Lange bevor die Schwed*innen daran dachten, "Ja heißt Ja" gesetzlich zu verankern und Aziz Ansari einer Unbekannten "die schlimmste Nacht ihres Lebens" bescherte, hatte ich ein Date. Es lief ganz gut, fand ich. Seit Stunden schon tranken wir Bier, lachten über flache Witze und unser gemeinsames Faible für miese Dates. Unsere Hände hatten sich in der letzten halben Stunde immer wieder "rein zufällig" berührt, jetzt kamen sich auch unsere Köpfe näher. Auf geht's, dachte ich, und brachte mich in Kussposition. Doch statt loszulegen, räusperte sich der Typ. Und fragte: "Darf ich dich küssen?"

Ich bekam einem Lachanfall. Konnte das echt so schwierig sein, meine Körpersprache zu deuten und diese verdammt deepen Blicke, die ich ihm zugeworfen hatte? Derart wenig Empathie war doch nicht möglich. Unauffällig sah ich mich nach einer versteckten Kamera um. Das konnte nur eine Verarschung sein. Wie sich herausstellte, war es alles andere als das. Sondern meine erste Real-Life-Begegnung mit dem Zustimmungskonzept.

Grenzüberschreitungen sind der Normalfall

Wäre Aziz Ansari bei diesem Date dabei gewesen, es hätte ihm containerweise Ärger erspart, und der von seinem Nixcheckertum betroffenen Frau ein traumatisches Erlebnis. Zu Hause hätte er vielleicht noch mal ein bisschen rumgegoogelt und rausgefunden, dass die Idee von Sexual Consent in den USA schon länger verbreitet ist, bei uns aber erst seit einigen Jahren auf dem Radar des zumeist feministischen Bewusstseins ist. Ich selbst hatte schon lange vor dieser Begegnung auf feministischen Blogs davon gelesen und gedacht: "Nette Idee. Aber was für ein anstrengender Bullshit." Nett, weil niemand ernsthaft bestreiten würde, dass "Ja heißt Ja" tausendmal besser ist als "Nein heißt Nein". Anstrengend, weil er, konsequent durchgeführt, ständiger Verhandlung bedarf. Vor jedem weiteren Schritt der sexuellen Begegnung steht eine verbale Rückversicherung an: "Willst du …?", "Darf ich …?", "Würdest du es mögen, wenn …?" Ach nö, befand ich. Läuft doch auch nonverbal ganz gut.

Der muss doch merken, dass ich nicht will!"

Dabei hatte ich selbst einige Aziz-Date-Nights in meinem Leben zu verzeichnen gehabt, und noch schlimmere. Auch ich hatte schlussendlich Dinge getan oder mit mir machen lassen, die ich nicht mochte. Ich hatte mich überreden und überrumpeln lassen, weil ich nicht schnell genug war mit meinem Nein. Weil ich dachte: Der muss doch merken, dass ich nicht will! Doch trotz all dieser Nächte und der Erfahrungen von anderen Frauen kam mir nicht einmal der Gedanke, in was für einem kranken System wir uns bewegten. Ich war es gewöhnt, dass Männer meine Grenzen überschritten, und ich machte mit, indem ich sie ließ. Und weil ich es nicht anders kannte, fiel mir nichts Besseres ein, als laut über den Mann zu lachen, der mir als erster überhaupt die Entscheidung überließ, wie nahe er mir kommen durfte.

Falls es Nachfragen geben sollte: Nein, mein Leben ist kein einziger Missbrauchsskandal und, ja, es gab auch bis zu diesem Moment einen Haufen liebe- und rücksichtsvoller sexueller Erfahrungen darin. Und doch war ich all die Zeit besessen von diesem stummem Einverständnis, das die meisten von uns in der Liebe voraussetzen. Dass man schon irgendwie zusammenfindet. Dass man auf jeden Fall dasselbe will. Und dass es nur eine Richtung gibt, wenn man miteinander körperlich wird. Aber nur, weil wir es mögen, wie jemandes Zunge unsere Lippen liebkost, heißt das nicht, dass wir auch an den unteren Lippen liebkost werden wollen. Und nur, weil wir das mögen, gilt das nicht automatisch für Rein-Raus. Sexualität ist keine Einbahnstraße ohne Anhalte- oder Umkehrmöglichkeit. Und doch wird sie allzu oft genau so gelebt und für normal befunden.

Konsens geht in beide Richtungen

Heute bin ich diejenige, die von meinen Sexpartnern im besten Fall verständnisloses Kichern, im schlimmsten Bist-du-nicht-ganz-dicht-Blicke abbekommt. Denn nun frage ich meist, bevor ich küsse oder meine Hände unter T-Shirts wandern lasse. Und wenn ich an jemandes Hose will oder ein Gummi zücken, dann frage ich noch mal. Und noch mal.

Ich mache das, weil es richtig ist."

Ich mache das, auch wenn es Männer waren, die Frauen über Jahrtausende sexuell unterdrückt und ausgebeutet haben. Auch wenn viel zu viele von ihnen es offensichtlich bis jetzt nicht lassen können, Frauen ungewollt mit ihren Schwänzen zu behelligen. Auch wenn wir verzweifelt nach den wenigen Stecknadelköpfen suchen, die kein #MeToo-Label tragen. Ich mache das, weil es richtig ist. Weil niemand ungefragt den Körper eines*r anderen erobern sollte, egal welches Geschlecht er*sie hat, egal wie sehr er*sie das in diesem Augenblick auch möchte. Und weil es entgegen der landläufigen Meinung auch Männer gibt, die sich nicht wohl oder unter Druck gesetzt fühlen und das nicht artikulieren können. Konsens geht in alle Richtungen.

Wie Konsens sexy wird

Mir persönlich ist verbale Zustimmung besonders wichtig für die Zeit, in der ich eine Person neu kennen lerne und wir uns Stück für Stück körperlich näher kommen. Mit zunehmender Intimität nimmt die Fragendichte dann ab. Wenn ich erst weiß, das Brustwarzen-Knabbern meinen Partner in ekstatische Zustände versetzt, hole ich mir nicht jedes Mal sein Okay ab, wenn ich mich beim Sex an seine Nippel machen will. Vieles lässt sich nach einer Weile auch durch Blicke oder durch Gesten regeln. Gummi erst zeigen, statt einfach ungefragt überziehen, zum Beispiel. Berührungen langsam angehen und fragen, ob sie gefallen, bevor man sie intensiviert.

Und das Beste daran: Das Zustimmungskonzept zu praktizieren ist ganz und gar nicht anstrengend. Es erfordert vielleicht etwas mehr Achtsamkeit als Einfach-drauf-los-Machen, aber die zahlt sich gleich in mehrfacher Hinsicht aus:

Weil er heiß macht

Ein Ja ist die schönste Einladung zum Weiterzugehen, die man sich vorstellen kann. Nicht umsonst ist es in den Pornos das meistgeschriene Wort. Außerdem lassen sich alle Fragen und Antworten ganz hervorragend dirty talken – einen besseren Anlass kann es dafür praktisch nicht geben. Mich persönlich macht es total an, darüber zu reden, was wir alles gleich mit welchen Körperteilen tun werden.

Weil er die Beziehung zwischen Partner*innen verbessert

Es ist die natürliche Eigenart von Kommunikation, die Menschen einander näher zu bringen – und Intimität sorgt bekanntlich für besseren Sex. Gleichzeitig können wir uns bei einander sicher fühlen in dem Wissen, dass wir beide alles dafür tun werden, unsere Grenzen gegenseitig nicht zu verletzen und einander respektvoll zu behandeln (und dieses Gefühl wird sich auf alle Ebenen der Beziehung positiv niederschlagen).

Weil er uns näher zu uns selbst bringt

Das Fragen bringt uns dazu, unser Wollen mehr zu reflektieren. "Bin ich wirklich schon bereit dazu, brauche ich noch etwas Zeit oder möchte ich das heute/gar nie machen?", sind Fragen, die wir uns im Affekt häufig nicht stellen und stattdessen dem Automatismus der Einbahnstraße gehorchen. Dabei helfen sie auf unprätentiöse Weise, die eigenen Grenzen zu spüren und zu wahren. Und selbst wenn die Antwort in den meisten Fällen "Hundertmal Ja!" lautet, ist es um so schöner, die eigene Lust zu spüren und ihr Ausdruck zu verleihen.

Aus dem anfangs erwähnten Date wurde übrigens mit sofortiger Wirkung eine Liebesbeziehung. Die Wirkung ist zwar inzwischen verflogen, aber jedes Mal, wenn sich ein Mann dazu anschickt, einfach so mit Was-auch-Immer loszulegen, muss ich an ihn denken. Und an das Geschenk, das er mir machte, als er damals fragte: "Darf ich dich küssen?"