemacht habe."

Erasmus bedeutet nicht nur heile, heile Sonnenschein. Was ist denn eigentlich so falsch daran, auch mal einen schlechten Tag zu haben und sich im Bett zu verkriechen? Eigentlich nichts, solange man sich nicht von der Meinung anderer abhängig macht. Seit wann entscheiden Likes, ob und wie viel Spaß ich habe?

Vor ein paar Tagen hatte ich eine Kakerlake in meiner Küche. Ich habe mit einer Erkältung flachgelegen. Die erste Wohnung, in der ich eine Woche gewohnt habe, hatte Schimmel im Bad. Meine Masterkurse haben das Niveau vom Deutschunterricht im Abitur. Also ja, ich habe schlechte Tage. Ich habe mittelmäßige Tage. Und das ist – ich kann es nicht genug betonen – okay so.

Denn daneben habe ich auch eine Menge großartiger Tage, an denen ich an der wunderschönen Donau entlang spaziere oder mit Freund*innen einfach versacke und über Belanglosigkeiten rede. Es ist weder notwendig, ein Geheimnis aus meinen Höhen und Tiefen zu machen, noch allen meinen Spaß aufzuzwingen. Weil Erasmus auch ganz einfach sein kann: entspannt.